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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

mein halbes Vermögen hin, wenn ich noch so denken könnte, wie zu Anfang meiner Brautschaft, so stolz, so zuversichtlich zu Bruck aufsehend,“ rief Flora leidenschaftlich. „Aber seit dem Tode der Gräfin Wallendorf trage ich stillschweigend die fortgesetzte Qual der Zweifel, des Mißtrauens mit mir herum – heute zweifle ich nicht mehr, denn ich bin überzeugt. Jene Schwäche des Weibes kenne ich freilich nicht, das nur liebt, ohne zu fragen: ist der Geliebte der Hingebung auch würdig? … Ich bin ehrgeizig, glühend ehrgeizig, das können Alle wissen. Ohne diese Triebfeder würde ich auch mit dem großen Haufen der Schwachen und Indolenten meines Geschlechts auf der breiten Heerstraße der Alltäglichkeit ziehen. – Gott soll mich behüten! Wie andere strebende und denkende Frauen es möglich machen, ruhig und gleichmüthig mit einem unbedeutenden Mann durch’s Leben zu gehen, ist mir stets unfaßlich gewesen – ich würde zeitlebens erröthen unter den Blicken der Menschen.“

„O – so verschämt würdest Du sein? Sieh, sieh! – Allerdings, dazu gehört auch mehr Muth, als vor einem kecken Auditorium von Studenten über Aesthetik und dergleichen zu lesen,“ rief Henriette, jetzt in der That mit einem boshaften Lächeln.

Flora ließ einen Blick voll Verachtung über die kleine Schwester hinstreifen. „Solch eine kleine Viper läßt man ruhig zischen. Was weißt Du von einem Ideal?“ sagte sie achselzuckend. „Aber Recht hast Du, wenn Du glaubst, mein Platz sei weit eher auf dem Katheder, als an der Seite eines Mannes, der sich als Stümper in seiner Wissenschaft documentirt – eine solche Fessel ertrage ich nicht.“

„Kind, das ist Deine Sache,“ erklärte die Präsidentin gelassen, während der Commerzienrath in namenloser Bestürzung zurückfuhr. „Du wirst Dich erinnern, daß Dich Niemand gezwungen, noch überredet hat, Deinen Kopf in diese Fessel zu stecken.“

„Das weiß ich sehr genau, Großmama; ich weiß auch, daß Du es weit lieber gesehen hättest, wenn ich die Frau des an Geld und Körper bankerotten Kammerherrn von Stetten geworden wäre. Ich gebe Dir ebenso gern zu, daß ich mich nie von irgend einem Menschen beeinflussen oder gar leiten lasse, weil ich am besten wissen muß, was mir frommt.“

„Das wird Dir auch stets unbenommen sein,“ versetzte die Großmama mit vornehmer Kälte. „Nur Eines gebe ich Dir zu bedenken: Du wirst eine entschiedene Gegnerin an mir haben, wenn die Sache auf einen Eclat hinausläuft. Darin kennst Du mich hoffentlich. Ich ertrage weit eher inneren Unfrieden, als einen Familienscandal nach außen. Ich lebe mit Euch zusammen und habe gern die Repräsentation dieses Hauses übernommen; dafür verlange ich aber auch die unbedingteste Rücksicht für meine Stellung und meinen Namen. Ich will nicht, daß man in der Gesellschaft über uns flüstert und zischelt.“

Der Commerzienrath wandte sich rasch ab. Er trat an das eine unverhüllte Fenster und starrte in die Nacht hinaus. Der Wind, der sich allmählich zum Sturme steigerte, fauchte rüttelnd an den Scheiben hin, und in dem feurig rothen Streifen, den die Lampe des anderen Fensters stet und unbeirrt über die windgeschüttelten Büsche warf, fuhren die blutig gefärbten Schneeflocken im rasenden Wirbel durch einander, wie die marternden Gedanken in seinem Kopfe. Er hatte vorhin mit sich gekämpft, ob er nicht Flora wenigstens den Vorfall wahrheitsgetreu mittheilen solle – jetzt wußte er, daß gerade ihr gegenüber kein Laut über seine Lippen kommen durfte, wenn er nicht wollte, daß die Präsidentin um des „Zischelns und Flüsterns in der Gesellschaft“ willen sich von ihm lossagte; er mußte sich eingestehen, daß das ehrgeizige schöne Mädchen sofort sein Geständniß in die Welt hinausschreien würde, weniger aus Liebe, als um den Schein von sich zu wenden, daß sie sich hinsichtlich der Wahl ihres Herzens oder eigentlich ihres Verstandes geirrt habe.

