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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

wieder Einsprache thun wollte, „dort sitzt ein Haken, der schon manches Glück zerrissen hat. Und manche Vernunftehe ist über Erwarten gut ausgefallen, weil die Gatten sich von vorn herein einer gewissen Rücksicht befleißigten, die fortdauert, wenn die verliebten Leutchen, die sich noch vor drei Monaten wonnevoll Alles an den Augen absahen, schon dreimal am Tage über einander in Harnisch gerathen. Die guten Formen sind überall nothwendig, am nothwendigsten aber zwischen Freunden und Eheleuten, damit man nicht vor lauter Aufrichtigkeit in das plumpe Sichgehenlassen geräth, welches alle Grazie und Poesie ausschließt. Darüber wacht, ihr Frauen, und laßt kein häßliches Wesen im Hause aufkommen, zeigt Euren Männern den Weg zur ‚idealen Existenz‘, statt sie sechs Wochen nach der Hochzeit zu den unerfüllbaren Träumen zu legen! Wir selber danken es Euch am meisten, wenn Ihr diese Forderung erfüllt. Ihr versteht es ja, das so liebenswürdig zu machen, wie die hier, die Haus, Kinder und Mann am Fädchen hat und dabei noch thut, als wüßte sie gar nichts davon.“

„Sei still!“ sagte Felicitas und legte ihm die Hand auf den Mund, „solche Reden schicken sich gar nicht für einen alten Ehemann, wie Du bist.“

Während er sie an sich zog, sagte die Tante trocken: „Du hast gut lachen, könntest auch lange suchen, bis Du wieder so Eine findest.“

„Ganz meine Ansicht,“ rief Doctor Pfefferkorn. „Die Herrschaften betrachten ihren Ausnahme-Standpunkt auf dem Berggipfel als den allgemeinen. Aber sehen Sie doch einmal, was sich da drunten im Thal auf der großen Heerstraße fortwälzt in Schweiß und Staub und trostloser Mühsal, in ewig wiederholtem Kampf um das gemeine Tagesbedürfniß, fern von Ihren idealen Lorbeerhainen und Musentempeln, von kleinen Leidenschaften bewegt, mit elend ausgebrannter Liebe, wenn man Das, was sie zusammenführte, überhaupt so nennen kann – puh!“ er schüttelte sich, „und dann sprechen Sie weiter, wenn Sie das Herz haben, von Ihrer Weltverbesserung!“

„Gerade darum!“ sagte Felicitas tief erregt, „Arnold hat tausendmal Recht, gerade darum! Wenn die Menschen mühsam ringen und streben und um ihr tägliches Brod kämpfen müssen, so sollten sie nicht vergessen, daß der höchste Schatz des Lebens, ohne welchen alle Glücksgüter nur leerer Schein sind, nicht von äußeren Dingen abhängt, sondern Jedem zu Theil wird, der ihn zu heben weiß. Wie hundertfach ist es vorgekommen, daß zwei Menschen, die sich innig liebten, in den härtesten Schicksalen treu zusammen hielten und in ihrer Liebe glücklich waren! Warum sollen denn die kleinen täglichen Widerwärtigkeiten, die mit gutem Willen alle zu überwinden sind, mächtiger auf das Menschenherz wirken, als Noth und Tod?“

„Aus demselben Grunde, warum ein Löwe leichter zu erlangen ist, als ein Schwarm Mücken,“ versetzte der Professor. „Außerdem übersehen Sie, verehrte Freundin, die mächtige Wirkung der Zeit auf das menschliche Gemüth. Die Abkühlung ist natürlich, denn die Liebe hat ihre von der Natur bestimmten Stadien, welche der Einzelne ganz ohne sein Zuthun durchmacht, und es ist unmöglich, etwa im dritten oder vierten mit Gewalt das erste wieder erneuern zu wollen. Das letzte ist die Freundschaft, wenn die Beiden geistig harmoniren, und die Gleichgültigkeit, wenn dies nicht der Fall. Stillschweigend giebt man das in der Praxis zu, und weil eben die meisten Ehen von der einen Seite aus Verliebtheit, von der anderen mit Rücksicht auf die Versorgung geschlossen werden, so kommt dann, wenn die Illusionen verflogen sind und man sich in die guten Verhältnisse gewöhnt hat, das Mißbehagen und die gegenseitige Kritik. Allerdings spielt dafür bei uns die Eifersucht nicht entfernt die Rolle, wie bei den lateinischen Racen, wo der Einzelne es mit dem Wechsel der Person nicht genau nimmt, wenn es gilt, seinen Anspruch auf irdisches Glück durchzuführen.“

„Dazu kann sich die germanische Race gratuliren,“ sprach Doctor Aegidius voll Ueberzeugung. „Die Eifersucht ist und bleibt doch die abgeschmackteste aller Leidenschaften. Ueberflüssig, so lange man geliebt wird, höchst überflüssig, wenn dies nicht mehr der Fall, schadet sie nur der Verdauung und gewährt nicht einmal einen Genuß, wie andere üble Gewohnheiten. Nein, dieses Laster wäre nie das meinige gewesen.“

„Dafür haben Sie ein Dutzend andere,“ sagte seine Freundin.

