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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

natürlich schnell in Kairo bekannt, und der Khedive selbst machte ihm in der Audienz ein Compliment über seinen Muth und seine jugendliche Kraft. Ole Bull gab daraufhin Concert im Opernhause und erntete reiche Lorbeeren, Blumen Kränze und sogar Gedichte, vorzüglich durch den „Carneval von Venedig“, in welchem er seine unglaubliche Virtuosität auf das Glänzendste documentirte. Aber sein norwegisches Alpenlied spielte er nicht wieder.

Er blieb noch einige Tage in der stillen, gastlichen Häuslichkeit des schwedischen Consuls, um dann in Alexandrien ein Concert zu geben und schließlich nach Europa zurückzukehren. Wer aber das Glück hatte, in der schönen schwedischen Villa den Meister im vertraulichen Freundeskreise spielen zu hören, vollends an einem duftigen, lauen Mondscheinabend (der Februar ist Kairos Blüthenmonat) und überdies den liebenswürdigen, gemüthreichen Menschen näher kennen lernte, der bewahrt gewiß dem nordischen Künstler auf lange hin ein sympathisches Andenken, und das um so herzlicher und dauernder, je seltener hier zu Lande derartige Begegnungen und Genüsse sind.




Ein neues Machwerk Tissot’s.


In den ersten Tagen des März erscheint von Victor Tissot, dem Autor des bekannten Buches „Reise in’s Milliardenland“, ein zweiter Theil dieses Werkes: „Die Preußen in Deutschland“.

Man wird sich wohl noch erinnern, wie viel Staub dieses „Voyage au pays des Milliards“ dies- und jenseits der Vogesen aufwirbelte. In Frankreich machte sich der nationale Chauvinismus über das stark gepfefferte publicistische Gericht her, und in Deutschland war man begreiflicher Weise neugierig, das Bild kennen zu lernen, welches ein so erklärter Feind des neuen Reiches von deutschen Zuständen entworfen hatte. Die vielleicht nicht immer kluge wohlüberlegte Neugierde wirkte magnetartig und dies um so mehr, da die bittere Pille ganz artig gezuckert präsentirt wurde, denn abgesehen von dem etwaigen Werthe seines Buches, abgesehen von dem Grade der Gründlichkeit seiner Studien schreibt Tissot sehr genießbar. Man ärgert sich, ist entrüstet, wünscht den Autor zum Kukuk – aber man lacht. …

Man begreift, daß der zweite Theil des „Voyage“ bei dem zweifelhaften Rufe, den der Verfasser so rasch erwarb, im Publicum nicht ohne Spannung erwartet wird, und da die menschliche Neugierde nie ihre Rechte aufgiebt, so wird man auch diesmal sich über den Inhalt dieses Buches zu orientiren suchen. Für’s Erste ist der Titel „Die Preußen in Deutschland“ ein Schlagwort. Die Titel müssen heutzutage sensationell sein, sonst ist mit dem Verleger kein Geschäft zu machen. „Die Preußen in Deutschland“ – das sollte eine Skizzirung der Zustände bedeuten, wie die Ereignisse von 1866 und 1871 zu Gunsten von Preußen sie geschaffen haben. Obwohl die verhaßten Prussiens auch in diesem Buche arg mitgenommen werden, ist der Zweck kein exclusiv politischer. Herr Tissot wirft mit seinen Steinen nach jedem Zweige deutscher Cultur.

Als er sich im vorigen Juli eines schönen Abends auf den Weg machte, um das Material für diesen Band zu sammeln, konnte er nicht einmal die Ueberschreitung der germanischen Grenze abwarten, um seinem gepreßten, nach deutschem Blute lechzenden Herzen Erleichterung zu verschaffen. Schon in Namur, im neutralen Belgien, beginnt die Deutschenhetze. Im Verfolg seiner Reise führt die Bahn ihn an Saarbrücken vorüber; natürlich geht es hier ohne eine Suade über den auch deutscherseits anerkannten Heldenmuth der Franzosen nicht ab; die Beschießung Saarbrückens bei der famosen Affaire, wo Lulu die Kugel aufhob, nimmt der Autor auf die leichte Achsel; er findet die ganze Sache „unverfänglich“; er begreift nicht, daß die antifranzösische Presse in Deutschland über die „Asche von Saarbrücken“ Krokodilthränen vergossen.

