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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Vom Standesamte.


Das Jahr 1876 hat dem deutschen Reiche die ein Jahr vorher zuerst in Preußen allgemein eingeführte Institution der Standesämter gebracht. Bei der in alle bürgerlichen Verhältnisse tief einschneidenden Bedeutung des neuen Instituts dürfte eine Besprechung desselben hier von Interesse sein.

Im Standesamte bildet die Beurkundung des Personenstandes der Staatsbürger die Hauptthätigkeit der Beamten, denen dann freilich noch je nach den localen oder besonderen staatlichen Bestimmungen verwandte Geschäftszweige mit übertragen werden können. Die Beurkundung des Personenstandes zerfällt in drei Abschnitte: in die der Geburt, der Eheschließung und des Todes. Jeder, ohne Unterschied des Ranges oder Standes, des Geschlechts oder der Confession, ja selbst der Nationalität – denn in Deutschland lebende Ausländer unterliegen auch der Beurkundungspflicht vor dem Standesamte – wird dem Standesbeamten nahe treten müssen.

Ein geordnetes Staatswesen ohne Personenstandesbeurkundung ist nicht denkbar; die derzeitige Entwickelung des bürgerlichen Verkehrs erheischt mit Nothwendigkeit, daß über die Geburt jedes Bürgers im Staate, über seine Ehe, Ehescheidung, Adoption, Anerkennung als natürliches Kind, und über seinen Tod Urkunden, das heißt Beweise aller dieser Thatumstände vorhanden seien, welche dem Staate und allen anderen Bürgern gegenüber erbracht werden können. Die Art, in welcher diese Beweise geführt, also der Civilstand beurkundet worden, ist natürlich zu verschiedenen Zeiten eine sehr verschiedene gewesen.

Seit dem 1. Januar 1876 kann im deutschen Reiche eine Ehe rechtsgültig, also auch mit allen Folgen des gesetzlichen Erbrechtes, des Vermögens-Nießbrauches durch den Mann, der vollen Unterhaltspflicht des letzteren für Frau und Kinder etc. nur vor dem Beamten des Staates, dem Standes-Beamten, eingegangen werden. Die Schließung einer Ehe ist zulässig für Männer vom vollendeten zwanzigsten, für Frauen vom vollendeten sechszehnten Lebensjahre ab; in besonders zu begründenden Ausnahmefällen ist Dispensation durch die von den einzelnen Landesregierungen damit beauftragten Behörden, in Preußen z. B. durch den Justizminister, zulässig, und es sind desfallsige Gesuche bei den Gerichten erster Instanz abzugeben. Einer Einwilligung zur Eheschließung Seitens des Vaters, oder nach dem Tode des Vaters Seitens der Mutter bedürfen Söhne bis zum vollendeten fünfundzwanzigsten, Töchter bis zum vollendeten vierundzwanzigsten Lebensjahre; vater-, beziehentlich elternlose Kinder bedürfen, wenn sie einer Vormundschaft unterliegen, – und das ist in der Regel bis zum vollendeten einundzwanzigsten Lebensjahre der Fall – auch der Genehmigung des Vormundschaftsrichters und des Vormundes. Sind Vater oder Mutter zur Abgabe einer Erklärung dauernd außer Stande, oder ist ihr Aufenthalt dauernd unbekannt, so wird nach erbrachtem Nachweis dieser Umstände ebenso verfahren, als wären sie verstorben. Adoptivkinder bedürfen während der Dauer des Adoptivverhältnisses bis zu den vorerwähnten Altersgrenzen der Einwilligung ihrer Adoptiv-Eltern, und nur im Geltungsbereich des Code (Rheinlande) haben auch für Adoptivkinder die leiblichen Eltern den Heirathsconsens zu ertheilen. Großjährigen Kindern steht das Recht zu, wegen Verweigerung des Consenses Seitens des Vaters oder der Mutter sich an das Gericht ihres Wohnortes zu wenden, welches über die Erheblichkeit der Versagungsgründe in solchen Ausnahmefällen entscheidet.

Verboten ist die Ehe zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie, zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern, Stiefeltern und Stiefkindern, Schwiegereltern und Schwiegerkindern jeden Grades, zwischen Adoptirenden und Adoptirten, so lange das Rechtsverhältniß der Adoption unter ihnen besteht, und zwischen einem wegen Ehebruchs Geschiedenen und seinem Mitschuldigen. In dem letztgedachten Falle ist unter Umständen Dispensation zulässig, welche in Preußen auf Vortrag desjenigen Gerichtes, bei welchem der Ehescheidungsproceß in erster Instanz anhängig war (und bei welchem daher auch das Dispensationsgesuch zunächst anzubringen ist), von dem Justizminister, in den anderen Staaten von den damit betrauten obersten Landesbehörden ertheilt werden kann.

