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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

„Ich bin erstaunt über den sicheren Muth, mit welchem Flora fährt,“ sagte sie, als er wieder neben ihr ging.

„Weit mehr zu bewundern ist die Todesverachtung ihres Begleiters. Es war eine Probefahrt, und der Commerzienrath hat die jungen Pferde gestern erst gekauft.“ Er war bitter gereizt. Sie hörte das plötzlich in seiner Stimme und schwieg ganz erschrocken.




5.


Es fiel kein Wort mehr von beiden Seiten. Sie erreichten bald das Haus und traten durch eine Seitenthür ein, während drüben die Equipage vom Portale wegfuhr. Ein Bedienter berichtete ihnen, daß die Damen und „der gnädige Herr“ im Wintergarten seien, also in den Appartements der Frau Präsidentin.

Käthe hatte ihre ganze heitere Ruhe und Sicherheit wiedergefunden. Sie nahm eine Visitenkarte aus der Brieftasche und reichte sie dem Manne hin. „Für den Herrn Commerzienrath,“ sagte sie.

„So steif?“ fragte Doctor Bruck lächelnd, während der Lakai geräuschlos über den dicken persischen Corridor-Teppich hinschlüpfte und hinter einer Thür verschwand.

So steif!“ bestätigte sie ernsthaft. „Da ist die weiteste Distance die beste. Ein biederes Hereinpoltern würde mir jedenfalls sehr schlecht bekommen. Ich fürchte nun selbst, ‚den gnädigen Herrn‘ mit meiner unceremoniellen Ankunft sehr in Verlegenheit zu bringen.“

Sie hatte sich nicht geirrt. Der Commerzienrath kam im förmlichen Sturmschritte aus den Gemächern, mit dem bestürzten Ausrufe: „Mein Gott, Käthe!“ stolperte er über die Schwelle.

Die Richtung seines Blickes war geradezu lächerlich – er suchte den Kopf der wie vom Himmel fallenden Mündel offenbar um zwei Fuß zu tief – und nun trat sie so hochgewachsen und festen Schrittes auf ihn zu und begrüßte ihn mit einem fast frauenhaft stolzen Kopfneigen:

„Lieber Moritz, sei nicht böse, daß ich der Abrede zuwider handle! Aber um mich abholen zu lassen, dazu bin ich nun doch schon ein wenig zu groß.“

Er stand wie versteinert vor ihr. „Recht hast Du, Käthe. Die Zeit, wo ich Dich an der Hand führte, ist vorüber,“ sagte er langsam, gleichsam in dem Anblicke ihres mit Rosengluth überhauchten Gesichts verloren. „Nun, sei mir tausendmal willkommen!“ Jetzt erst reichte er auch Bruck begrüßend die Hand. „Ein Zusammenfinden im Corridor – da muß ich wohl gleich hier vorstellen –“

„Bemühe Dich nicht, Moritz! Das habe ich bereits selber besorgt,“ unterbrach ihn das junge Mädchen. „Der Herr Doctor machte gerade Krankenbesuch bei Suse, als ich in die Mühle kam.“

Das Gesicht des Commerzienraths verlängerte sich. „Die Mühle war Dein Absteigequartier?“ fragte er betreten. „Aber liebes Kind, die Großmama Urach hat mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit erklärt, sich Deiner anzunehmen; mithin verstand es sich von selbst, daß Du Dich ihr sofort vorstelltest; statt dessen gehst Du zu Deiner alten Flamme, der Jungfer Suse! Ich bitte Dich, sage das d’rin lieber nicht!“ setzte er hastig flüsternd hinzu.

„Verlangst Du das ernstlich von mir?“ Die fest klingende Mädchenstimme stach seltsam ab von seinem scheuen Flüstertone. „Ich kann doch nicht leugnen, wenn die Sache zur Sprache kommen sollte… Auf das Verheimlichen verstehe ich mich wirklich nicht, Moritz“ – sie verstummte für einen Moment, erschrocken über die Feuergluth, die ihm in das Gesicht schoß, dann aber sagte sie resolut: „Habe ich einen Fehler begangen, so will ich mich auch dazu bekennen; es wird ja nicht gleich meinen Kopf kosten.“

„Wenn Du einen gutgemeinten Wink so tragisch nehmen willst, dann habe ich allerdings nichts mehr zu sagen,“ entgegnete er verlegen und ärgerlich zugleich. „Den Kopf wird es freilich nicht kosten, aber Deine Stellung in meinem Hause erschwerst Du Dir. Uebrigens ganz wie Du willst! Sieh Du selbst, wie Du Dich mit diesem herben ‚Geradedurch‘ in unseren hochfeinen Gesellschaftskreisen zurecht findest!“

Schon bei den letzten Worten hatte sein Ton mehr scherzhaft als pikirt geklungen. Er ließ sich nun einmal nicht gern die behagliche Stimmung verderben. Er bot ihr galant den Arm und führte sie nach dem ehemaligen Speisezimmer, das neben dem Wintergarten lag und dessen Thür er aufstieß.

