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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

auf allen Vieren gehen und wegen ihrer Schnelligkeit nur dann gefangen werden können, wenn sie alt oder krank geworden sind.“

Erst um die Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts verlautet wiederum etwas über diese Thiere und zwar zunächst über den Orang-Utan. Der naturkundige Arzt Bontius berichtet aus eigener Anschauung. Er hat, wie er erzählt, diese „Waldmenschen“ einige Male gesehen. Sie gingen aufrecht und geberdeten sich ganz wie andere Menschen. Namentlich ein Weibchen benahm sich bewunderungswürdig, schämte sich, wenn es von unbekannten Leuten betrachtet wurde, bedeckte Gesicht und Blöße mit den Händen, seufzte, vergoß Thränen und übte überhaupt alle menschlichen Handlungen aus, so daß man wohl behaupten durfte, nur die Sprache habe ihm gefehlt, um ein Mensch zu sein. Es unterliege auch keinem Zweifel, daß die Waldmenschen wohl reden könnten, wenn sie wollten, es aber aus dem Grunde nicht thäten, weil sie befürchteten, zur Arbeit herangezogen zu werden. Daß sie aus einer Vermischung von Affen und indianischen Weibern herstammten, sei ganz sicher. Schouten, welcher später schreibt als Bontius, bereichert diese Angaben durch einige Entführungsgeschichten, in denen die Waldmenschen die Rolle des angreifenden, malaiische Mädchen die des leidenden Theiles spielen. Nach Angabe fast aller Berichterstatter geht der Orang-Utan stets auf den Hinterbeinen, und nur einer meint, daß er auch im Stande wäre, auf allen Vieren zu laufen.

Abgesehen von Pyrard, welcher Anfangs des siebenzehnten Jahrhunderts eine kurze Mittheilung über Schimpansen giebt, erhalten wir über die „wilden Menschen“ Hanno’s erst um hundert Jahre später eingehendere Nachrichten. Andreas Battell erzählt von den furchtbaren Waldungen der Loangoküste, welche so überfüllt sind von Pavianen, Meerkatzen, Affen und Papageien, daß Jedermann sich fürchtet, in denselben zu reisen. Namentlich zwei Ungeheuer machen den Wald im höchsten Grade unsicher: das eine dieser Scheusale heißt „Pongo“, das kleinere „Ensego“. Der Pongo hat den Gliederbau eines Menschen, ähnelt aber eher einem Riesen; sein Gesicht gleicht zwar dem eines Mannes, aber hohlliegende, von langen Brauenhaaren überdeckte Augen geben ihm einen furchtbaren Ausdruck. Der ganze Leib ist mit düsterfarbigen Haaren bekleidet, und nur durch diese und die wadenlosen Füße unterscheidet er sich vom Menschen. Stets geht er auf seinen Füßen, hält sich aber dabei mit Hülfe der im Nacken zusammengeklammerten Hände im Gleichgewichte. Seine Nahrung besteht aus Waldfrüchten; denn Fleisch ißt er niemals. Sprechen kann er nicht, und sein Verständniß ist nicht größer als das eines Viehes. Oft vereinigen die Pongos sich zu Gesellschaften, und diese tödten manchen Neger im Walde, können überhaupt nur durch vergiftete Pfeile erlegt werden. Hierauf folgt die späterhin in alle Kinderbücher übergegangene Geschichte von der Freude, welche diese Thiere beim Anblicke eines von Menschen angezündeten Feuers empfinden, wie sie sich um dasselbe scharen und sich wärmen, sich dabei höchst behaglich fühlen, aber aus Unverstand vergessen, Holz nachzulegen und dann jämmerlich aufschreien, wenn das Feuer ausgeht. Unser Berichterstatter meint offenbar den Gorilla.

Von der vorher angegebenen Zeit an wird die Naturgeschichte des Orang-Utan in rascher Folge durch mehr oder minder ausführliche Berichte gefördert; bis zum Jahre 1847 aber dauert es, bevor wir über die afrikanischen Menschenaffen weitere und eingehendere Mittheilungen erhalten. Die Berichte einzelner Beobachter sind jedoch noch nicht genügend bestätigt, die Erzählungen anderer noch nicht hinlänglich von übernommenen und selbsterfundenen Fabeln geklärt: es läßt sich daher noch immer nicht ein Lebensbild zeichnen, von dem man sagen könnte, daß jeder Strich an die rechte Stelle gesetzt, jeder Zug entsprechend ausgedrückt wäre. Wir wissen etwa Folgendes:

