Seite:Die Gartenlaube (1876) 351.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


leiten lassen, ohne seine souveräne Macht gegen diese Landesverderber zu gebrauchen, bis es endlich selbst den moralischen Halt verloren hat und, wie es fast scheint, unfähig geworden ist, die schmählichen Fesseln, welche es sich selbst geschmiedet hat, abzuschütteln.

Nirgends ist diese Corruption widerwärtiger und schamloser hervorgetreten, als im Beamtenthume der Republik, von dem geringsten Stadtbeamten an aufwärts durch alle Stufen bis in die Nähe des höchsten Beamten der Republik, der im Weißen Hause zu Washington in hoher Majestät thront. Gerade hier sind in letzter Zeit Thatsachen aufgedeckt worden, die doch selbst unser gleichgültiges Volk, das für solche Enthüllungen gewöhnlich nur ein cynisches Lächeln hat, ein wenig aufrütteln. – Es gab eine Zeit, da die demokratische Partei für alles Unheil und für alle Sünden, die das Land befleckten, verantwortlich gemacht wurde, und die Republikaner von vielen Bessergesinnten als die Retter des Staatsschiffes angesehen wurden. Allerdings hatten die Demokraten viel zu verantworten. Sie hatten während des Bürgerkrieges, zum Theil wenigstens, mit den Südstaaten sympathisirt; sie hatten den Ultramontanen manche Concessionen gemacht; sie hatten sich von so durch und durch verkommenen Verbindungen, wie die berüchtigte Tammany-Gesellschaft in New-York, deren Seele und Leiter der Millionendieb Tweed war, blindlings leiten lassen, sodaß sie endlich der Verachtung aller Rechtlichgesinnten des Landes anheim fielen.

Aber auch die republikanische Partei erfüllte die auf sie gesetzten Hoffnungen nicht. Sie versprach Reformen, verfehlte aber dieselben vorzunehmen; sie erniedrigte sich zu einem gefügigen Werkzeuge des Präsidenten und versank immer mehr in eine selbstsüchtige Parteipolitik, welcher die wahren Interessen des Landes schmählich geopfert wurden. Der Versuch, eine Reformpartei zu gründen, welcher von redlichen Patrioten wie Schurz, Greely, Sumner und Anderen gemacht wurde, scheiterte theils an der Macht der herrschenden Partei, theils an unwürdigen Intriguen im Lager der Reformer selbst, und so hatte die corrumpirte Grant-Partei, mit welchem Namen die Republikaner während der letzten Jahre mit Recht bezeichnet worden sind, freies Feld, um ihre unheilvolle Politik nach allen Seiten hin auszuüben. Offenkundige Bestechlichkeit, frecher Nepotismus, schmähliche Günstlingswirthschaft und der schamloseste Diebstahl am öffentlichen Eigenthum bezeichnen diese traurige Periode unserer Geschichte, die in den Enthüllungen der letzten Monate ihren Höhepunkt der Schmach und Schande erreicht hat. Eine kurze Uebersicht dieser Enthüllungen wird nicht nur den Grad der Corruption, auf welchem das amerikanische Beamtenthum angelangt ist, sondern auch einige Ursachen, welche diesen traurigen Zustand erzeugt haben, beleuchten.

Wer den Verhandlungen des Congresses einige Aufmerksamkeit geschenkt hat, wird sich erinnern, wie die Volksvertreter vor einigen Jahren den Versuch machten, das Land um eine bedeutende Geldsumme unter dem Namen einer Gehaltserhöhung zu beschwindeln. Ihr bisheriger, wahrlich nicht geringer Gehalt von fünftausend Dollars schien ihnen für die Anforderungen des Washingtoner Hoflebens nicht mehr genügend; sie erhöhten ihn also auf siebentausendfünfhundert Dollars, und zwar sollte das neue Gesetz selbst auf das verflossene Amtsjahr rückwirkende Kraft haben. Damit aber ihr Herr und Meister keine Hindernisse in den Weg legen möchte, wurde sein bisheriger Gehalt von fünfundzwanzigtausend Dollars verdoppelt. Das Gesetz passirte, und nur einige Congreßmitglieder waren ehrenhaft genug, die schnöde Bewilligung mit Entrüstung zurückzuweisen; die Meisten steckten sie ohne alle Scrupel in die Tasche, indem der Präsident mit gutem Beispiele voranging. Dieses Gebahren war indeß dem Volke doch zu stark; ein Sturm der Entrüstung erhob sich im ganzen Lande und der moralische Druck wurde so stark, daß die saubere Gesellschaft das Gesetz widerrief, und den Raub wieder herauszugeben für gut befand. Nur Einen rührte des Volkes Stimme nicht: den Mann im Weißen Hause. Grant behielt vergnügt lächelnd seine fünfundzwanzigtausend Dollars.

