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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

und das ist nicht unbegreiflich, da die Bewohner Westfalens einander selbst allerlei seltsame Schnurrpfeifereien nacherzählen. Dies gilt namentlich von den Rodlinkern und den Leuten im münsterschen Beckum. Die Attendörner und die Olper aber necken einander mit den Spitznamen „Kattfillers“ und „Pannenklöppers“.

Eine fast überreiche Fülle von Lalenanekdoten hat endlich, wie ein Blick in die Müllenhoff’sche Sammlung schleswig-holsteinischer Sagen zeigt, der südliche Theil der cimbrischen Halbinsel hervorgebracht. Obenan stehen unter den hier in Betracht kommenden Orten das holsteinische Büsum und das schleswig’sche Hostrup. Von den Büsumern wird zunächst die Geschichte von den Badenden erzählt, die, um sicher zu werden, daß Keiner von ihnen ertrunken ist, die Nasen in den Sand stecken müssen. Sie sind ferner Mondfänger; sie halten den Hammer für einen Schneider; sie bestellen ein Feld mit Kuhsamen; besonders schön endlich sind die Abenteuer derjenigen von ihnen, die den Mühlstein suchen sollen, welcher ihnen gestohlen worden ist. Sie kommen nach Friedrichstadt und entdecken den Senf; sie geben in der Schenke, um nicht dem Ofen zu nahe zu sitzen und zu viel Hitze auszustehen, dem Wirthe ein Stück Geld, daß er den Ofen weiter wegschiebe, er aber erfüllt ihren Wunsch dadurch, daß er, als sie hinausgegangen, die Stühle ein wenig vom Ofen wegsetzt; sie gelangen schließlich nach Hamburg und finden hier in einem Pastor mit der dort gebräuchlichen ungeheuern Halskrause den Dieb ihres Mühlsteins. „Ga hen na Hostrup und lat dy de Dös utsnyden!“ (geh hin nach Hostrup und laß Dir die Dummheit ausschneiden!) sagt man in Angeln. An einem Sommertage befand sich das ganze Dorf auf dem Felde. Da kam Einer zu ihnen und erzählte vom Kriege, über den er eben in der Stadt reden gehört. „Krieg, wat is denn Krieg?“ fragte ein Hostruper. „Wenn de Trummel geit,“ antwortete der Andere. „Wo geit (wie geht) de Trummel denn?“ erkundigten sich die Leute. „Bumm, bumm, bumm!“ erwiderte der Fremde. Nun arbeiteten jene ruhig eine Weile weiter, aber die Trommel steckte Allen in den Köpfen. Sie hatten eine Tonne voll Bier mitgehabt und bei der Hitze schon ausgetrunken. In deren Spundloch flog eine Hummel hinein, und da sie den Ausweg nicht wieder finden konnte, stieß sie wiederholt mit ihrem dicken Kopfe an das Holz, sodaß es wie das Bumm, bumm einer Trommel klang. Da dachten die Hostruper, es wäre der Krieg, und jeder hätte gern mehr als zwei Beine gehabt. Augenblicklich rannten sie, was das Zeug hält, davon und sprangen in ihrer Angst über Hecken und Gräben.

Die Böeler in Angeln führen den Spitznamen „Falenbieters“ (Füllenbeißer). Die Jageler bei Schleswig heißen die „tollen“, nehmen aber Vernunft an; denn die Ulmer Spatzengeschichte ist auch bei ihnen vorgekommen, und noch heute tragen sie Balken der Länge und nicht der Quere nach durch Thüren. Von den Bishorstern erzählen ihre Nachbarn, die Haseldorfer Marschbauern, folgenden Schwank: In alten Zeiten war es gebräuchlich, am Morgen des heiligen Christtages vor Tagesanbruch in die Kirche zu gehen, um den frommen Hirten im Evangelio nichts nachzugeben. Um nun in der Dunkelheit nicht irre zu gehen, hatten die Bishorster ein Seil ausgespannt, an dem sie sich bis zur Kirchthür hintasteten. Ein Schalk aber wußte darum, und um den Leuten einen Schabernack zu thun, leitete er das Seil ab und nach einem seichten Brunnen hin. Die Bishorster dachten an nichts Arges und gingen, als es läutete, Einer hinter dem Andern an dem Seile hin. Als nun der Erste an den Brunnen kam, fiel er hinein und das Wasser schlug ihm klatschend über dem Kopfe zusammen. Der Nächste meinte, es sei die Kirchenthür und rief: „Plump in helgen Karken! Laet apen! Ick will oek rin,“ und damit fiel auch dieser hinein. Die Anderen aber machten es ebenso, bis sie zuletzt Alle im Brunnen lagen. Ferner giebt es viele Dönchen von den Neuenkirchenern in der Krempermarsch, von den Kussauern bei Plön, sowie von den Kisdorfern bei Bramstede. Einmal fuhr ein Geestbauer mit Torf nach Kisdorf und hatte eine Sense mit auf dem Wagen, um damit am Wege das nöthige Gras für seine Pferde zu mähen. Nahe bei dem Orte fand er schönes Gras, stieg ab und schnitt seinen Pferden eine gute Mahlzeit, ließ dann aber die Sense liegen, um am Abend noch eine tüchtige Portion mit nach Hause zu nehmen. Als nun die Kisdorfer merkten, daß auf ihrer Meente Gras fehlte, und sie die Sense dort fanden, wußten sie erst nicht, was es sei. Dann meinte Einer, die Sense werde wohl das Thier sein, welches das Gras gefressen habe. Als er sie näher betrachten wollte, trat er auf ihren Griff, worauf ihm die Schneide an den Hals fuhr und ihn verwundete. Da sahen die Kisdorfer, daß die Sense nicht blos Gras, sondern auch Menschen fresse, und um sich vor weiterem Schaden zu bewahren, beschlossen sie, die Stelle, wo sie lag, zu umzäunen. Abends fand der Geestbauer sie mit einer soliden Dornenhecke umfriedigt.

