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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Augenverletzungen und deren Verhütung.


Keins von allen den Augenpaaren, deren Blick auf diese Zeilen fällt, wird sich rühmen können, immer von Verletzungen frei geblieben zu sein. Jeder windige Tag, an dem Staubwolken aufwirbeln, jede Fahrt auf der von rußigem Rauche umwehten Eisenbahn oder dem Dampfschiffe, jedes Vorüberwandeln an einem Hause, das eingerissen wird, bringt das Auge in die Gefahr, von einem Massentheilchen des Erdstaubes, der Steine, des Holzes etc. getroffen zu werden.

Wie unbedeutend und ungefährlich nun auch gewöhnlich diese Verletzungen zu sein pflegen, wenn sie, wie es zumeist geschieht, weniger das Auge selbst, als die dasselbe mit den Augenlidern vereinigende Bindehaut treffen, so sind sie doch im Stande, dem Betroffenen einige höchst qualvolle Stunden zu bereiten. – Unaufhörlich fließen Thränen aus dem gerötheten Auge; ein drückender, brennender Schmerz zwingt zu fortwährendem Reiben, wodurch das Uebel noch verschlimmert wird; nur mit Mühe kann der Patient noch die Lidspalte öffnen, um sich zu überzeugen, daß die Sehkraft noch nicht eingebüßt ist. Kalte Umschläge, Verbände, Auflegen von rohem Fleische, Semmelmilchbrei, „Nichts“ und wie die beliebten Hausmittel alle heißen vermögen nicht das Leiden zu mäßigen, bis endlich das Corpus delicti (gewöhnlich von unglaublicher Kleinheit im Verhältnisse zu den subjectiven Empfindungen) entweder von kundiger Hand entfernt, oder durch die Naturselbsthülfe, das heißt durch die vermehrte Thränenabsonderung und die reflectorischen Bewegungen der Lidmuskulatur (Zwinkern) aus den Bindehauttaschen fortgeschwemmt worden ist.

Oft lassen aber die Erscheinungen schon um ein Beträchtliches nach, wenn das Körnchen nach den weniger nervenreichen Umschlagsfalten der Bindehaut gebracht wird, wo selbst größere Körper längere Zeit, ohne Beschwerden hervorzurufen, verweilen können, wie ein Fall (des sehr ehrenwerthen Itzig Veilchendüft aus Polen) beweist, in welchem mehrere Monate lang eine – todte Wanze im Bindehautsacke herumgetragen wurde.

Bei diesen Vorkommnissen handelt es sich natürlich darum, den fremden Körper sobald als möglich zu entfernen, denn sobald die Ursache beseitigt ist, verschwindet auch die Wirkung. – Zunächst kann der Betroffene selbst versuchen, durch sanftes Drücken das Körnchen fortzuschaffen. Dieser Druck muß aber immer vom äußeren Augenwinkel nach dem inneren gehen, weil sich in dieser Richtung auch der natürliche Thränenstrom, der in der Thränendrüse (nach oben und einwärts vom äußeren Augenwinkel) entspringt und in den Thränensack (zur Seite der Nasenwurzel) sich ergießt, fortbewegt. Führen diese Versuche nicht zum Ziele, so ist es nöthig, die Augenlider umzudrehen und den Eindringling mit einem Pinsel, einem Stückchen Leinwand und dergleichen wegzutupfen. Das Augenlidumdrehen (auch Augenumdrehen genannt) ist nicht so schwierig, als daß es nicht auch von einer geschickten Laienhand ausgeführt werden könnte. Für das untere Augenlid genügt es, den Lidrand mit dem Daumen etwas nach unten gegen den deutlich fühlbaren unteren Rand der knöchernen Augenhöhle zu drücken, und den Patienten nach oben sehen zu lassen; dann springt förmlich die Bindehaut in Form eines röthlichen Wulstes vor. Beim Umdrehen des oberen Lides läßt man das Auge nach unten wenden, erfaßt mit Zeigefinger und Daumen der linken Hand die Wimpern und zieht an diesen das Lid nach vorn und so weit als möglich vom Augapfel ab. Darauf drückt man entweder mit der Seitenfläche des rechten Daumens oder einem dünnen runden Stäbchen auf die obere (äußere) Fläche des Lides, ziemlich nahe seinem oberen Rande, und bringt dadurch die innere Fläche zur Ansicht.

Ich würde für überflüssig halten, hinzuzufügen, daß die Operation des Lidumdrehens vollständig schmerzlos ist, wenn ich nicht aus täglicher Erfahrung wüßte, daß „zartfühlende Mütter“ ein umgedrehtes Lid „gar nicht sehen können“ und laut aufschreien, wenn man genöthigt ist, dem halbwüchsigen Sprößlinge, der vielleicht an ägyptischer Augenentzündung leidet, „das Rothe im Auge herauszukehren“.

