Seite:Die Gartenlaube (1876) 160.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Antwort herausgelockt, allein die alte Frau verneigte sich so kühl und würdevoll, mit so viel ernster Zurückhaltung, daß er gar nicht wagte, sie anzureden.

Und drüben war noch weniger zu erfahren. Der Doctor hatte die große Glasschale mit den Goldfischen aus dem Zimmer der Tante herübergebracht und war eben bemüht, den dazu gehörigen Apparat eines kleinen Springbrunnens in Gang zu bringen; die Aufwärterin schleppte frisches Wasser herbei und goß es in verschiedene flache Schüsseln auf den Tischen und in einen Kübel nicht weit vom Krankenbette, Alles, um die Luft des Zimmers möglichst zu durchfeuchten. … Wer hätte dem Manne, der in seiner Fürsorge, seiner Pflichterfüllung aufzugehen schien, gerade jetzt mit verfänglichen Andeutungen über Außendinge kommen mögen? Und der Medicinalrath fand das auch plötzlich vollkommen überflüssig. Es wurde ihm ganz leicht um’s Herz; die Sache mußte anders zusammenhängen; denn so schlicht und unbefangen, so anspruchslos wie der junge Arzt dort, gerirte sich kein Mann, der eben einer seltenen Auszeichnung gewürdigt worden war.

Henriette saß jetzt, durch Kissen gestützt, im Bette aufrecht und sah mit weitoffenen, glänzenden Augen um sich; es war starkes Fieber eingetreten. Von einem Uebersiedeln nach der Villa konnte keine Rede sein, so lebhaft auch die Präsidentin es wünschte. Sie mußte sich vorläufig damit begnügen, Henriettens Jungfer zur Pflege für die Nacht, und Alles, was das Krankenzimmer „comfortable“ machen konnte, herüberzuschicken. Käthe’s Bitte, die Nachtwache übernehmen zu dürfen, wurde weniger von ihr und dem Medicinalrath, als von Seiten des Doctor Bruck rundweg abgeschlagen. Die Thränen traten dem jungen Mädchen in die Augen, als er so kühl und fest bei seinem Ausspruche beharrte, nach welchem die pflegende Hand der Kammerjungfer unter seiner speciellen Aufsicht und Leitung völlig genügte. Es wurde demnach beschlossen, daß Flora und Käthe bis um zehn Uhr bleiben und dann durch Nanni abgelöst werden sollten.

Flora hüllte sich bei diesen Verhandlungen in consequentes Schweigen. Sie fühlte so gut, wie die Großmama, daß sie als leibliche Schwester sich bei diesem Erkranken, welches im Verein mit dem Vorfalle im Walde morgen voraussichtlich das Tagesgespräch der Residenz bilden werde, durch Käthe sich nicht beschämen lassen dürfe, und deshalb ließ sie den Beschluß wie eine Verurtheilung über sich ergehen.




12.


Bald nach dem Weggang der Präsidentin und ihres Freundes kamen Lakaien und Hausmädchen schwer beladen aus der Villa und schoben und trugen mit geräuschloser Behendigkeit Polstermöbel und allerhand Geräthschaften in das Krankenzimmer; die überaus einfache, aber dennoch anheimelnde Fremdenstube wurde plötzlich so buntscheckig wie ein Auctionslocal. Der gestickte Ofenschirm vor den halb erblindeten, schwarzen Kacheln, das prachtvolle Waschgeräth, die apfelgrünen, seidenglänzenden Lehnstühle – wie lächerlich unpassend, gleichsam wie von einem ungünstigen Wind verschlagen, stand das Alles inmitten der vier verblaßten, getünchten Wände!

Ohne eine Miene zu verziehen, ganz in ihrer sanften, gelassenen Weise, räumte die Tante Diakonus ihr verstoßenes Eigenthum fort. Ihre Augen begegneten nicht ein einziges Mal denen des Doctors, der sich mit verschränkten Armen in eines der Fenster zurückgezogen hatte und schweigend den Veränderungen zusah; vielleicht fürchtete die alte Frau, er könne in ihrem Blick eine leise Spur des Gekränktseins finden, und das wollte sie um keinen Preis.