Andere schleswig-holsteinische Lalenbürger sind die Thadener im Gute Hanerau, die, als ihnen beim Grasmähen ein Frosch begegnete, nicht wußten, welch ein Ungethüm sie vor sich hätten, bis der Bauervogt, nachdem er ihn lange betrachtet, meinte: „Lüt, hier bön ek wörklich in Twiefel – wenn dat keen Hartbock (Hirsch) est, so möt dat en Töttelduef (Turteltaube) wäsen,“ und die Fockbecker bei Rendsburg, die ihren Teich mit gesalzenen Heringen besetzen und den Aal, der sie ihnen weggefressen haben soll, mit Ersäufung bestrafen.

Wäre das Alles wirklich einmal passirt, so würde das ein neuer Beweis sein, daß nicht die alte Zeit die gute, sondern unsere die vorzüglichere ist; denn nicht blos die Jageler wären dann zur Vernunft gekommen. Kein Kisdorfer und kein Büsumer wird heutzutage noch Gimpeleien sich nachsagen lassen, und auch anderswo ist man dermalen eher zu hausbacken als zu übermüthig.




Blätter und Blüthen.


Eine Palme auf Professor Bock’s Grab. Am 19. Februar sind es zwei Jahre, seit sich das Grab über Bock’s Sarge schloß. Liebe und Freundschaft legen alljährlich grüne Kränze auf den Hügel des Verewigten; denn Vielen war er ein Helfer und Retter sowohl in Krankheit und Körpernoth, wie in der Sorge und Bedrängniß des täglichen Lebens. Sollte sein Andenken bei Denen, deren Elend er so gern – entweder selbst herbeieilend, oder aus unbekannter Ferne seine segnende Hand ausstreckend – verscheuchte, vergessen werden? –

In Wort und Schrift war er ein Rathgeber, um Groß und Klein vor den Gefahren der Gebrechlichkeit und des falschen Gebrauchs der Körperorgane zu warnen; er war ein rechter Gesundheitsapostel und wußte der Familie die heilige Verpflichtung zu schärfen: das leibliche Wohl der Kinder auf’s Strengste zu hüten. Die „Gartenlaube“ selbst ist es gewesen, welche das belehrende und mahnende Wort Bock’s nach allen Himmelsrichtungen und in die weiteste Ferne trug. Wer kennt nicht sein „Buch vom gesunden und kranken Menschen“ und seine Strafpredigten?

Professor Bock wird in den Herzen der Menschen fortleben, so gewiß Dankbarkeit und Pietät in der Welt nicht aussterben werden.

Auch die Wissenschaft hat den Manen des berühmten Anatomen den Saal der Unsterblichkeit aufgethan; denn seine Werke bilden in vielfacher Hinsicht die Grundlagen der neuen Anatomie; nach ihm kommende Autoritäten werden seine Schriften citiren, so lange es Anatomie giebt.

Aber trotz der rastlosen Thätigkeit, die Bock’s Leben auszeichnet, wußte er doch sich noch am Abende seines Lebens zu dem alten Ruhme neuen zu erwerben, der Krone seines Wirkens einen neuen, hellstrahlenden Glanz zu verleihen indem er, aus der Wissenschaft schöpfend, den menschlichen Körper nach seinen Haupttheilen in Gyps darstellen ließ, damit das Kind in der Schule auf die faßlichste und fruchtbringendste Weise Anthropologie lerne. Er schuf „plastisch-anthropologische Lehrmittel für Schulen“. Und auch hier verleugnete sich Prof. Bock’s Herzensgüte nicht. Damit dieselben der unbemittelten Volksschule leicht zugänglich würden, verzichtete er auf jeglichen pecuniären Gewinn. Sie sind ein selbstlos unternommenes Werk, welches er der Schule zum Geschenk gemacht hat.

Wie die Schüler die Pflanze in der Hand haben oder das Thier vor sich stehen sehen, wenn sie Botanik oder Zoologie lernen, so kann ihnen jetzt statt der bloßen bildlichen Umrisse eine körperliche Sache, an der sie lernen sollen, geboten werden. Die Gesammtheit des menschlichen Körpers und die einzelnen Theile können wirklich „angeschaut“ werden. Professor Bock ging aber noch weiter und meinte, daß man die Anthropologie oder Menschenkunde nicht blos als einen Anschluß oder Abschluß der Zoologie betrachten solle, sondern daß man sie vielmehr in den Dienst der Gesundheitslehre zu stellen habe, daß man unter Hinweis auf die Verrichtungen der Organe zugleich Regeln geben müsse, nach denen Störungen der Functionen vermieden werden könnten. Er wollte also, indem er Anleitung gab, aus den Gesetzen der natürlichen Entwickelung des Menschen Gesundheitsgesetze zu folgern, den pädagogischen Grundsatz gewahrt wissen: „non scholae, sed vitae discendum – lerne in der Schule, damit du für das Leben Gewinn hast!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_139.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)