Das war aber nicht mehr der traute Eßsalon mit seinen altmodischen, behäbigen, rothen Saffianmöbeln. Die Wand, die ihn einst vom Wintergarten getrennt, war verschwunden; an ihrer Stelle trugen schlanke, oben in Rundbogen auslaufende Säulen den Plafond, den der köstlichste Farbenschmuck in maurischem Stil bedeckte. Drunten lief ein niedriges, spitzenklares, vergoldetes Bronzegitter von einer Säule zur anderen – es schied den steingetäfelten Fußboden des maurischen Zimmers von dem weißen Wegsand, dem grünen Flaum kleiner Rasenflecke im Wintergarten. Hinter diesem Gitter grünte und blühte es wonnig; da dufteten Maiblumen und köstliche Bouquets von Parmaveilchen zu Füßen der mächtigen Drachenbäume, des dunklen Lorbeer und der prachtvollen Decoration von silbergestreiften, metallisch glänzenden Blattpflanzen. Dieses herrliche Pflanzenbild wurde umrahmt und gleichsam in einzelne Felder getheilt durch eine Art von Blumenornamentik. Um die Säulen rankte sich die Clematis und behing die schlanken Schäfte bis hinauf in das feingebogene Rund mit weißen und lilablauen Blüthen.

Zwischen den zwei Säulen, die einen Mittelweg in das Zimmer freiließen, stand Flora. Sie war noch in der Straßentoilette und augenscheinlich im Begriff, das Zimmer zu verlassen. Hoch hinter ihrem federgeschmückten Haupt wölbte der Springbrunnen des Wintergartens seine glitzernde Kuppel. Mit der behandschuhten Rechten hob die schöne Dame das schwere kastanienbraune Sammetkleid, dem das schräg hereinfallende Abendlicht schwachgoldige Reflexe entlockte, ein wenig über den Fuß, die unbedeckte Linke aber legte sich anmuthig stützend an die Säule, weiß und zart wie die danebenhängende Clematisblüthe.

Beim Eintreten des hochgewachsenen Mädchens öffnete sie zuerst ihre graublauen Augen weit vor Erstaunen, aber auch ebenso rasch kniff sie die Lider zu einem blinzelnd prüfenden Blick zusammen, wobei ein sarkastisches Lächeln um ihre Lippen huschte.

„Nun rathe, Flora, wen ich da bringe!“ rief der Commerzienrath.

„Da brauche ich mir nicht lange den Kopf zu zerbrechen – das ist Käthe, die sich allein auf den Weg gemacht hat,“ versetzte sie in ihrer eigenthümlich nachlässigen und doch so überaus bestimmten Art und Weise. „Wer die alte Sommer gekannt hat, der weiß, daß das stämmige Mädchen da mit dem weiß und rothen Apfelgesicht ihre Enkelin sein muß, Augen und Haar aber hat sie frappant wie Clotilde, Deine verstorbene Frau, Moritz.“

Mit einer geschmeidigen Bewegung löste sie sich gleichsam aus dem Blumenrahmen, trat auf die Schwester zu, und den Kopf in den Nacken zurückbiegend, bot sie ihr die Lippen zum Kuß. Ja, das war noch immer die unvergleichlich schöne Flora, aber das langjährige Herrscherthum über die Herzen hatte die weibliche Grazie von ihrer Ausdrucksweise genommen. Ebenso nachlässig wie bei dem kühlen Begrüßungskuß nach sechsjähriger Trennung, war ihr Wesen dem mit eingetretenen Doctor gegenüber. „Grüß Gott, Bruck!“ sagte sie und reichte ihm die Rechte, aber nicht wie eine Braut, sondern wie ein College dem anderen. Er erfaßte die Hand mit leichtem Druck und ließ es ruhig geschehen, daß sie sofort wieder zurückgezogen wurde.

Diese äußere Zurückhaltung zwischen dem Brautpaar schien sich von selbst zu verstehen. Flora wandte unbefangen den Kopf nach dem Wintergarten zurück. „Großmama,“ rief sie mit lächelndem Spott in ihren geistreichen Zügen, „unser Goldfisch macht Dir und Deinen Bekannten die Freude, sich vier Wochen früher anstaunen zu lassen.“

Die Präsidentin war bereits bei Flora’s ersten Worten hinter einer Camelliengruppe hervorgetreten. Ohne daß sie es vielleicht selbst wußte, hatte sie die Angekommene mit jener Spannung gemustert, welche die meisten Menschen einem sogenannten Glückskind gegenüber an den Tag legen. Flora’s boshaft übermüthiger Zuruf machte diesen Ausdruck sofort verschwinden. Die alte Dame zog unwillig die Brauen zusammen, und ein feines Roth der Verlegenheit flog über ihr bleiches Gesicht hin. „Ich erinnere mich nicht, ein so auffälliges Interesse gerade für jene Eigenschaft Deiner Schwester gezeigt zu haben,“ sagte sie kühl und mit einem streng verweisenden Blick. „Wenn ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_059.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)