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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

und ihre schönen Glieder in ein weiches, weißes Morgenkleid gehüllt, traurig ernst, aber still gefaßt, wie eine Statue in ihrer aufmerksam beobachtenden Stellung verharrte. „So jung und so gesetzt, so frischblühend und lebenstrotzend, und doch so wenig für die Welt und alle ihre guten Dinge!“ meinte die Beobachterin in ihren Zofengedanken weiter – da war die schöne Dame klüger, die jetzt drüben ihren Trousseau einpackte; sie brachte vor allen Dingen ihre Sachen in Sicherheit; sie hetzte ihre Jungfer treppauf, treppab nach jedem Taschentuch, das sich in die Hauswäsche verirrt hatte und mit gepackt werden sollte – sie wollte Nichts, auch gar Nichts verlieren. Und so schlau und energisch hatte sie immer für sich gesorgt, und drum war sie auch die Reiche, „der kein Härchen gekrümmt wurde,“ in der Familie geblieben. Nun reiste sie mit ihren Koffern und Kisten dem Bräutigam Voraus nach L…g und ging allen Schrecknissen, die jeden Augenblick über die Villa Hereinbrechen konnten, aus dem Wege. Man hätte sich zu Tode ärgern mögen, daß ihr auch Alles glückte, was sie durchsetzen wollte; sie durfte sich Alles erlauben, und die ganze Welt hieß es gut und recht. Und jetzt wurde auch noch im Trousseau-Zimmer so laut gepoltert, daß die Kranke aus dem Schlafe aufschreckte.

„Das gnädige Fräulein kramt drüben und packt ihre Sachen,“ sagte Nanni mit erkünsteltem Gleichmuthe, als Käthe entsetzt emporfuhr und ihre Hände beschwichtigend über die Halberwachte hinstreckte.

Henriettens Salon trennte allerdings die beiden Zimmer, und Flora setzte deshalb jedenfalls voraus, daß man ihr Hantiren im Krankenzimmer nicht hören könne; sonst hätte sie doch sicher das anhaltende Schieben und Umherstoßen der Kisten und Koffer rücksichtsvoller vermieden. Käthe erhob sich, und die nach dem Salon führende Thür hinter sich schließend, ging sie hinüber in das Zimmer, wo gepoltert wurde.

Flora stieß einen leisen Schrei aus – es blieb unentschieden, ob vor Schreck, oder im Aerger über die Störung – als die hohe, weiße Gestalt auf der Schwelle erschien und mit sanft gedämpfter Stimme um Ruhe für die Schlummernde bat.

Die schöne Schwester stand dicht neben dem Ständer, der die Brauttoilette trug. Die weiße Atlasschleppe, von welcher das Kammermädchen die Orangenblüthenbouquets absteckte, um sie in einen Carton zu legen, hing neben ihrer Schulter nieder, und in den Händen hielt sie den Brautschleier, offenbar in der Absicht, ihn zusammenzufalten. Die zerstückte Hochzeitsfeier konnte allerdings nicht schneidender illustrirt werden, als durch diese Gruppe.

„Es thut mir leid; ich habe nicht geglaubt, daß das Aufstellen der Kisten bis zu Henriette hinüberschalle – wir werden vorsichtiger sein,“ sagte sie kurz, aber doch mit hörbar alterirter Stimme. Ein böses Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. „Du schleichst ja so weiß, so lautlos durch das Haus, daß man denken könnte, die Ahnfrau der Baumgarten habe, weil es in der Stammburg mit dem Wandeln aus und vorbei ist, ihr Domicil in der Villa aufgeschlagen. Unheil genug heftet sich an Deine Fersen – wo Du eintrittst, sollte ein rechtschaffener Christ drei Kreuze schlagen.“

Sie schickte die Kammerjungfer mittelst einer Handbewegung aus dem Zimmer. „Halt!“ rief sie, den Brautschleier fortschleudernd, als Käthe dem Mädchen schweigend folgen wollte. „Wenn ein Funken von Frauenehre in Dir lebt, so stehst Du mir jetzt Rede.“

Käthe streifte gelassen die Hand ab, die ihr Kleid festhielt, und trat in das Zimmer zurück. „Ich stelle mich Dir zur Verfügung,“ sagte sie ruhig und heftete ihre ernsten Augen fest auf das leidenschaftlich erregte Gesicht der Schwester. „Nur bitte ich Dich, nicht so überlaut zu sprechen, damit uns Henriette nicht hört.“

Flora antwortete nicht; sie ergriff Käthe’s Hand und zog sie in die Nähe des Fensters. „Komm her! Lasse Dich einmal ansehen! Ich muß wissen, wie Du aussiehst, nachdem Du geküßt hast.“

Das junge Mädchen wich zurück vor dem frivol funkelnden Blick, der ihr, im Verein mit der leichtfertigen Bemerkung, die tiefe Gluth der beleidigten Scham in das Gesicht trieb. „Als ältere Schwester solltest Du doch Anstand nehmen, einen solchen Ton anzuschlagen –“

„Ei, Du heilige Unschuld! Und ich sage Dir: Als jüngere Schwester solltest Du Dich schämen, Deine Augen auf einen Mann zu werfen, der mit der älteren verlobt ist!“

Käthe stand wie vom Blitz getroffen. Wer hatte in die Tiefen ihres Herzens geblickt und das Geheimniß, das sie, angstvoll, mit Aufbietung aller inneren Kraft hinabgedrängt, an das Licht gezogen? Sie fühlten wie sie sich entfärbte; sie wußte, daß sie in diesem Augenblick wie eine auf dem schwersten Verbrechen Ertappte dastand, und doch brachte sie keinen Laut über ihre blassen Lippen.