„Nur schade, daß man mit allen Vernunftgründen gegen ein so natürliches Gefühl nichts ausrichtet!“ erwiderte die Hausfrau. „Ich meine damit nicht die tollen Ausbrüche einer grundlosen Eifersucht, sondern die schmerzliche Angst, zu verlieren, was man am meisten liebt, ohne dagegen ankämpfen zu können. Nur geben viele Frauen ihre Sache allerdings zu früh verloren, weil sie über ihren eigenen Werth zu kleinlich denken.“

„Die Frauen, warum gerade die Frauen? Wir sprechen ja im Allgemeinen,“ fragte boshaft der Doctor. „Oder sollten die Frauen bei uns mehr Ursache zur Eifersucht haben, als die Männer, während es anderwärts umgekehrt ist?“

„Allerdings,“ erwiderte Felicitas, „und den Grund werde ich Ihnen nicht zu sagen brauchen.“

„Nein,“ rief er voll Vergnügen, „aber ich werde ihn Ihnen sagen, und wenn Sie mir auch nachher mit vereinten Kräften den Kopf herunterreißen. Die meisten deutschen Frauen stecken nach der Hochzeit das Interessantsein gänzlich auf, weil es eben nur ein Mittel zum Zweck war und der Zweck erreicht ist. Die poetische Rose verwandelt sich äußerst schnell in eine nutzbare Kartoffel und ist als solche vor indiscreten Schmetterlingen sicher. Ader ein gewisses unangenehmes Gefühl davon hat man doch, und wehe, wenn dann einmal so ein fremder Vogel hereinkommt und die alten Ehemänner anfangen sich nochmals zu begeistern. So etwas kann lebensgefährlich werden.“

„Pfui, pfui, Sie abscheulicher Verleumder!“ erschallte es in großer Entrüstung, auch die Herren versäumten nicht, ihren tiefgefühlten Abscheu gegen die lästerlichen Reden des Doctors kund zu thun, der sich indessen sehr gemüthsruhig wieder das Glas füllte.

Unter den Aufgestandenen war Olga ein paar Schritte seitwärts getreten, und Richard benutzte die allgemeine Aufregung ihr leise zu sagen: „Kommen Sie, Fräulein Olga! Wir als die Unbetheiligten setzen uns dort unter die große Palme. Sie müssen mir noch einen Rath für mein Bild geben. Wenn die Leidenschaften hier den Siedepunkt erreichen, interveniren wir.“

Während die Beiden lachend dem Hintergrunde zuschritten, hatten die Anderen auf das Zureden der Hausfrau wieder Platz genommen, und sie selbst sagte eben: „Es ist auch zudem gar nicht wahr, die Untreue kommt bei uns sehr selten vor, und der Grund ist einzig und allein, daß Männer und Frauen pflichttreuer sind als anderswo.“

„Aber dadurch nicht liebenswürdiger,“ warf der Professor ein. „Man steift sich auf seinen tadellosen Lebenswandel und macht sich gegenseitig das Leben sauer –“

„Mit germanischer Gründlichkeit,“ ergänzte der Doctor unbeirrt, „wie ein Landregen, der nimmer aufhört. Aber wo ist die Frau, die nach einem ehelichen Spectakel, wenn der Mann meinetwegen grob und gefühllos – so heißt es ja wohl meistens? – gewesen ist, von selbst käme und sagte: ‚Ich bin Dir wieder gut.‘ Vor dieser Frau wollte ich knieen, aber so lange die Welt steht, ist das noch nicht vorgekommen.“

„Wäre auch noch schöner,“ rief die Tante erbost. „Das hieße ja ordentlich eine Prämie auf seine Grobheit setzen.“

„Das würde ihn sicherer davon curiren, als der bis jetzt beliebte Modus des Schmollens und Forttrotzens. Es muß einen unendlichen Genuß gewähren, dieses tagelange Herumgehen mit dem Gesichte voll Wetterwolken, die nur auf das Stichwort warten, um ihre Thränenschleußen zu öffnen.“ Er lachte vor sich hin.

„Ein gefährlicher Genuß ist’s,“ sagte Arnold. „Die erste Versöhnung nach kurzem Schmollen ist entzückend. Man glaubt, sich noch viel lieber zu haben als vorher, und im Anfange entschädigen solche Versöhnungsscenen für den vorausgegangenen üblen Eindruck. Nach und nach aber verlieren sie bedeutend an Reiz und Süßigkeit und werden zuletzt der Zeitersparniß halber weggelassen, während man sich die heftigen Reden nicht mehr abgewöhnt. Der Anfang entscheidet hier Alles. ‚Käthchen, hüte Dich vor dem Ersten!‘ pflegte ein gemüthvoller Russe zu seiner jungen Frau zu sagen – er gehörte jedenfalls einer früheren Generation an, Fräulein Olga,“ rief er nach der Palme hinüber. „Aber wo ist sie denn? Sie stand ja eben noch mit Richard dort.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_320.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)