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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Capelle, welche schon früher gottesdienstlichen Zwecken gewidmet war und in welcher jetzt allsonntäglich die Brüsseler Spiritistengemeinde ihren Gottesdienst hält. Hier hielt auch der Spiritistencongreß seine Sitzungen. Der Betsaal war mittelst einiger Oellämpchen kümmerlich erleuchtet; die Versammlung dürfte wohl gegen neunzig Theilnehmer (Damen und Herren) gezählt haben, welche mit gespanntester Aufmerksamkeit den Worten der Sprecher lauschten.

Wie wir beim Eintritt in das merkwürdige Sitzungslocal von dem gerade die Sitzung eröffnenden Präsidenten zu hören Gelegenheit hatten, bezweckte der Congreß vornehmlich, die Gläubigen um ein Banner zu schaaren, sowie eine gesellschaftliche Organisation zu erreichen, um den, wie der Präsident sich äußerte, mit einander verbundenen Ultramontanen und Materialisten mit Erfolg entgegentreten zu können. Nachdem noch ein früherer katholischer Geistlicher, der Excanonikus Mouls aus Bordeaux, welcher unter dem Namen Dr. Conrad in Brüssel als magnetisirender Wunderdoctor sich etablirt hat, über den Einfluß des Magnetismus auf den menschlichen Körper eine lange Rede gehalten hatte und noch einige Herren über die Geschichte des Geisterglaubens, über den Einfluß der Geisterwelt auf die menschlichen Entschließungen gesprochen und neben vielen phantastischen Hirngespinnsten auch manches ansprechende Wort über humanitäre Fragen zu Tage gefördert war, betrat der von dem Zuchtpolizeigerichte zu Paris wegen spiritistischer Umtriebe zu einem Jahr Gefängniß verurtheilte ehemalige Schneidermeister Leymarie die Rednerbühne und suchte mit staunenswerthem Rednertalent die auf ihn angehäuften Anschuldigungen zu entkräften. Leymarie war zu Paris, wie die „Gartenlaube“ ausführlich in Nummer 20 des Jahrgangs 1875 berichtet hat, mit dem Photographen Buguet verbunden und beide hatten durch Vermittelung der Geister, welche kamen um sich photographiren zu lassen, ein vorzügliches Geschäft gemacht.

Buguet hatte bei der Gerichtsverhandlung zu Paris seine Betrügereien eingestanden, in Brüssel jedoch den dort versammelten Gläubigen durch einen Abgesandten erklären lassen, daß seine zu Paris gemachten Geständnisse, sowie seine Anschuldigungen bezüglich der Theilnehmerschaft des Leymarie und des Amerikaners Firman falsch gewesen seien. Zwei Vertrauensmänner des Congresses, die Herren C. H. Fritz und Augustin Boyard, begaben sich mit Buguet auf die Kanzlei des französischen Consulats, woselbst Buguet öffentlich erklärte, daß seine Geständnisse ihm zu Paris erpreßt und daß die dreihundert Puppenköpfe, während er krank gewesen, von seinem Personal benutzt worden seien; zwei Drittel aller seiner Geisterphotographien stellten echte Geister, die wirklich neben die aufzunehmenden Personen getreten seien, dar, was übrigens auch durch die von den Angehörigen der Geister bezeugte und beschworene Aehnlichkeit documentirt sei. Auch betonte Buguet besonders, daß alle seine Angaben betreffs des Leymarie und des Amerikaners Firman falsch gewesen und dieselben als ehrenhafte, echte Medien anzusehen seien.

Dieser Firman hatte in Paris in demselben Grade durch seine spiritistischen Wunderthaten die hohe französische Aristokratie für sich einzunehmen gewußt, wie Holmes und Frau es in London gethan hatten (siehe Gartenlaube 1875, Nr. 42). Einem bekannten Pariser Arzte, dem Dr. Huguet, welcher selbst ein Anhänger des Spiritismus ist, wurden die Umtriebe des Firman endlich doch zu stark, und er beschloß den Betrüger zu entlarven. In einem Salon der Madame Huguet befindet sich ein kleines alkovenartiges Dunkelcabinet, welches mit hohen Stoffvorhängen verdeckt ist. Da die Medien die Gewohnheit haben, sich bei Darstellung ihrer Geistererscheinungen hinter Vorhängen zu verbergen, glaubte man, daß Firman diesen Schlupfwinkel zum bequemen Laboratorium seiner Geistererscheinungen ausersehen werde, und man hatte sich nicht getäuscht. Madame Huguet ließ einen geschickten Arbeiter kommen und befahl demselben in einem Winkel dieses kleinen Cabinets einen ganz engen Verschlag mit sehr kleiner Oeffnung anzubringen, aus welchem heraus man das, was in dem Dunkelcabinet allenfalls vorgehen könnte, zu beobachten im Stande sei. Der Verschlag wurde mit der Tapete des Alkoven überzogen, sodaß unmöglich ein hohler Raum dahinter zu vermuthen war. Der Verschlag selbst war mit einer kleinen Oeffnung zum Durchblicken versehen. Firman wurde zu den Gesellschaften bei Huguets eingeladen, auch oftmals zum Arrangement einer spiritistischen Sitzung aufgefordert, was er jedoch vier Monate lang hartnäckig verweigerte. Während dieser Zeit wußte sich Frau Huguet mit einer staunenswerthen Geduld mit gläubigen Spiritisten der höchsten Aristokratie zu umgeben, indem sie ihre Gäste glauben machte, zum Spiritismus sich bekehren zu wollen. Sie erklärte zum Oefteren Firman und den Spiritisten gegenüber, daß sie nur durch ein entscheidendes Experiment bekehrt werden könne.

