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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

„So wie ich Dich kenne, bist Du ehrenhaft genug, ihn nie zu Deinen Gunsten zu verwenden,“ sagte Flora nachdrücklich und den Ring abstreifend; ein leises Zittern durchlief Käthe’s Glieder, als das Gold ihre Handfläche berührte – dann schlossen sich die Finger wie im Krampf über dem Reifen; dabei stahl sich ein bitterverächtliches Lächeln um den Mund des Mädchens – sie war zu stolz, auch nur mit einer Sylbe ihre makellose Absicht zu betheuern.

„Nun?“ rief Flora beunruhigt.

„Du hast mein Wort. Jetzt bin ich die Marionette, die Du an diesem Drahte lenkst,“ – sie hob die geschlossene Hand mit dem Goldreifen; – „bist Du zufrieden?“ Damit ging sie.

In dem Moment, wo sie auf die Schwelle der geöffneten Thür trat, kam Doctor Bruck die gegenüberliegende Treppe herauf. Sein Blick überflog die zwei Gestalten, von denen die eine aufrecht, triumphirend inmitten des Zimmers stand und ihn kalt anlächelte, während das herausschreitende, fieberglühende Mädchen bei seinem Anblick fast zusammenbrach.

Er eilte bestürzt herbei und legte rückhaltslos den Arm um die Schwankende. Die Thür hinter ihnen fiel zu, und in ihr Geknarr mischte sich ein wohlbekanntes, gedämpftes Auflachen.




28[.]

Nachmittags brach der Sturm los, den die wie die Möven um das Haus schwirrenden Gerüchte verkündigt hatten – eine Gerichtscommission erschien. Man hatte sich die feierliche Beschlagnahme seit den frühen Morgenstunden vergegenwärtigt, und doch ging es wie ein erschütternder Schlag durch das ganze Haus, als die Herren unter das Portal traten. Sie kamen für Alle zu früh. Noch schleppten die Bedienten die altmodischen, blinden Mahagonitische und Commoden der Präsidentin, die Sophas und Stühle mit den verstaubten und zerschlissenen Bezügen vom Dachboden herab in den Hauptcorridor; noch standen Flora’s Kisten mit dem eingepackten Trousseau droben und harrten auf den säumigen Spediteurwagen; noch lag im kleinen Haus-, Wein- und Bierkeller allerlei „Trinkbares“, das man nicht mehr bei Seite bringen konnte.

Die Präsidentin hatte sich stolz und vornehm in ihr Schlafzimmer zurückgezogen – sie wollte die Herren nicht sehen, aber so höflich und respectvoll dieselben auch waren, sie durften auf die Nervenzufälle der gnädigen Frau keine Rücksicht nehmen; sie mußten fragen, ob die Zimmereinrichtung ihr Eigenthum sei, und auf das Verneinen der Dame hin bitten, einstweilen in ein leerstehendes, heizbares Entrée überzusiedeln, weil das Zimmer versiegelt werden müsse. Nun wurden die alten Möbel aus dem Corridore in das kleine, freundliche Zimmer geschoben, die pensionirten Federbetten gelüftet und bezogen und unter die verschossene, braunseidene Steppdecke gesteckt, die der Präsidentin seit Jahren nicht vor die Augen gekommen war und bei deren Erblicken ein Schauder des Abscheus durch ihre Glieder flog. Die Jungfer richtete das Stübchen so wohnlich wie möglich ein; sie hatte den kleinen Mahagoniblumentisch am Fenster mit einigen aus dem Wintergärten eroberten Blattpflanzen gefüllt und Manches aus dem Schlafzimmer herübergerettet, was ihrer verwöhnten Herrin besonders lieb und unentbehrlich war, aber die alte Dame sah die Bemühungen nicht – sie saß am Fenster und stierte nach dem Pavillon hinüber, dessen neuglänzendes Dach hinter der Boscage auftauchte.

Dieser gefürchtete und namenlos verhaßte „Wittwensitz“ war ein wahres Feenschlößchen geworden. Reiche Gardinen hingen hinter den Spiegelscheiben; sie sah eine köstliche Spitzenkante an einem Eckfenster, welches das Ahorngeäst freiließ; es funkelte Alles im Glanze der Neuheit, das spiegelglatte Parquet, die eleganten Möbel, die Deckenmalereien, die Lüstres in den Salons; selbst die Küche war splendid und vorsorglich ausgestattet, bis auf den einfachsten Blechlöffel hinab. Dieses „Bijou“ hatte ihr Eigenthum sein sollen bis an ihr Ende, und sie hatte es verächtlich mit dem Fuße fortgestoßen, aus Furcht, es werde sie von der Geselligkeit im Hause des Commerzienrathes isoliren – und nun, und nun!!