Mit der einziehenden gewohnten Eleganz kam sichtlich neue Spannkraft in Flora’s bisherige apathische Haltung; sie dirigirte das Arrangement, legte eigenhändig die grünseidene Decke auf Henriettens Bett und versprühte eine ganze Flasche Eau de Cologne auf den Dielen. Dann ließ sie einen schwellenden Teppich in die leere Fensternische breiten und stellte einen Fauteuil darauf, und als die Dienstleute sich entfernt hatten, warf sie sich in den Lehnstuhl und kreuzte die schmalen Füße auf einem gestickten Fußkissen. Sah es doch aus, als habe sie sich aus der Wüste auf eine kleine Oase gerettet – so eng schmiegte sich ihre Gestalt zusammen, und so fremd und kalt musternd blickte sie über Alles hin, was sich außerhalb ihrer teppichbelegten Ecke befand. Dort in dem „lächerlich kleinen“ Stückchen Spiegelglas, das ein brauner Holzrahmen umschloß, hatte sie vorhin bemerkt, daß ihr dünnes Scheitelhaar abscheulich derangirt sei. Sie hatte einen kleinen weißen Spitzenshawl vom Halse genommen und ihn graziös über die losen Löckchen gesteckt; dieses weiße klare Gewebe legte sich wie ein Heiligenschein um den reizenden Kopf. Und die Tante Diakonus mußte immer wieder hinsehen; es war und blieb doch eine wunderschöne Braut. Nun erst begriff sie ganz, daß der Doctor dieses sylphenhafte Wesen weder im tollen Treiben der Studentenzeit, noch auf den Schlachtfeldern hatte vergessen können, und ihr jetziges seltsames Benehmen, ihre finstere Schweigsamkeit, so verletzend sie auch das warme Gefühl berührte, war ja doch nur die augenblickliche natürliche Folge eben stattgehabter heftiger Gemüthserschütterungen.

Inzwischen ging der Nachmittag zu Ende. Im Westen flammten die Abendgluthen auf; die niedersinkenden kleinblätterigen Rankenfransen der Blumenampeln in den Fensternischen erschienen goldbeflittert, und die Purpurrosen auf den Kattungardinen wuchsen im Sonnenfeuer zu Riesenpäonien, die das Krankenzimmer mit feurigem Glanze erfüllten.

Henriette lag still, mit geschlossenen Augen in den Kissen. Sie hatte fast angstvoll gegen das Niederlassen der Rouleaux protestirt, „weil sie nicht an dumpfer Dämmerung ersticken wollte“; ebenso war es ihr Wunsch, daß man zwanglos aus- und eingehen und sich mit lauter Stimme unterhalten möge; sie könne das Geflüster und das „Auf-den-Zehen-gehen“ nicht ausstehen, ja, sie fürchte sich davor und meine, man sehe eine Todtkranke oder gar Sterbende in ihr. Ihr Wunsch wurde erfüllt; man bemühte sich, bei möglichster Geräuschlosigkeit vollkommen unbefangen zu erscheinen.

Während der Doctor für einige Minuten das Zimmer verließ, um ein Buch zu holen, kam die Tante Diakonus herein mit einem Präsentirteller in den Händen, und sofort verbreitete sich ein köstliches Thee-Aroma, das selbst den starken, scharfen Duft der Eau de Cologne niederkämpfte. Auf dem Brett lag eine glänzend weiße Damastserviette vom feinsten Gewebe; die Tassen waren von altem Porcellan und die silbernen Löffel altväterisch massiv und dick, lauter Erbstücke einer respectablen Familie. Und das rothe Sonnenlicht verklärte die alternde Frauengestalt, wie sie so, in wahrhaft holländischer Sauberkeit leuchtend, mit dem edlen, friedfertigen Gesicht unter dem aschblonden, ungelichteten Scheitel vor die Braut in der Fensterecke trat und ihr freundlich die Erfrischung bot.

„Selbstgebackene Waffeln?“ fuhr Flora aus ihrer halbliegenden Stellung empor. „Ach ja, der Schmorduft kam vorhin von der Küche her, bis zu mir in diese Ecke. Wie appetitlich!“ Sie schlug die Hände zusammen wie in naiver Bewunderung. „Mein Gott, wer, wie ich, so völlig talentlos für häusliches Wirken ist, der begreift absolut nicht, wie solch ein kleines Kunstwerk zu Stande kommen kann. Wie viel Geduld, aber auch wie viel Zeit mag dazu gehören!“


(Fortsetzung folgt.)




Menschenaffen.


Von Brehm.


II. Häusliches und geselliges Leben.


Unsere Kunde von den Menschenaffen ist fast in jeder Beziehung dürftig und lückenhaft, zumal soweit es sich um das Freileben der betreffenden Thiere handelt. Von Hanno und Plinius an sind Jahrtausende vergangen, bevor wir wieder etwas vernommen haben über die „wilden Menschen“, mit denen die Karthager zusammen trafen, oder über die „Satyrn“, welche uns Plinius schildert als „sehr bösartige Thiere mit einem Menschengesicht, welche auf den indischen Bergen leben, bald aufrecht, bald

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_160.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2019)