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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


werden, Schleiferzeuge für kleine Gegenstände, wie Perlen, Knöpfe etc., 160 Glasspinnereien, etwa 100 Perlenbläsereien und 250 größere Gürtlerwerkstätten, letztere mit über tausend Arbeitern.

Nun darf man sich freilich unter diesen Hütten und Arbeitsstätten keine großen Fabrikgebäude vorstellen. Im Gegentheil verdienen namentlich die Glasdruckhütten ihren Namen im wahrsten Sinne des Wortes, da in solch einem vom Rauch vollständig geschwärzten Holzbaue oft nur ein Arbeiter mit seinem Gehülfen Platz hat. Die Fabrikation der Glaskurzwaaren ist eben fast ausschließlich Hausindustrie. Zwar ist es von einzelnen Unternehmern versucht worden, die verschiedenen Arbeitszweige fabrikmäßig in größeren Gebäuden zu vereinigen, allein man fand sehr bald, daß die Einrichtungs- und Betriebskosten solcher Fabriken in keinem Verhältnisse zu den meist überaus geringen Hausarbeitslöhnen standen, und deshalb wurden diese Versuche immer wieder aufgegeben. Wir werden noch Gelegenheit haben, verschiedene der oben angeführten Arbeitsstätten zu besuchen. Den besten Eindruck von der Bedeutung des hiesigen Gewerbfleißes erhalten wir jedoch, wenn wir uns Eintritt zu einem der großen Handelshäuser verschaffen, welche den Vertrieb dieser Waaren nach allen Welttheilen vermitteln. Man rechnet, daß auf den genannten Bezirk etwa einhundertachtzig Glasexporthäuser kommen, unter denen wir höchst bedeutende Firmen finden.

Große Lagervorräte darf man in jenen Handelshäusern nicht erwarten, weil fast alle hier gefertigten Waaren dem schnellen Wechsel der Mode wie wenig andere unterworfen sind. Die verschiedenen Artikel werden meist nur auf Bestellung gearbeitet, und eine solche kann, wenn sie auch noch so groß ist, von den Tausenden fleißiger, geschickter Hände immer bald bewältigt werden. Erstaunlich ist dagegen die fabelhafte Menge der glänzenden Modelle und Muster, welche jene Kaufleute zur Uebernahme von Aufträgen in langen Reihen von Kasten sorgfältig geordnet aufbewahren. Wir haben bei einigen der bedeutenderen Exporteure vierzig- bis fünfzigtausend solcher verschiedener Probeartikel gesehen, welche trotz der fabelhaften Billigkeit einzelner Gegenstände immerhin im Ganzen einen sehr ansehnlichen Werth vertreten. Haben nun aber solche Handelshäuser, wie dies bei den meisten der Fall ist, auswärts noch ihre Agenten, so ist es nothwendig, daß letztere dieselbe reichhaltige, kostspielige Mustersammlung führen.

Außer den zahllosen Sorten Perlen aller Farben und aller Größen bilden Brochen, Ohrringe, Knöpfe, Tuchnadeln, imitirte Edelsteine, Krystallsachen und dergleichen eine vollständige Ausstellung, welche nicht allein die Wilden Afrikas und die transatlantischen Völker, sondern auch unsere eurapäischen Damen und Stutzer in Entzücken versetzen müssen. Der Bereich des Absatzes für alle diese glänzenden Gegenstände umfaßt aber im wahrsten Sinne die ganze Welt. Die Handlungsbücher der böhmischen Firmen weisen Kunden in den sämmtlichen größeren Hafenplätzen aller fünf Welttheile auf. Nach England und selbst nach Frankreich gehen Massen dieser billigen Schmuckgegenstände, um als fremde Erzeugnisse, drei- oder vierfach vertheuert, bald darauf wieder nach Deutschland zurück zu kommen. Noch weit mehr aber dürfte sich der Werth der aus Glasperlen gefertigten Schmucksachen von deren Anfertigung bis zur Zeit ihres Verbrauches steigern. Es sind dies die Halsbänder, Nasen- und Ohrbehänge für afrikanische, australische oder südamerikanische Damen, die freilich für ihre übrige Toilette mit einigen Quadratfuß schlichten Baumwollengewebes reichen, während unsere Europäerinnen für ihre faltenreichen Kleiderbedürfnisse schon nach Quadratruthen rechnen müssen.

Ein ganzes Dutzend allerliebster bunter Perlenhalsbänder kostet hier kaum einen Gulden, ganz besonders reiche Gattungen nicht mehr als zwei bis drei Gulden. Wie gern aber giebt wohl mancher heißblütige schwarze Liebhaber an der Goldküste den schönsten Elephantenzahn für ein solches Kleinod, durch welches er die Gunst seiner dunklen Angebeteten sicher zu erwerben weiß! Ueberhaupt sind die großen bunten Glasperlen ein gesuchter Artikel für die wilden Stämme Afrikas, welche dafür die kostbaren Erzeugnisse ihres Landes mit Freuden vertauschen. Weiß man doch, daß die Sclavenhändler um einige Schnuren Perlen, die ihnen kaum auf einem Thaler zu stehen kamen, von den kriegerischen Fürsten an der afrikanischen Westküste leicht einen gefangenen Neger erhalten konnten, den man in Amerika dann gern mit dreihundert Dollars und höher bezahlte.

