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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Ein thüringischer Volksdichter.


Schon oftmals ist darauf hingewiesen worden, daß in den Erzeugnissen der Dialektdichter die Eigenart der einzelnen Volksstämme am deutlichsten und vollständigsten sich widerspiegelt, da in jeder Volksmundart sich ein eignes inneres Leben ausspricht, aus welchem in feineren Abstufungen eine besondere Nationalcharakteristik sich ergiebt. Die Anerkennung dieser cultur- und literarhistorischen Bedeutung der Dialektdichtung war es, welche den Altmeister Goethe veranlaßte, nächst den in Nürnberger Mundart verfaßten Gedichten des Bürgers und Stadtflaschners Johann Conrad Grübel zu Nürnberg (1800) und dem in der Straßburger Mundart herausgegebenen Lustspiele des Straßburger Professors Georg Daniel Arnold, „der Pfingstmontag“ (1816), namentlich die Gedichte desjenigen deutschen Dichters rühmend zu empfehlen, welcher auf dem Gebiete des Volksthümlichen die Meisterschaft erreicht hat, die Gedichte des in ganz Deutschland und über dessen Grenzen hinaus bekannten und geschätzten Classikers oberdeutscher Dialektdichtung, Johann Peter Hebel. Von ihm, dessen „alemannische Gedichte“ Goethe „allgemein erfreuliche“, und den selbst er „unschätzbar“ nennt, rühmt der Altmeister mit Recht: „Wünschen wir dem Oberrhein Glück, daß er des seltenen Vorzugs genießt, in Herrn Hebel einen Provinzialdichter zu besitzen, der, von dem eigentlichen Sinne seiner Landsleute durchdrungen, von der höchsten Stufe der Cultur seine Umgebungen überschauend, das Gewebe seiner Talente gleichsam wie ein Netz auswirft, um die Eigenheiten seiner Lands- und Zeitgenossen auszufischen und der Menge, ihr selbst zur Belustigung und Belehrung, vorzuweisen etc.“

Anton Sommer.

Um so erfreulicher ist es, daß auch andere deutsche Volksstämme treffliche Dialektdichter aufzuweisen haben, in deren Erzeugnissen die Eigenheit des einzelnen Volksstammes sich deutlich wiederspiegelt. Die Literaturgeschichte verzeichnet als solche Dialektdichter für das plattdeutsche Gebiet Klaus Groth und Fritz Reuter, für Oberschwaben Weitzmann, für das sächsische Vogtland Wild, für das sächsische Erzgebirge Grund, für Henneberg Motz, für Coburg Friedrich Hofmann, für Oesterreich Kaltenbrunner und Castelli, für Baiern und die Rheinpfalz Kobell etc. Alle Diese haben, mit größerem und geringerem Erfolge, als Volksdichter im eigentlichen Sinne mit dazu beigetragen, die Besonderheiten der von ihnen vertretenen Volksstämme in ihrer Mundart darzustellen und ihre Sitten und ihre Denkweise den anderen deutschen Stämmen näher zu bringen. Zu dem Kreise dieser Dialektdichter gehört auch Derjenige, welchem gegenwärtiger Aufsatz gewidmet ist und welcher einen der biedersten, treuesten deutschen Volksstämme in das Gebiet dieser Dichtungsweise gezogen hat, den Stamm des Thüringer Volks.

Es sind nun schon länger als fünfundzwanzig Jahre her, als (1849) unter dem bescheidenen Titel „Bilder und Klänge aus Rudolstadt in Volksmundart“ eine kleine Sammlung von Gedichten und Erzählungen erschien, welche ursprünglich nur für den Leserkreis berechnet waren, bei welchem die Bekanntschaft mit der Mundart des Rudolstädter Volksstammes vorausgesetzt werden konnte. Daß diese Dichtungen auch in entfernteren Gegenden Interesse erregen würden, hatte der bescheidene Dichter nicht erwartet. Um so erfreulicher ist diese glückliche Erfahrung, die den Dichter zu immer frischem Schaffen ermuthigte, denn seit jener Zeit sind die „Bilder und Klänge“ auf weitere vier Hefte angewachsen und liegen bereits in mehr als sechs Auflagen dem deutschen Publicum vor.

Der Name des Dichters ist von uns (Nr. 39, 1875) bereits genannt. Anton Sommer, der am elften December seinen sechszigsten Geburtstag feiert, ist der Sohn eines Rudolstädter Concertmeisters und war zur Zeit des ersten Erscheinens der „Bilder und Klänge“ Vorsteher einer Töchterschule zu Rudolstadt, nachdem er als einer der damaligen vielen schwarzburgischen Predigtamtscandidaten sich fast zehn Jahre als Hauslehrer in der Welt herumgeplagt hatte. Erst im Jahre 1863 erhielt er die Stellung eines Garnisonpredigers, in welcher er sich noch jetzt befindet.

Der Dichter der „Bilder und Klänge aus Rudolstadt“ hat sich ohne Zweifel den übrigen deutschen Dialektdichtern würdig an die Seite gestellt. Seine Stoffe hat er in den Gegenständen der ihn umgebenden Natur, ferner in dem Thüringer Kleinleben und zwar überwiegend in dem bürgerlichen Elemente desselben gefunden; daneben hat er specifisch Rudolstädtisches an Sagen und Lieblingsgeschichten behandelt und viele ältere Scherze und Anekdoten der Vergessenheit entrissen. Er hat sich dazu mit großem Geschicke die breite, etwas ungelenke Rudolstädter Mundart, wie sie in den gewöhnlichen bürgerlichen Kreisen vor zwanzig und mehr Jahren noch fast durchweg heimisch war, dienstbar gemacht, sodaß es nicht fehlen kann, daß die „Bilder und Klänge“ mit ihrer behaglichen naiven Sprache, der Wahrheit der Schilderung, dem volksmäßigen Vordergrunde, dem mannigfachen sittlich-didaktischen Inhalte überall den wohlthuendsten Eindruck auf den Leser hervorrufen, dem Dichter aber besonders in seinem Heimathlande Thüringen die wärmste Theilnahme zuwenden. Wer in so gemüthvoller Poesie, die Eigenart seines Volksstammes in dessen Mundart zu schildern und mit so frischem, niemals verletzendem Humor in das Thüringer Kleinleben einzuführen versteht, muß ein poetisches Gemüth, eine feine Beobachtungsgabe und vor Allem das offene Auge des Humors für die belustigenden Seiten an Menschen und Dingen haben; alle diese Eigenschaften treffen aber in dem Dichter der „Bilder und Klänge“ zusammen, welcher in diesen im Grunde nur eine Schilderung seines eigenen inneren Lebens geliefert hat. Viele der darin enthaltenen Geschichten lassen sich auf Anton Sommer’s Erinnerungen aus der Jugendzeit und auf die Erzählungen zurückführen, wie er solche vor Jahren in den berühmten Rudolstädter Localen: Rathhaus, Felsenkeller, Pörze etc. von älteren Bürgern hören konnte; in diesen in Prosa geschriebenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_193.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)