Die Gesetzgeber wußten sich anders zu helfen. Um die großen schwindelhaften Eisenbahnunternehmungen in Scene zu setzen bedurfte man einer Unterstützung aus dem Schatze der Nation; diese konnte aber nur der Congreß gewähren. Und er öffnete denselben auf’s Freigebigste. Die Centralpacifische Eisenbahn, die vollendet wurde, und die Nordpacifische, die mit dem Falle des Hauptunternehmers, Jay Cooke, als Seifenblase zerplatzte, erhielten fürstliche Landschenkungen längs den Bahnlinien, nebst anderen großartigen Bewilligungen und Vergünstigungen, die dem gewissenlosesten Verschleudern des öffentlichen Eigenthums gleichkamen. Freilich umsonst that der Congreß dies Alles nicht, aber für Geld, Actien und andere Werthpapiere war Alles zu haben, das Vermögen des Volkes, sowie die eigene Ehre nicht ausgenommen. Die Sache wurde laut, eine Untersuchung fand statt und enthüllte das ganze unredliche Treiben. Nicht nur als corrumpirt bekannte Congreßmitglieder, sondern Männer, die bisher als Muster der Unbescholtenheit gegolten hatten, wurden compromittirt, und obwohl manche freigesprochen, blieb der Makel der Bestechlichkeit doch auf ihnen haften; des Volkes Stimme verurtheilte sie, und mit Recht.

Gewöhnt, die Mehrzahl seiner Vertreter in Washington sowohl wie in den Legislaturen als feile Diener der großen Corporationen und Monopolisten anzusehen, den Präsidenten aber als einen Mann, der, zu kurzsichtig oder zu schwach, um dem Treiben seiner Parteigenossen zu steuern, selbst einem Nepotismus huldigte und eine Günstlingswirthschaft einführte, die allem Rechtsgefühle Hohn sprach, war das Volk doch nicht auf eine so totale Verrottung des ganzen Beamtenstandes bis in die höchsten Regionen hinein vorbereitet, wie sie durch die Enthüllungen der letzten Monate bloßgelegt worden ist.

Die unverhältnißmäßig hohe Steuer, welche von manchen Fabrikaten erhoben wird, war schon längst der Gegenstand vieler Klagen gewesen; namentlich hatten Destillateure und Brauer unter diesem Drucke hart zu leiden. Die Steuer auf destillirte und gegohrene Getränke war im Verhältnisse zum Marktpreise derselben so hoch, daß die Fabrikanten bei einer gewissenhaften Beobachtung der Gesetze nicht bestehen konnten; die Versuchung zur Umgehung derselben lag demnach sehr nahe, und dies war denn auch in den letzten Jahren in einem unglaublichen Grade geschehen. Die Steuerbeamten bei der Revision der Brauereien und Brennereien zu hintergehen, wurde zu gefährlich; man mußte also diese Herren mit in’s Interesse ziehen und den Betrug gemeinschaftlich treiben. Diese Aufgabe war keine allzu schwierige; Geld ebnete auch hier alle Wege, und es gab Wenige, die nicht gegen gute Bezahlung nichts sahen, was die Fabrikanten verborgen zu halten wünschten. Die meisten Beamten wurden wahre Blutegel, die für ihr Schweigen enorme Summen erpreßten, ja, es kam so weit, daß sie den Destillateuren die Quantität von unversteuerten Spirituosen, die sie monatlich fabricren mußten, förmlich vorschrieben, damit sie die hohen Bestechungssummen unverkürzt beziehen konnten. Die Unterbeamten waren allerdings fast gezwungen, hohe Preise zu fordern, denn auch sie konnten den Betrug nicht gefahrlos treiben, ohne die Oberbeamten mit in’s Complot zu ziehen, und diese thaten so wenig wie ihre Collegen etwas umsonst. Diese großartige Verschwörung, bekannt unter dem Namen des „Whiskey-Ringes“, war ein öffentliches Geheimniß. Jedermann wußte darum, die Regierung selbst am genauesten, denn in Washington liefen die Fäden, welche die Operationen dieser hochachtbaren Diebsbande verknüpften, schließlich zusammen. Und dennoch geschah nichts, um dem Unwesen zu steuern – wer sollte es auch thun? Der „Whiskey-Ring“ war reich und einflußreich und konnte alle Versuche, ihn zu brechen, zum Verderben des Anklägers niederwerfen.

Da wagte es doch endlich ein muthiger Mann; der neuernannte Finanzsecretär Bristow, ein Mann von unbestechlicher Rechtlichkeit und großer Energie, befahl eine durchgreifende Untersuchung der ganzen Angelegenheit. In den ersten Städten des Landes wurden die meisten Brennereien und Brauereien geschlossen, die Eigenthümer sowie die Steuerbeamten vor Gericht gezogen, und da die Beweise der Schuld nicht wegzuleugnen waren, so folgte Verurtheilung auf Verurtheilung. Geld half diesmal nichts; die reichen Fabrikanten und die feilen Beamten mußten in’s Zuchthaus wandern und hohe Strafsummen erlegen, und zwar wurde den Beamten als meineidigen Staatsdienern mit Recht gewöhnlich das höchste Strafmaß zuerkannt.

Unter den Angeklagten befand sich auch General Babcock, Privatsecretär und intimster Freund des Präsidenten. Es fanden

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_351.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)