Währenddem kämpfte Flora um ihre Effecten, aber alle erschöpfenden Argumente, das schließliche Berufen selbst auf das Zeugniß der Dienerschaft waren vergeblich. Fräulein Mangold möge später reclamiren, augenblicklich müsse alles Vorgefundene in Bausch und Bogen unter die Siegel – lautete die höfliche, aber sehr bestimmte Antwort. Und so ging es treppauf, treppab, stundenlang. Alles, was an lebenden Blumen das Haus schmückte, wurde in die Treibhäuser gestellt; man hörte einen Zimmerschlüssel nach dem andern im Schlosse kreischen, und die noch offenen Fensterläden vorlegen – es war schauerlich, wie sich so nach und nach, hinter der Vollstreckern des Gesetzes her, die Dunkelheit und das Schweigen in den verlassenen Ecken niederhockte. Zwischen das Treiben hinein schimpfte und fluchte die Dienerschaft nunmehr ganz offen und jammerte um den rückständigen Lohn, aber Jedes schnürte sein Bündel, um das Haus zu verlassen, dessen Comfort hinter Schloß und Riegel lag, dessen Fleischtöpfe nicht mehr brodelten. Nur der Gärtner blieb und wurde in der Domestikenstube einquartiert.

Und inmitten dieser Verwirrung hob die Mädchenseele droben in der Beletage die Flügel, um nach jahrelangem, heldenhaftem Kampfe den kranken Leib leise und klaglos abzustreifen.

Henriettens Zimmer blieben unberührt von dem Geräusche der Beschlagnahme – was die Sterbende umgab, war ihr Eigenthum. Man bemühte sich auch, in der Beletage jeden Lärm, selbst den der lauten Fußtritte, zu vermeiden, und so drang nichts zu der scheidenden Seele, was sie noch einmal aufschrecken und in die irdische Misere zurückblicken machen konnte. Sie sah nur vor sich, durch das offene Fenster, in einen wahren Rosenhimmel hinein; sie sah die Schwalben mit ihren weißen Brust- und Flügelfedern wie silberne Kreuze unter den hochziehenden, rothglänzenden Abendwolken hinschießen, hastig, von dem erwachten Wandertrieb in der Brust beunruhigt: Noch gestern waren feine Rauchstreifen von der Ruine her vorübergezogen, und fernes Geräusch hatte die Gedanken des kranken Mädchens immer wieder auf sich gelenkt und schmerzbewegt um die Unglücksstätte kreisen lassen, wo die berstenden Mauern zusammengestürzt waren über „dem Unvorsichtigen“, an welchem sie, bei allen seinen Schwächen, doch mit schwesterlicher Zuneigung gehangen hatte. In die jetzige feierliche Abendstunde aber, in das stille Hingehen des Tages und eines kurzen Mädchenlebens mischten sich keine Anzeichen jener Schrecknisse mehr.

Der Doctor saß an Henriettens Bett. Er sah, wie der Tod dieses Antlitz voll Geist und Bewußtsein mit rapider Schnelligkeit, Strich um Strich, schärfte und markirte; an die Fingerspitzen der Kranken klopfte der entfliehende Lebensstrom in so vereinzelten Pulsschlägen, als kehre von fern her hie und da eine Welle zurück und spüle noch einmal an das verlassene Ufer.

„Flora!“ flüsterte Henriette und sah ihn mit einem sprechenden Blicke an.

„Soll sie kommen?“ fragte er, sofort bereit nach ihr zu gehen.

Henriette schüttelte schwach den Kopf. „Du wirst mir nicht böse sein, wenn ich mit Dir und Käthe allein bleiben möchte, bis“ – sie vollendete nicht und pflückte mit halbversagenden Fingern an dem welken, rothen Weinlaub auf der Bettdecke. „Ich will es ihr ersparen, und sie wird es mir Dank wissen“ – noch einmal schwebte der Anflug eines sarkastischen Lächelns schattenhaft um ihren Mund – „sie kann Rührscenen nicht leiden. … Du sollst ihr nur einen Gruß bringen, Leo.“

Der Doctor schwieg und neigte das Haupt. In seiner nächsten Nähe stand Käthe. Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen – die Sterbende stützte sich ahnungslos auf Beziehungen, die nicht mehr existirten; erfuhr sie noch die Wahrheit? Ein angstvoller Seitenblick streifte das Gesicht des Doctors; es blieb vollkommen ernst und gefaßt; die Scheidende durfte durch eine unerwartet hereinbrechende Nachricht aus der schon halb und halb verlassenen Welt herüber nicht mehr aufgeschreckt werden, und zu einer Vorbereitung blieb – keine Zeit.

Henriettens Augen schweiften über den Himmel hin. „Wie köstlich klar und rosig! Ein Hineintauchen der befreiten Seele muß himmlisch sein,“ flüsterte sie innig. „Ob es ein Zurückblicken giebt? Ich will ja nur Eines sehen“ – sie wandte mühsam den Kopf in den Kissen und sah voll, zum ersten Male mit dem ganzen, unverhehlten Ausdruck unaussprechlicher Liebe zu Bruck auf – „ob Du glücklich wirst, Leo. Dann mag es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_395.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)