Bevor eine bereits verheirathet gewesene Person eine neue Ehe eingehen darf, hat sie nachzuweisen, daß ihre frühere Ehe aufgelöst, für ungültig oder für nichtig erklärt ist, auch ist für Frauen, welche eine neue Ehe schließen wollen, eine Wartezeit von mindestens zehn Monaten nach Beendigung der früheren Ehe vorgeschrieben, indeß kann für diesen letzteren Fall unter Umständen eine Dispensation bei den Gerichten erster Instanz nachgesucht werden. – Ferner dürfen Pflegebefohlene mit ihren Vormündern oder deren Kindern während des Vormundschaftsverhältnisses die Ehe nicht schließen. – Militärpersonen, Landesbeamte und Ausländer bedürfen noch eines speciellen Consenses zur Verheirathung und zwar active Militärpersonen vom Feldwebel abwärts der Einwilligung des Chefs oder Commandeurs des Regiments, Bataillons oder Corps, zu welchem sie gehören, Officiere der Erlaubniß des Landesherrn, Landes-Civilbeamte, welche bei der Wittwencasse receptionsfähig sind, der Erlaubniß des ihnen vorgesetzten Chefs, und nur die Reichs-Civilbeamten sind von Beibringung des Consenses befreit. Ausländer haben neben den sonstigen Erfordernissen noch ein Attest ihrer Heimathsbehörde in gehörig beglaubigter Form beizubringen, daß sie nach dortigen Gesetzen unbeschadet ihrer Staatsangehörigkeit zur Eingehung einer Ehe im Auslande befugt sind oder die nach diesen Gesetzen etwa erforderliche Erlaubniß zu der beabsichtigten Ehe erhalten haben. In Folge besonderer Staatsverträge sind jedoch von Beibringung eines solchen Attestes wiederum befreit die Angehörigen der Niederlande, Rußlands, Oesterreichs (ausgenommen Salzburg, Tyrol, Vorarlberg und Krain), Belgiens, Frankreichs, Großbritanniens, der Vereinigten Staaten Nordamerikas und Italiens, welche also nur den Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit zu führen haben und demnächst hinsichtlich der Eheschließung wie Inländer behandelt werden. Endlich ist noch von Personen, welche, zur Schließung einer neuen Ehe schreitend, aus der früheren minderjährige Kinder haben, durch ein Attest des Vormundschaftsrichters nachzuweisen, daß die gesetzliche Abfindung der letzteren stattgefunden hat, oder doch, daß Seitens des Richters gegen die beabsichtigte Eheschließung Nichts zu erinnern war.

Anderweitige Ehehindernisse nun, besonders wegen Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses, wegen bestehender Gelübde der Ehelosigkeit, geistlicher Verwandtschaft (zwischen Taufpathen oder Firmelungszeugen) oder wegen eines Verlöbnisses kennt das Reichsgesetz nicht.

Was den Eheschließungsact selbst anlangt, so gehört dazu unbedingt – und daran unterscheidet er sich wesentlich von der bisher in Preußen bestandenen Form des lediglich schriftlichen Vertrages – die von dem Standesbeamten in Gegenwart zweier großjährigen Zeugen an die Verlobten einzeln und nacheinander gerichtete Frage, ob sie erklären, daß sie die Ehe mit einander eingehen wollen, die bejahende Antwort der Verlobten und der hierauf erfolgende Ausspruch des Standesbeamten, daß er sie nunmehr kraft des Gesetzes für rechtmäßig verbundene Eheleute erkläre. Es wäre mithin für die rechtliche Gültigkeit des Actes ganz gleichgültig, ob hierauf noch die schriftliche Verhandlung von den Anwesenden unterschrieben wird oder nicht; gleichwohl wird über jede Eheschließung eine Verhandlung in urkundlicher Form ausgefertigt, um später und zu jeder Zeit, auch wenn die bei dem Acte zugegen gewesenen Personen längst nicht mehr vorhanden sind, den Nachweis der erfolgten Eheschließung führen zu können.

Es giebt noch zu erwähnen, daß der Eheschließung ein zweiwöchentliches Aufgebot vorangehen muß, welches in der Gemeinde des Wohnortes der Verlobten und, falls dieselben verschiedenen Wohnorten angehören oder in den jüngstvergangenen sechs Monaten ihren Wohnort gewechselt haben, in den hiernach in Betracht kommenden Gemeinden durch Aushang am Rath- oder Gemeindehause bekannt gemacht wird. Ein solches Aufgebot behält sechs Monate Gültigkeit. Eine Dispensation vom Aufgebote kann, wenn besondere Gründe dafür sprechen, nach Befinden der betreffenden Staatsregierung von dieser ertheilt werden (in Preußen von dem Oberpräsidenten); nur in Fällen lebensgefährlicher Erkrankungen kann der Standesbeamte eine Eheschließung auch ohne jedes Aufgebot sogleich vornehmen. Wenn einer der Verlobten sich an einem ausländischen Orte aufhält oder innerhalb der letztvergangenen sechs Monate aufgehalten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_248.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)