Noch jetzt werden Massen solcher Perlen nach jenen Ländern ausgeführt, die dort als Tausch- und Zahlmittel Verwendung finden. Wir sahen eine Sendung von nicht weniger als hundert großer Kisten, welche lediglich kirschkerngroße, ultramarinblaue, an Schnuren gereihte Glasperlen enthielten, die als Zahlungsmittel für Zanzibar bestimmt waren. Vielleicht bessert mit diesem Transporte der von seiner europäischen Reise zurückkehrende Sultan von Zanzibar den allzu stark angegriffenen Staatsschatz wieder auf. Ein schlechtes Geschäft wird er dabei keinesfalls machen, denn jene Perlen sind trotz ihres schönen, glänzenden Aussehens spottbillig. Fünfzig Stück derselben werden immer je an eine Schnur gereiht, und vierundzwanzig solcher Schnuren oder eintausendzweihundert Perlen kosten nicht mehr als – zwölf Kreuzer.

Die Mehrzahl der armen Arbeiter, welche diese Perlen in Böhmen fertigen, sind kaum viel besser daran, als die beklagenswerthen Sclaven im heißen Afrika. Die schwächeren oder stärkeren Glasröhren, deren Erzeugung in den Glashütten wir auf unseren späteren Wanderungen begegnen, werden dadurch in Perlen umgewandelt, daß sie der Arbeiter an eine vertical sich rasch drehende, scharfkantige Metallscheibe bringt, wodurch von der Röhre die einzelnen kleinen Perlen abgesprengt werden. Der Lohn für diese Arbeit ist so niedrig, daß man ihn immer nur nach tausend Dutzend oder zwölftausend Perlen berechnet, für deren Absprengen im Durchschnitte etwa zwölf bis fünfzehn Kreuzer bezahlt werden. Nur ein fleißiger Arbeiter kann es täglich auf zweitausend Dutzend bringen, womit er dann etwa dreißig Kreuzer (kaum sechszig Pfennige) verdient hat.

Lohnender, aber auch weit gefährlicher für die Gesundheit ist die Herstellung der über der Lampe geblasenen und dann metallisirten Perlen. Eine weiße oder farbige Glasröhre wird zuerst an dem unteren Ende zugeschmolzen und das in der Lampenflamme wieder zum Schmelzen gebrachte Glas durch Blasen zu ganz dünnwandigen Kugeln aufgetrieben. In unglaublich kurzer Zeit entstehen vor unseren Augen ganze Reihen zusammenhängender großer oder kleiner Kugeln, und um diesen oder auch denjenigen Glasröhren, welche zu größeren Perlen verarbeitet werden, die erforderliche Silberfarbe zu geben, benutzt man eine Auflösung von salpetersaurem Silberoxyd (Höllenstein). In diese Flüssigkeit werden die Glasröhren oder Kugelreihen eingetaucht und durch Einsaugen mit dem Munde füllt sie der Arbeiter bis oben herauf mit jener Auflösung, hält dann das obere Ende mit dem Finger verschlossen, damit die Flüssigkeit nicht wieder ausläuft, und drückt nun das untere Ende in weichen Thon, wodurch sich die untere Oeffnung schließt. Nachdem man jene Perlen oder Kugelröhren einige Zeit stehen gelassen, hat sich das in der Auflösung enthaltene Silber in einer ganz dünnen, aber vollkommen hinreichenden Schicht an den inneren Wänden des Glases festgesetzt, und die zurückgebliebene Flüssigkeit wird zu immer wiederholter Benutzung entfernt. Die uns im schönsten Goldglanze erscheinenden Kugeln und Perlen sind aus gelbem Glase gefertigt, und haben ebenfalls nur jene Silberfolie. Viele unserer Leser aber kennen diese strahlenden Kugeln gewiß als Schmuck ihrer Weihnachtsbäume, zu deren Glanze sie nicht wenig beitragen.

Glänzender jedoch als diese Kugeln und Perlen sind die imitirten Edelsteine, welche hier geschliffen und zu allerhand Schmucksachen verarbeitet werden. Es giebt überhaupt keine Art der Ganz- oder Halbedelsteine, die hier nicht jede beliebige Nachahmung erfahren könnten, sei dies nun Diamant, Opal, Rubin, Türkis, Malachit oder was irgend verlangt wird. Auch Korallen, Marmor und Lava werdet täuschend nachgeahmt und später im Handel mit hohem Nutzen als echte Producte verkauft. Die hier gefertigten Schmuckgegenstände sind zum Theil so fabelhaft billig, daß man nicht begreift, wie dieselben herzustellen sind. Fingerringe findet man schon zum Preise von dreißig Kreuzer für das Gros (144 Stück), Ohrringe für achtzig Kreuzer. Dabei ist aber wohl zu bedenken, daß jeder dieser Ringe mindestens mit einem, oft auch mit mehreren geschliffenen Glassteinen versehen ist und daß auch das flüchtig vergoldete Messing, wenigstens so lange es noch neu ist, dem edlen Metalle an Glanz nicht nachsteht.

Einen großen Aufschwung hat seit einigen Jahren die Glasspinnerei genommen, und wenn uns schon die Anfertigung der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_374.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)