Nachdem Firman während der genannten Zeit die Räumlichkeiten im Huguet’schen Hause zur Genüge ausgekundschaftet hatte, entschied er sich endlich, der Frau Huguet den gewünschten Beweis seiner Beziehungen zur Geisterwelt zu geben. Eines Abends, als wiederum eine auserlesene Gesellschaft versammelt war, kam er mit einer Person, welche seine Frau vorstellte, angerückt. Er war in einer ernsten und feierlichen Stimmung, gleich einem Priester, welcher eine religiöse Ceremonie auszuüben im Begriffe ist. Er hieß seine Anhänger um einen großen Tisch sich setzen und befahl, alle Lichter auszulöschen. Hierauf ließ er Psalmen singen, da diese Gesänge die Eigenschaft haben sollen, die Geister mächtig anzuziehen; seine Frau gab den Ton an, und die Jünger summten sich in eine eigenthümliche Ekstase hinein. Alles dies geschah natürlich, um die naive Gesellschaft in einen erregten Zustand zu versetzen und sie zu unschuldigen Zuhelfern einer Betrügerei zu stempeln. Bald ging das Getöse und Gerumpel in dem dunkeln Raume los, in den sich Firman begeben hatte. Umgeworfene Stühle, herabgestürzte Figuren, Gläserklirren, Zähneklappern wurde gehört; eine Trompete fing an von selbst zu tönen, spieldosenartige Weisen erklangen, zarte Glasharmonikamelodien erfüllten die Luft. Die Gesellschaft war außer sich vor Entzücken und Wonneschauer und fühlte sich so recht erhoben durch die Nähe der Geisterwelt. Da verschwand plötzlich auch Meister Firman’s Gattin hinter dem Vorhange des oben geschilderten Cabinets. Auf seinen Befehl entfernte man die letzte Lampe, welche noch einen schwachen Schimmer auf die Gesellschaft zu werfen geeignet war, in einen Winkel des Zimmers, man schob den Tisch vor die verhängte Pforte, in welcher der Geisterbeschwörer sich befand, und der Spuk sollte losgehen.

Die Gesellschaft saß erwartungsvoll um den Tisch herum; zehn Minuten vergingen in lautloser Stille. Die Aufregung der Gläubigen hatte den höchsten Grad erreicht. Man erwartete, daß Firman den berühmten Geist Quiboche, den kleinen Indianer, citiren werde – und siehe da, plötzlich bewegte sich der Vorhang; ein Männlein mit schwarzem Gesichte, weiß gekleidet, trat ein, machte seine Complimentchen und begann mit dünner Kopfstimme im Kindertone zu sprechen, der Gesellschaft guten Abend zu wünschen und wieder hinter dem Vorhange zu verschwinden.

Die Gläubigen triumphirten; die Ungläubigen ließen sie gewähren, und man bestimmte einen weitern Tag für eine zweite Sitzung. Am zweiten Abende begab sich Frau Huguet im Geheimen in den kleinen Beobachtungsraum, den sie hatte anfertigen lassen, und sie sah, bevor die Erscheinung kam, wie Firman rasch eine schwarze Maske vor das Gesicht band, ein weißes Mousselinhemd überwarf, das er in seiner Brusttasche verborgen hatte, und, sich auf die Kniee niederlassend, mit größter Geschicklichkeit in dieser Stellung zu marschiren sich anschickte. Die Erscheinung kam wieder wie das vorige Mal und man beglückwünschte Firman ob seiner wunderbaren Resultate. Frau Huguet hatte aus ihrem Verschlage Alles genau beobachtet; man war überein gekommen, an einem dritten Abende den Betrüger zu entlarven. Eine große Anzahl von gläubigen Spiritisten war versammelt; die Lichter wurden ausgelöscht – wieder dasselbe Getöse mit Sphärenmusik; man war in gespanntester Erwartung. Plötzlich erschien der Geist des kleinen indianischen Prinzen; kaum aber hatte er die erste Frage beantwortet, welche die Gläubigen über das Jenseits an ihn gerichtet hatten, als eine Frauenhand den Geist in’s Gesicht schlug, ihm die Maske herunterriß und, ihn auf die Kniee herunterdrückend, mit den Worten festhielt:

„Sie werden Niemanden mehr betrügen, Herr Firman.“

Triumphirend hielt Madame Huguet die Maske den Gläubigen entgegen, wie auf ein Zauberwort erhellte sich der Salon, und man sah das arme Medium Firman unter der fesselnden Hand der Frau Huguet in jämmerlicher Weise sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_018.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)