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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

hinten bis auf den Rücken und Schultern herabhängen; eine solche Haube soll oft an zweihundert Gulden kosten. Beide faßten jetzt einen ansehnlichen Pack in ein Betttuch eingeschlagenes Bettzeug, schwangen es ein paar Mal hin und her und warfen es im Schwunge herab. Das ist der große Augenblick für den jungen Mann. Er muß das nicht leichte und schwer handhabliche Pack kunstgerecht auffangen, ohne Schwanken und Wanken, wie es einem richtigen Schwälmer gebührt. Ich war ein wenig besorgt um unsern Helden, denn er erschien mir nicht als besonders kräftig, aber er verstand seine Sache, fest fing er das Pack mit den Armen und hob es auf den Kopf, und begleitet vom allgemeinen Jubel trug er’s im Triumph die Treppe hinauf, als erstes Kammerstück in’s Haus. –

Es soll vorkommen, daß dieses Kunststück mißlingt, daß das Pack auf die Erde fällt oder den Auffänger umwirft; dann wehe dem Sünder! Er hat’s mit seinem jungen Weibe für lange Zeit verscherzt.

Nachdem Stück um Stück vom Wagen gehoben und in’s Haus gewandert war, kam zu guter letzt „der Flachs für die Armen“, welcher unter die Menge geworfen und auf diesem Wege schwerlich auf das Gerechteste vertheilt wurde. Mit diesem Knalleffect schloß das heitere Schauspiel. Die junge Frau war damit von der Bewohnerschaft an- und aufgenommen, und noch nach Jahren, wenn die silberne Hochzeit an den heutigen Tag erinnert, giebt es Leute genug, welche genau zu erzählen wissen, wie viel Körbe und Kisten dazumal die Anne-Marie dem Hans Klos auf dem Kammerwagen mitgebracht hat.

H. v. C.




Heinrich Beta. Am 23. März dieses Jahres lief von Berlin eine Zuschrift meines alten Mitarbeiters Heinrich Beta ein, das Manuscript der in vorletzter Nummer abgedruckten „Erinnerungen an Ferdinand Freiligrath“ enthaltend. Der Verfasser gedachte mit Wehmuth seines nun auch dahin geschiedenen Freundes, mit dem er in London das Exil getheilt und schloß seine mit der gelähmten Hand nur mühsam auf das Papier gekritzelten Bleistiftzeilen mit den Worten:

„So sinken sie Alle hinab, Einer nach dem Andern. Nur ich elendester Krüppel muß immer noch warten. Aber ich rufe bei jedem solchen Todesfalle:

Warte nur, balde
Ruhest Du auch.

Ich hoffe nun endlich ziemlich bestimmt, daß dieser Frühling für einige Blumen auf meinem Grabhügel sorgen werde[.] Also der Vorsicht wegen gleich ein herzliches Lebewohl für diese Erde von Ihrem alten treuen dankbaren

Beta.“

Tief erschüttert, aber doch ohne alle Besorgniß antwortete ich sofort dem Freunde zurück, er sei noch zu frisch zum Sterben, und nächsten Winter werde er wie sonst die Schneeflocken draußen lustig tanzen sehen, um dann später wieder hinauszuziehen nach Thüringen, wo er sich mit jedem Sommer frische Kraft und neuen Lebensmuth geholt. – Sechs Tage darauf schon traf von Berlin die Nachricht ein, daß er doch Recht gehabt und sein sehnlichster Wunsch erfüllt sei.

Seit dreißig Jahren bin ich mit diesem braven Menschen Hand in Hand gegangen, vormärzlich noch im „Leuchtthurm“, als es galt, unter dem furchtbaren Drucke der Censur in den vorsichtigsten Formen alle die Forderungen der Freiheit anzuregen, welche in jenen Tagen noch halb bewußt und unklar im Volke gährten und deren Verwirklichung nach einigen Jahren schon durch die siegreiche Erhebung des Volkes erkämpft werden sollte. Er war mir damals schon ein lieber, treuer Camerad. Mit allem Feuer einer freiheitsglühenden Seele trat er dann in den Jahren 1848 bis 1850 in die Kämpfe der Volksbewegung ein, und wie scharf und schneidig sein Federschwert die compacte Masse der Reaction traf und verwundete, das sollte er bald genug in den Verfolgungen erfahren, die von allen Seiten auf den treuen Verfechter seiner Ueberzeugung einstürmten. Um langjähriger Kerkerhaft zu entgehen, floh er endlich nach London. Dort hat er anfangs das ganze Elend des Flüchtlingslebens, die volle Bitterkeit des Exilbrodes durchgekostet. Aber seine Energie, seine bedeutenden Kenntnisse und der eigenthümliche Humor seiner Schreibweise, der überall Anerkennung fand, ließen ihn nicht zum Sinken kommen, und als er kurz vor Weihnacht 1852 in der „Augsburger Allgemeinen“ die erste Ankündigung der „Gartenlaube“ las, begrüßte er von London aus sofort hocherfreut das neue Unternehmen und bot seine Kräfte für die damals noch sehr kleine und schwache Anpflanzung an. Seitdem sind vierundzwanzig Jahre vergangen, und wie redlich er mitgeholfen an der Ausdehnung und dem Aufschwunge der „Gartenlaube“, das wissen Alle, die unser Blatt mit Aufmerksamkeit verfolgt haben.