Alle Menschenaffen sind Waldbewohner und finden sich innerhalb ihres Verbreitungsgebietes um so regelmäßiger und häufiger, je mehr der Wald dem allgemein verständlichen Begriffe des Urwaldes entspricht. Obwohl vom Gorilla wie vom Schimpanse, Battell’s Angaben bestätigend, gesagt wird, daß Beide sehr viel auf dem Boden sich bewegen, dürfen wir sie doch zu den Baumaffen im eigentlichen Sinne des Wortes rechnen, mindestens nicht zweifeln, daß der größere Theil ihres Lebens in den Kronen dichtbelaubter Bäume verläuft. Vom Inneren ihrer Urwaldungen aus unternehmen sie allerdings Wanderungen und bequemen sich, kürzere oder längere Strecken auf dem Boden zurückzulegen; so lange ihnen aber die Möglichkeit geboten ist, von einem Zweige zum anderen überzugehen, kommen sie selten freiwillig auf den Boden herab. Maßgebend oder bestimmend für mehr oder minder strenges Baumleben ist die Länge ihrer Arme, d. h. diejenigen, welche mit den längsten Armen ausgerüstet sind, verlassen die Bäume am seltensten, diejenigen, welche die verhältnißmäßig kürzesten Arme haben, am häufigsten. Ihre Bewegungen unterscheiden sich wesentlich von denen der Ordnungsverwandten, und man darf, ohne zuviel zu sagen, behaupten, daß sie denen des Menschen mehr ähneln als jenen. Namentlich wenn sie klettern, lassen sie sich nur mit dem Menschen, nicht aber mit anderen Affen vergleichen. Hunds-, Neuwelts- und Krallenaffen klettern laufend und springend, d. h. indem sie beim Abgehen längerer Aeste in wechselseitiger Folge ein Bein um das andere bewegen und mit mehr oder minder mächtigen Sätzen von einem Aste auf den in’s Auge gefaßten springen, dabei oft Entfernungen bis zu zehn Meter wie ein fliegender Vogel oder fallender Körper durchmessen; die Menschenaffen hingegen klettern turnend, übertragen ihren Vordergliedern den größten Theil der Arbeit und gebrauchen die hinteren in der Regel als Stütze, obwohl sie recht gut im Stande sind, mit ihren eingebogenen Oberschenkeln oder selbst mit ihren Zehen kopfunterst an einem Aste sich aufzuhängen und die nun frei gewordenen Arme und Hände nach Belieben zu benutzen.

Ausgedehnte, gleichmäßig hohe Urwälder sind für das Wohlbefinden der Menschenaffen Bedingung. „Solche Wälder,“ sagt Wallace, „bilden für den Orang-Utan ein offenes Land, in welchem er sich nach jeder Richtung hin und zwar mit derselben Leichtigkeit bewegen kann, wie ein Indianer durch die Steppe oder ein Araber durch die Wüste zieht. Er geht hier von einem Baumwipfel zum anderen, ohne jemals auf den Boden herabzusteigen, würde auch in mehr gelichteten Gegenden, in denen nur Gras oder niedriges Dickicht wächst, weit größere Gefahren auszustehen haben als in seiner luftigen Höhe. Es ist ein seltsamer und fesselnder Anblick, einen Orang-Utan gemächlich seinen Weg durch den Wald nehmen zu sehen. Umsichtig läuft er einen der stärkeren Aeste entlang, halb aufrecht sich haltend, weil ihn hierzu die bedeutende Länge seiner Arme und die verhältnißmäßige Kürze der dünnen Beine nöthigen und er wie seine Verwandten mit den Knöcheln der Finger, nicht mit der Handsohle sich stützt. Stets scheint er solche Bäume zu wählen, deren Aeste mit denen des nächststehenden verflochten sind, streckt, wenn er nahe ist, seine langen Arme aus, faßt die betreffenden Zweige mit beiden Händen, scheint ihre Stärke zu prüfen und schwingt sich dann bedächtig hinüber auf den nächsten Ast, auf welchem er wie vorher weiter geht. Nie hüpft oder springt er, niemals scheint er auch nur zu eilen, und doch kommt er fast ebenso schnell vorwärts, wie Jemand unter ihm durch den Wald laufen kann. Seine langen und mächtigen Arme befähigen ihn, mit Leichtigkeit die höchsten Bäume zu erklimmen, Früchte und junge Blätter von dünnen Zweigen, welche sein Gewicht nicht aushalten würden, zu pflücken und Blätter und Aeste zu sammeln, um ein Nest zu bauen.

Ganz in ähnlicher Weise klettern auch wohl die afrikanischen Menschenaffen, Schimpanse und Tschego bestimmt so, wie wir dies an gefangenen wahrnehmen konnten. Daß der Schimpanse ebenfalls den größten Theil seines Lebens auf Bäumen zubringt, berichtet Savage und, übereinstimmend mit ihm, unser trefflicher Schweinfurth. Malerisch schildert er in seinem ausgezeichneten Werke: „Im Herzen Afrikas“, die Waldungen des wirklich im Herzen Afrikas gelegenen Niamniamlandes, welche der Italiener Galerienwaldungen genannt hat. Bäume mit gewaltigen Stämmen und von einer Höhe, welche alles bisher im Gebiete des Nil Gesehene, die Palmen Aegyptens kaum ausgeschlossen, weit in den Schatten stellen, bilden dichtgedrängte, lückenlose Reihen, in deren Schutze sich minder überwältigende im wirrsten Gemenge stufenweise abgliedern. Im Inneren dieser Uferwälder gewahrt man Säulengänge, ägyptischen Tempelhallen ebenbürtig, in besonders tiefen Schatten gehüllt und von aufeinander gelagerten Laubdecken oft dreifach überwölbt. Von außen betrachtet, erscheint Alles wie eine undurchdringliche Wand des dichtesten Blattwerkes, im Innern öffnen sich dagegen überall Laubengänge unter Säulenhallen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_162.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)