Während wir schon oben diese mechanischen Regungen der Bindehaut als bald vorübergehend und gefahrlos bezeichnen konnten, müssen wir eine größere Bedeutung einer andern Reihe von Verletzungen beimessen, die den Augapfel selbst betreffen und meist dadurch hervorgerufen werden, daß ein kleiner, harter, specifisch schwerer Körper mit einer ziemlich bedeutenden Geschwindigkeit gegen das Auge geschleudert wird und dort haften bleibt.

Wie uns ein einziger Blick in den Spiegel lehrt, wird die geöffnete Lidspalte eingenommen von dem „Weißen des Auges“, das heißt der von dem durchsichtigen Theile der Bindehaut überzogenen derben, sehnigen Lederhaut (Sclerotica), und dem Sterne, das heißt der wie ein Uhrglas in die Lederhaut eingefügten durchsichtigen Hornhaut (Cornea), hinter der die Regenbogenhaut (Iris) mit dem von derselben umschlossenen runden Sehloche (Pupille) sichtbar ist.

Am häufigsten nun wird die so äußerst empfindliche und nur von einer einfachen Epithelzellenschicht geschützte Hornhaut von kleinen, mit Gewalt eindringenden Körpertheilchen, gewöhnlich Metallsplittern, verletzt, so zwar, daß dieselben in der Substanz der Cornea selbst in größerer oder geringerer Tiefe sitzen zu bleiben pflegen. – Was geschieht nach einer solchen Verletzung? Durch den Reiz, den der fremde Körper in dem nervenreichen, aber gefäßlosen Gewebe ausübt, wird eine Entzündung hervorgerufen, die, teleologisch betrachtet, den Zweck hat, durch Eiterung den Splitter zu lockern und auszustoßen. Nach einigen Stunden schon wird die dem „Weißen des Auges“, das heißt der Lederhaut aufliegende Bindehaut lebhaft geröthet; besonders um die Hornhaut herum bildet sich ein dichter rother Saum, der aus lauter kleinen bogenförmigen Gefäßchen besteht; dabei entwickelt sich starker Thränenfluß und eine höchst lästige Lichtscheu, die den Patienten zu krampfhaftem Lidschlusse veranlaßt. Auf der Hornhaut selbst bemerkt man, namentlich wenn man künstliches Licht durch eine Sammellinse auf derselben concentrirt, einen dunkeln Punkt, eben den fremden Körper, der von einem hellgrauen Hofe umgeben ist, welcher allmählich in das durchsichtige Hornhautgewebe übergeht. Dieser Hof wird nach und nach immer größer und undurchsichtiger; die heftigsten Stirnschmerzen treten ein; die Pupille wird eng und unbeweglich; endlich bildet sich um den fremden Körper herum durch eitrigen Zerfall des Gewebes ein förmliches Geschwür, ein Substanzverlust, der im schlimmsten Falle zum Durchbruche der Hornhaut und durch diesen zum Verluste des Sehvermögens führen kann.

Alle diese Erscheinungen werden sofort in ihrer weiteren Entwickelung gehindert, wenn es gelingt, den eingedrungenen Körper zu entfernen. Es giebt Laien, welche auch hierin durch häufige Uebung, wie sie sich z. B. in größeren Maschinenwerkstätten darbietet, eine gewisse Geschicklichkeit erworben haben, die ausreicht, wenn es sich um größere, mehr in der Oberfläche haftende Splitter handelt; in schwereren Fällen aber wird man immer gut thun, die Hülfe des Arztes anzusprechen, und zwar sobald wie möglich, ehe die reactive Entzündung begonnen oder größere Fortschritte gemacht hat. Der ganze Vorfall pflegt dann, nach Beseitigung der Ursache, in wenigen Stunden ohne besondere Folgen vorüberzugehen; die Narbe, welche von der kleinen Verwundung zurückbleibt, ist sowohl subjectiv wie objectiv kaum bemerkbar. Sind aber schon halbe oder ganze Tage bis zur Entfernung des eingedrungenen Körpers verflossen, hat sich schon jener graue Entzündungshof mit seinen Begleiterscheinungen entwickelt, dann wird nicht nur eine mehrtägige Arbeitsunfähigkeit die Folge sein, sondern es wird auch auf der Hornhaut selbst ein dauernder, heller, undurchsichtiger Fleck zurückbleiben, der namentlich dann, wenn er in den Bereich der Pupille fällt, die Sehkraft des Auges auf das Empfindlichste zu stören im Stande ist.

Noch viel verderblicher aber wird sich der Proceß gestalten, wenn das kleine Projectil mit solcher Gewalt an das Auge geschleudert wurde, daß es die äußeren Häute desselben durchbrach und in das Innere des Organs selbst eindrang. Dann ist es oft der geschicktesten, sachkundigen, mit den besten Instrumenten bewaffneten Hand nicht mehr möglich, den Splitter aus der Tiefe hervorzuholen; es entwickelt sich über kurz oder lang unter den fürchterlichsten Schmerzen eine Entzündung des ganzen Augapfels, die zu dessen totaler Erblindung führt, ja oft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_264.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)