Die Leser der ersten vier oder fünf Jahrgänge werden sich noch mit Vergnügen der trefflichen Schilderungen aus überseeischen Ländern, namentlich aber aus London, erinnern, die in den Jahren 1853 bis 1857 fast in jeder Nummer unserer Zeitschrift zur Erscheinung kamen. Damals mußte trotz der garantirten Preßfreiheit noch jedes Wort vorsichtig abgewogen werden, und Beta verstand es vortrefflich, in der unschuldigsten, harmlosesten Form der Schilderung alle die Principien und freiheitlichen Fragen wieder zur Geltung zu bringen, für die wir früher gestritten und gelitten. Sein feines Gefühl für alles Edle und Humane, sein unablässiges Streben, der Menschheit, und namentlich der ärmeren Classe derselben, zu nützen, sein scharfer und praktischer Blick, machten ihn zum wahrhaft genialen Pfadfinder auf der Suche nach Stoffen, die er alle im Sinne des Volkswohls und der Humanität zu verwerthen wußte. Ob „Afrikanisches Palmenöl“ oder „Londoner Krystallpalast“, ob „Markthallen“ oder „Krankenhäuser“ – er verstand es überall, den guten Kern und die Nutzanwendung zur Förderung des allgemeinen Wohls herauszufinden und in liebenswürdiger, warmer und geistreicher Weise zu motiviren. Wenn hier und da auch etwas flüchtig und sanguinisch – anregend und erfrischend waren diese Artikel sämmtlich und haben viel und nachhaltig gewirkt.

Die Generalamnestie ermöglichte es auch ihm endlich nach dem geliebten Vaterlande zurückzukehren, in dessen Zustände und Fragen er sich sofort mit vollem Verständniß der Sachlage wieder hineinarbeitete. Nach allen Seiten knüpfte er neue Verbindungen an, die ihn in den Stand setzten, seine Bestrebungen und Ueberzeugungen mit in die Wagschale der Oeffentlichkeit zu legen, und bald war sein Name überall zu finden, wo es galt, für die gute Sache zu wirken. Keck und frisch in der originellen, oft barocken Form seiner Schreibweise, scharf, aber stets sachgemäß und nie persönlich, der Einigung des Vaterlandes mit Begeisterung ergeben, aber ohne unterthänige Anbetung des augenblicklichen Erfolgs, wußte er mit offenem Auge jeder politischen, socialen oder volkswirthschaftlichen Frage das rein Menschliche abzugewinnen und im Sinne der Humanität zu beleuchten, bis ihm – seine Thätigkeit hemmend – vor circa sechs Jahren ein furchtbares Gichtleiden die Finger verkrümmte und seinen Körper in einer Weise lähmte, daß jede selbstständige Bewegung aufhörte und er nur wenig noch, und dann nur mit dem Bleistift, zu schreiben vermochte. Aber selbst auf dem Krankensessel hielt ihn die alte Energie aufrecht; er dictirte von da ab und arbeitete ohne Unterlaß weiter im Dienste des öffentlichen Wohles und des – Journalismus. Mit selbstloser Hingebung für seine Aufgabe, fast Tag für Tag anregend, ermunternd, belehrend, oft erhebend – ein echter Journalist und ehrlicher Patriot, so hat er gearbeitet, bis ihm der Tod auch den Bleistift aus der Hand nahm und seinem Kampfe um’s Leben und die höchsten Güter der Menschheit ein Ende machte. Für den Journalisten hat die Nachwelt keine Kränze – mir aber, der so lange Jahre Gelegenheit hatte, einen Einblick in das verdienstliche Lebenswerk des Heimgegangenen zu thun, mir ist es Bedürfniß des Herzens, ihm an dieser Stelle meinen wärmsten Dank in das Grab nachzurufen.