„Schau, das böse Gewissen! Man könnte es nicht plastischer darstellen,“ lachte Flora scharf auf und berührte mit dem Finger die Brust des Mädchens. „Ja, nicht wahr, Schatz, und wenn man es noch so schlau einfädelt, die ältere Schwester läßt sich nicht düpiren? Sie sieht solch einer ‚reinen‘ Mädchenseele bis auf den Grund; sie verfolgt mit klugem Blick die verschiedenen zarten Regungen von der ersten Blumenspende an, die man mit dem naiven Wunsche, Aufmerksamkeit zu erregen, dem Mann in sein Zimmer legt –“

Jetzt kam Leben in die förmlich versteinerte Gestalt des jungen Mädchens. Unwillkürlich schlug sie die Hände zusammen – es kam ihr vor, als sei, seit sie den Fuß auf den heimischen Boden gesetzt, ihre ahnungslose Seele beschlichen worden, wie das Wild vom Jäger. War es möglich, daß man ihr aus dieser kleinen Nachlässigkeit, die ihr ja selbst Thränen des Verdrusses erpreßt, einen solchen gehässigen Vorwurf machen konnte? Jetzt wallte ein gerechter Zorn in ihr auf.

„Diese Vergeßlichkeit habe ich mir allerdings zu schulden kommen lassen,“ sagte sie, ihre hohe Gestalt stolz aufrichtend. „Wer Dir aber auch davon gesprochen haben mag –“

„Wer? Er selbst, Kleine.“

„Dann bist Du es, die den Vorfall in ein total falsches Licht zieht –“

„Ah, Kind, nimm Dich ein wenig zusammen! Die so lange verhaltene Leidenschaft bricht Dir aus den Augen,“ rief Flora mit kaltem Lächeln, aber ihre Fußspitze hämmerte in kaum zu bezähmendem Grimm auf dem Parquet. „Also ich lüge? Nicht er, mein Fräulein, indem er sich der Eroberung rühmt?“

Es war abermals, als fliehe jeder Blutstropfen aus dem Mädchengesicht, während sie energisch den Kopf schüttelte. „Nein! Und wenn Du mir das zu tausend Malen wiederholst, ich glaube es nicht. Eher werde ich irre an Allem, was uns das Sittengesetz als gut und recht hinstellt. Er sollte eine Unwahrheit auch nur denken? Er sollte sich, wie nur irgend ein charakterloser Geck, einer Eroberung rühmen? Er, der“ – sie unterbrach sich, als erschrecke sie vor ihrer eigenen, leidenschaftlich bewegten Stimme. „Du hast ihn häßlich verdächtigt, als ich hierher kam,“ setzte sie, sich bezwingend, hinzu. „Damals durfte ich Dir nicht entgegentreten, obgleich ich instinctmäßig sofort für ihn Partei ergriff, aber jetzt, wo ich ihn kenne, leide ich nicht, daß er auch nur mit einem Wort verunglimpft wird. Geradezu unglaublich ist’s, daß ich Dir das sagen muß. Wie kannst Du es über’s Herz bringen, wie ist es Dir möglich, die Ehre dessen fortgesetzt anzufeinden, der Dir in der Kürze seinen Namen geben wird?“

Flora fuhr bei den letzten Worten herum und maß die Sprechende mit einem ungläubigen Blicke, als traue sie ihren Sinnen nicht. „Entweder Du bist eine Schauspielerin comme il faut, oder – eine Liebeserklärung muß Dir schwarz auf weiß überreicht werden, wenn Du sie verstehen sollst. Du wüßtest wirklich nichts?“ Mit einem impertinenten Lächeln, das alle ihre feingespitzten Zähne zeigte, legte sie beide Hände auf Käthe’s Arm und schob sie, nach einem durchbohrend dämonischen Aufblicke in die braunen Augen, zornig, heftig von sich. „Bah, was will ich denn noch? Hast Du nicht eben gekämpft und Dich echauffirt, als wolltest Du den letzten Athemzug für ihn verhauchen?“

Käthe wandte ihr den Rücken und schritt nach der Thür. „Ich sehe nicht ein, weshalb Du mich vorhin zurückgehalten hast,“ sagte sie unwillig.

„Ach, ich war zu verblümt? Muß ich durchaus gut deutsch sprechen? Nun denn, meine Liebe, ich will nichts mehr und nichts weniger wissen, als was Bruck gestern und heute mit Dir verhandelt hat.“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_380.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)