In Coblenz hält Herr Tissot zum ersten Male einen Rasttag. Auch hier – welch ein Glück! – findet sich eine geläufige Zunge – ein Unterofficier – um ihm haarklein Auskunft über den Stand der deutschen Rüstungen zu ertheilen, und in der festen Ueberzeugung, daß „vierzig Armeecorps zu achtzehntausend Mann jedes auf ein Zeichen mobil dastehen können“, verfügt sich der Autor in einen Waggon dritter Classe, um das deutsche Reisepublicum im gewöhnlichen Sinne so recht zu beobachten. Diese billige Fahrt ist höchst lehrreich. Erstens entdeckt der Verfasser das wirkliche deutsche Familienleben. Es besteht darin, „daß die guten Familienväter, die Geheim- und Hofräthe sich allein im kleinen Gasthofe ihrer Stadt gütlich thun, während die Weiber und Kinder besagter Hof-, Geheime- und Legationsräthe zu Hause bleiben und Eichelkaffee und Erdäpfel genießen. Die deutsche Frau, namentlich im Süden, ist eine Sclavin, eine Magd. Ihre erniedrigende und grausame Lage erzeugt Entrüstung und flößt Mitleid ein. Das Weib hat die härtesten Arbeiten zu verrichten. Es steht zuerst auf und geht zuletzt in’s Bett. Es ist das Lastvieh, eine Maschine im Stricken, Nähen und der Reproduction des Geschlechts, sonst Nichts. In der Familie ist der Vater zugleich Oberhaupt und Richter. Wie unterwürfig (hm, hm!), wie folgsam (hm, hm!), wie zitternd (hm, hm!) sind diese armen und süßen Geschöpfe! Die Tyrannei des Papas ist der Anfang der Erlernung des Respects; bei dieser Race thut ein Bischen Schlagen immer Noth, denn Macht geht vor Recht.“

Die schwermüthigen Betrachtungen über das Pariaschicksal deutscher Frauen unterbricht der Eintritt neuer Reisender. Ein Mitglied des Bonner Kriegsvereins erzählt die Enthüllung des Arminius-Denkmals und ein Tiroler Schütze, der von Stuttgart kommt, hat einen Papagei als Preis davongetragen. Das Thier schreit die ganze Fahrt: „Bismarck, Bismarck – Hahnemann, Hahnemann!“ Mit diesem letzten Namen ruft der Papagei nach einem Redacteur der Moskauer deutschen Zeitung, welcher auf der Rednerbühne die Drei-Kaiser-Allianz feierte, und den Namen dieses Moskauer Schriftstellers merkte sich unser Papagei auf einmal – sonderbarer Kauz! Was die Schilderung des Mitglieds des Bonner Kriegsvereins anbelangt, so lautet diese gerade wie sie Herr Tissot braucht, um den Franzosen ein deutsches Nationalfest von der lächerlichen abfälligen Seite zu zeigen. Zum Schlusse legt der Bonner seinen Reisegefährten eine mit dem Bildnisse des Arminius geschmückte Denkmünze vor. Das Angesicht des Siegers vom Teutoburger Walde findet in den Augen des Verfassers wenig Gefallen. „Dieser Tropmann de la forêt de Teutoburg,“ schreibt er, „trägt auf dem Kopfe ein Bärenfell mit zwei Rabenflügeln, die sich wie Eselsohren ausnehmen. Die Lippen sind grausam, wie bei dem Tiger; der Bart ist kraus und struppig. Man erkennt den wahren deutschen Spion, den Verräther, der seine ehemaligen Waffenbrüder in einen Hinterhalt gelockt hat.“ Bekanntlich wurde in Frankreich zur Zeit des Arminius-Festes diese These von dem Verrathe des Cheruskerfürsten an seinen Alliirten zuerst von den Gelehrten des „Journal des Debats“ verfochten und fand natürlich Anklang.

Worms, die Lutherstadt, bietet wenig Anlaß für die Kritik; hier regt sich in dem Verfasser das, wie uns dünkt, ziemlich lebhafte künstlerische Gefühl. Er zollt dem Denkmale des Reformators aufrichtige Bewunderung und scheint von der Synagoge entzückt. Die Erscheinung eines semitischen Fräuleins von idealer Schönheit versetzt ihn förmlich in Ekstase.

Auch Frankfurt hat Herr Tissot ziemlich liebgewonnen, und der Palmengarten, von dem die Bürger der ehemaligen Freistadt mit gerechtem Stolze sprechen, übt auf den französischen Kritikus einen mächtigen Zauber aus. „Die Citoyennes de Francfort – ich kenne keine weiblichen Geschöpfe, die soviel Zauber besitzen und so verführerisch sind. Rubens hätte bei ihnen im Großen und im Kleinen die Najaden und Nymphen seines ‚Gouvernement du Rhin‘ gefunden. Sie (die Frankfurterinnen) sind zugleich nachlässig, lebhaft, lärmend und dahinschmelzend; ihr Gang ist einer Göttin würdig und erinnert doch zugleich an die Bajaderen; ihr Fleisch ist aus Nectar und Ambrosia geknetet. Ihr blonder und schwarzer Haarwuchs rieselt in wohlriechenden Katarakten auf die marmornen Schultern etc.“

Das eigentliche Reiseziel Tissot’s ist München, aber da er gerade mitten in der bewegten Wahlperiode reist, macht er unterwegs Halt. Seine erste Station ist Würzburg; man erinnert sich, wie lebhaft hier der Kampf zwischen Ultramontanen und Nationalen tobte. Tissot widmet nun ein ganzes Capitel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_182.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)