Währenddem stand Henriette, das kleine, mißgestaltete Mädchen, mit Augen voll Grimm und Spott vor der Großmutter. „Also nur in Rücksicht auf das Gerede der Leute wünschest Du, daß sich meine Schwester tadellos aus der Affaire ziehe? Damit kommt sie ja sehr wohlfeil weg. Du sprichst sie ohne Bedenken frei, wenn sie nur dem Treubruche ein seidenes Mäntelchen umzuhängen versteht. Uebrigens brauchst Du wegen des Eclat wirklich nicht so entsetzlich penible zu sein, Großmama – man muß im Salon leben, wie wir, um zu wissen, daß die Gesellschaft es mit so manchen vornehmen Sündern hält, wie mit dem alten Meißner Porcellan: je öfter gekittet, desto begehrter!“

„Ich werde Dich wohl ersuchen müssen, den Rest des Abends auf Deinem Zimmer zu verbringen, Henriette,“ zürnte die Präsidentin jetzt ernstlich. „Mit dieser verbitterten Stimmung kann ich Dir die Rückkehr in den Salon nicht gestatten.“

„Wie Du befiehlst, Großmama! Gelt, Hans, wir gehen mit tausend Freuden,“ sagte sie lächelnd und drückte die Wangen auf das Gefieder des Vögelchens, das noch auf ihrer Rechten saß. „Du kannst auch die alten Hofdamen nicht leiden, und die große medicinische Autorität, den Herrn von Bär, zwickst Du regelmäßig in den Finger, wenn er Dich mit Zucker kirren will, braver Bursche … Gute Nacht, Großmama – gute Nacht, Moritz!“ Sie hemmte noch einmal ihre hastigen Schritte und wandte sich zurück. „Die Charaktervolle dort,“ sagte sie mit schneidender Ironie, „wird hoffentlich den Weg innehalten, den ihr der selige Papa unerbittlich vorgeschrieben haben würde – mit ihrer Renommage bezüglich des eigenen Willens hat sie sich zu seinen Lebzeiten niemals hervorwagen dürfen. Er würde ihr nie gestattet haben, einem Ehrenmanne das gegebene Wort zu brechen.“

Mit trotzig zurückgeworfenem Kopfe ging sie hinaus, aber schon auf der Schwelle stürzten ihr die heißen Thränen, die bereits in ihren letzten Worten mitgeklungen hatten, unaufhaltsam über die Wangen.

„Gott sei Dank, daß sie geht!“ rief Flora. Man braucht wirklich das höchste Maß von Selbstbeherrschung, um nicht ihr gegenüber die Geduld zu verlieren.“

„Ich vergesse nie, daß sie eine Kranke ist,“ bemerkte die Präsidentin trocken zurechtweisend.

„Und in einer Art hatte sie doch auch Recht, Flora,“ wagte der Commerzienrath einzuwerfen.

„Denke darüber, wie Du willst, Moritz!“ entgegnete die junge Dame kalt. „Ich habe Dich nur dringend zu bitten, mir durch Deine Einmischung die inneren Kämpfe nicht zu erschweren. Wie bereits gesagt, bin ich gewohnt, mit mir und Anderen allein fertig zu werden, und so will ich’s auch in diesem Falle gehalten wissen. Uebrigens dürft Ihr ruhig sein – Du und die Großmama – es widerstrebt mir selbst, hart und gewaltsam vorzugehen; ich habe eine geräuschlose Verbündete, und das ist – die Zeit.“

Sie nahm das Kelchglas vom Schreibtische und netzte die fast weißgewordenen Lippen mit einigen Tropfen Rothweins, während die Präsidentin, ohne ein Wort weiter zu verlieren, sich anschickte, in den Salon zurückzukehren.

„Apropos, Moritz!“ rief sie, die Hand auf das Thürschloß legend. „Was wird nun mit Käthe geschehen?“

„Darüber müssen wir das Testament entscheiden lassen,“ versetzte er, wie befreit aufathmend. „Ich bin völlig ahnungslos, wie der Schloßmüller verfügt hat. Käthe ist seine einzige Erbin; ob er sie aber auch als solche bestätigt, das fragt sich; er ist ihr ja immer gram gewesen, weil ihre Geburt seiner Tochter das Leben gekostet hat. … Auf jeden Fall wird sie für einige Zeit hierher kommen müssen.“

„Gieb Dir keine Mühe – die kommt nicht; die hängt noch heute so fest an den Rockfalten ihrer alten, unausstehlichen Gouvernante, wie zu Papas Lebzeiten,“ sagte Flora. „Man muß nur ihre Briefe an Dich lesen.“

„Nun, vielleicht ist’s auch besser, sie bleibt, wo sie ist,“ meinte die Präsidentin fast lebhaft. „Aufrichtig gestanden, ich verspüre nicht viel Lust, sie unter meine Flügel zu nehmen und vielleicht stündlich an ihr herumzumäkeln – das giebt viel stillen Aerger. … Ich habe mich nie recht für sie erwärmen können, nicht etwa, weil sie das Kind der ‚Anderen‘ war – darüber habe ich stets gestanden, aber sie kroch mir zu viel drüben in der Mühle herum, hatte stets die Zöpfe und Kleider voll Mehlstaub und war ein recht eigenwilliges kleines Ding.“

„Ja, so ein rechter Querkopf aus dem Volke, und doch – Papas Liebling,“ warf Flora mit bitterm Lächeln hin.“

„Scheinbar, Kind, weil sie seine Jüngste war,“ sagte die Präsidentin, die grundsätzlich nie den Gedanken aufkommen ließ, daß eines ihrer Angehörigen je zurückgesetzt werden könne; „er hat Euch ebenso lieb gehabt. Nun, Moritz, wirst Du mitkommen?“

Er bejahte hastig. Beide entfernten sich, Flora aber schellte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_023.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)