Von allen Mitarbeitern des ersten Jahrgangs der „Gartenlaube“ leben zur Stunde nur zwei noch: Ludwig Storch und der Schreiber dieser Zeiten. Wie lange noch – und auch für uns gelten die Schlußzeilen des Beta’schen Briefes:

„Warte nur, balde
Ruhest Du auch.“

E. K.




Zum Capitel der literarischen Unverschämtheiten haben wir leider im Nachfolgenden einige neue Daten zu liefern. E. Marlitt hat wiederum unter den Heimsuchungen der bekannten Bühnenpiraten zu leiden. Nachdem von ihrer augenblicklich durch unser Blatt laufenden Erzählung „Im Hause des Commerzienrathes“ kaum die ersten vier Nummern erschienen waren, wurden bereits dramatische Bearbeitungen derselben für das „Vorstädtische“ und das „Reunion-Theater“ in Berlin angekündigt, erstere von Hugo Busse, letztere von Fr. Wagner. Die dreisten Herren Bearbeiter fügten also auf eigene Faust der noch völlig unfertigen Erzählung Fortsetzung und Schluß für die Bühne höchst ungenirt an, ganz wie die „Temesvarer Zeitung“ (nicht zu verwechseln mit der von Albert Strasser redigirten „Neuen Temesvarer Zeitung“), welche die Marlitt’sche Erzählung seit dem Verbote unseres Blattes in Ungarn bekanntlich auf höchsteigener Phantasie zu Ende führt. Die genannten Bühnenbearbeitungen sind denn auch auf den Berliner Theatern wiederholt zur Aufführung gekommen. – Ferner geht uns aus Lübeck die Mittheilung zu, daß in einem dortigen Localblatte ebenfalls die Busse’sche Bearbeitung von „Im Hause des Commerzienrathes“ als Zugstück für die daselbst bevorstehende Sommer-Saison angekündigt worden, von zahlreichen anderen Bühnen gar nicht zu reden. Und gegen solche plumpe Vergewaltigungen sind wir völlig schutzlos!

Neben Marlitt wird E. Werner von literarischen Commis voyageurs heimgesucht. Schon jetzt, da sie ihre neueste Arbeit noch nicht einmal vollendet hat, ist sie von zwei sogenannten Bühnenbearbeitern aufgesucht worden, welche sie um die Erlaubniß der Dramatisirung des noch unfertigen Romans angingen. Diese Herren Scribenten hatten sogar die Dreistigkeit, ganz naiv einzugestehen, daß sie mit Rücksicht auf den pecuniären Ertrag und das fortwährende Vorgreifen der Berliner Theater auch ihrerseits den Abschluß des Romans in unserem Blatte nicht abwarten könnten. Sie scheinen also im Auftrage von zwei nicht Berliner Bühnen zu arbeiten. Selbstverständlich hat E. Werner diese unverschämte Zumuthung mit der gehörigen Entrüstung zurückgewiesen.

Daß das literarische Renommée unserer geschätzten Mitarbeiterin noch außerdem in schwindelhafter Weise ausgebeutet wird, entnehmen wir einem Briefe derselben, den die „Vossische Zeitung“ vor einiger Zeit abdruckte. Es werden in demselben gewisse Berliner Kreise vor einer unverschämten Hochstaplerin gewarnt, die den zufälligen Umstand, daß ihr Name mit dem Pseudonym unserer Autorin gleichlautet, zur Erschwindelung von Unterstützungen in wohlhabenden Häusern der deutschen Reichshauptstadt benutzt, indem sie sich mit frecher Stirn für die Verfasserin der bekannten Werner’schen Romane unseres Blattes ausgiebt. Die Betrügerin ist eine gewisse Werner, genannt Iglisch oder Incliff, eine sehr übel beleumundete und bereits bestrafte Person, die sich noch vor Kurzem in einem Berliner Hôtel garni aufhielt und von dort aus ihre Brandschatzungen in Scene setzte. Wir bringen dies zur öffentlichen Kenntniß, um der Schwindlerin, falls sie irgendwo anders auftauchen sollte, hiermit einigermaßen das Handwerk zu legen.




Bock’s Buch. Vor kurzer Zeit erst hatten wir die Freude, unseren Lesern mittheilen zu können, daß von Bock’s „Buch vom gesunden und kranken Menschen“ die 20,000 Exemplare umfassende zehnte Auflage innerhalb eines Jahres vergriffen worden. Heute sind wir in der angenehmen Lage, unter Hinweisung auf die unserer diesmaligen Nummer angefügte Beilage zur Kenntniß bringen zu können, daß von der elften Auflage des berühmten Buches die erste Lieferung nunmehr zur Versendung gekommen ist. Bei der anerkannten Vortrefflichkeit des Werkes bedarf es wohl nicht einer besonderen Empfehlung desselben. Bock’s „Buch vom gesunden und kranken Menschen“ ist in fast allen deutschen Häusern diesseits und jenseits des Oceans heimisch.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_294.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)