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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Mädler, der da schließt: „Das Wirken des Regiomontanus ist kein unfruchtbares gewesen. In steigendem Verhältniß haben seine Nachfolger auf dem von ihm gelegten Grunde fortgebaut und haben sich nicht beirren lassen von den Gegnern, selbst nicht von den mächtigsten und gefährlichsten, den Mönchsorden. Alle diese Kämpfe sind vorüber, und die Wahrheit hat gesiegt. Das ist es, was wir unserem Regiomontanus verdanken und was alle kommenden Geschlechter ihm verdanken werden; denn immer klarer wird es sich herausstellen, wie wohlthätig die echte Himmelsforschung wirke und wie nichtig und bedeutungslos alles Andere ist, was finstere Jahrhunderte aus ihr zu machen versuchten.“

Unsere Abbildung stellt die Denkmal-Statue des Regiomontanus, ausgeführt vom Bildhauer Mayer in Haßfurt, dar, die am zwölften September 1871 enthüllt worden ist; eine Marmortafel schmückt von heute an sein Geburtshaus; ein geistiges Denkmal ist die Regiomontanus-Schule daselbst, die, eine Gründung des Bürgermeisters Franz Ronge, jetzt zu einer höheren Anstalt erweitert werden soll. Andere Denkmale des großen Meisters sind die Kolossalbüsten in der Walhalla und in der Aula des Gymnasiums zu Coburg, letztere von G. von Dornis; Nürnberg hat ihm in der Kreisgewerbeschule eine Erz-Statue von Burgschmiet errichtet. – Möge immer frisch bei den Nachkommen das Andenken an den wahrhaft großen deutschen Mann fortblühen!

Friedrich Hofmann.




Der Rabbi von Sadagóra.
Von Arnold Hilberg.
(Schluß.)


Der Ruf des „Weisen von Mizricz“ ward rasch ein außerordentlicher. Von weit und breit strömten Personen aller Religionen, Nationalitäten und Stände zu ihm herbei, um Hülfe und Rath zu erflehen. Seine Reichthümer mehrten sich und seine Secte wuchs. Die Propaganda für diese organisirte er gleichfalls in großem Maßstabe. Wanderprediger und Glaubensboten durchzogen in seinem Auftrage die polnische Republik und die angrenzenden Gebiete und gründeten immer mehr chassidische Religionsgemeinden. Einzelne dieser Apostel gelangten selbst zu hohem Ansehen und zu dem Rufe der Heiligkeit. Der neue Glaube fand unter den polnischen Juden rasch ungeheure Verbreitung. Bei all’ seiner Tollheit befriedigte er doch das Gemüth mehr, als die kalte und dürre Talmudscholastik des rabbinischen Judenthums. Dann befreite er seine Bekenner von der Pflicht langen, aufreibenden und fruchtlosen Studiums; er enthob sie der lästigen Kasteiungen und Bußübungen; er war mit einem Worte „eine fidele Religion“, welche die große Masse mächtig anzog.

Dob Beer, der Gründer der Dynastie, die heute zu Sadagóra prunkreich Hof hält, der Begründer des Chassidismus, starb 1772. Sein Sohn und Nachfolger Abraham war ein unbedeutender Mensch, ebenso dessen Nachfolger Salomon. Doch der von Dob Beer geschaffene Apparat arbeitete so vortrefflich, daß die Unbedeutendheit seiner unmittelbaren Nachfolger keine Störung in dem Organismus hervorzubringen vermochte. Der Nimbus ihrer Gottähnlichkeit, der davidischen Abstammung, der messianischen Bestimmung erhob sie hoch über alle Zweifelsucht. Der dritte Zadik nach Dob Beer war Israel, in welchem das ganze Genie, die volle Energie, die ganze geistige Kraft und Ueberlegenheit seines Ahnen wieder auflebte. Er gehört bereits unserem Jahrhunderte an und ist heute noch im ganzen Osten unter seinem Kosenamen „Isruliniu“ populär. Er war der erste „Rabbi von Sadagóra“; sein Sohn Abraham Jacob ist gegenwärtig das Haupt der Chassidim.

In der Nähe von Berditschew liegt ein kleines, schmutziges elendes Judennest, welches Rizin heißt. Vor einigen Jahren, als noch keine Eisenbahn Berditschew mit Kiew verband, hielt die Posttroika ein paar Stunden in diesem Neste und nöthigte die Reisenden, es näher kennen zu lernen. In solch einem elenden Steppenorte ist nicht viel zu sehen; wenn man eines dieser Nester kennen gelernt hat, kennt man sie alle. Aber Rizin hat seine besondere Sehenswürdigkeit, eine Ruine, die jeder Durchreisende in Augenschein nimmt. Es sind das ein paar Backsteinmauerfragmente, die einen Hügel krönen. Reste von Wandmalereien und Sculpturen, einige Säulentrümmer von vollendeter Stilreinheit und Schönheit geben einen Begriff von der einstigen Würde und Pracht des Gebäudes, von dem nichts als diese wenigen Spuren erhalten blieben. Das sind die Ruinen des Palastes Isruliniu’s – er hatte seinen Sitz von Mizricz nach Rizin verlegt –, von dessen Pracht die wunderbarsten Schilderungen coursirten. Architekten, Bildhauer, Maler, Decorateure waren aus Paris und Italien in das entlegene volhynische Nest gekommen, um diesen Bau aufzuführen und auszuschmücken. Mit der Eleganz und der Pracht seiner Ausstattung stand der verschwenderische Aufwand kostspieligen Materials im Einklange. Die Thüren, die Thürverkleidungen und Fenstereinfassungen des großen Speisesaales waren aus Malachit, und der Estrich desselben soll nach einem vermuthlich übertreibenden Gerüchte mit blanken Silberrubeln gepflastert gewesen sein. Der Bernstein ist in Rußland sehr rar und theuer. Die Klinken aller Thüren dieses Palastes waren aus Bernstein. Der verschwenderische Reichthum in Möbeln und Geräthen soll jeder Beschreibung gespottet haben. Weitläufige Nebengebäude umgaben diesen Palast; sie enthielten die Stallungen und Remisen des Zadik. Sein Marstall genoß in der russischen Sportswelt hohen Ruf und die Pracht seiner Carossen erregte den Neid mancher Grandseigneurs. Er fuhr immer sechsspännig; wenn er durch’s Land reiste, waren seine eigenen Relaispferde vorangeschickt. Eine lange Reihe zweispänniger Wagen, in welchen sich die „Gaboim“ befanden, fuhr dem seinigen voran; eine andere Reihe Wagen mit der Dienerschaft, dem Schlächter, dem Küchenpersonale folgte ihm. Eine Cavalcade goldstrotzender tscherkessischer Reiter umgab seine Carosse. Nachts fuhr eine Reihe zweiräderiger Karren mit brennenden Pechtonnen voraus, um den Weg zu beleuchten. Es war ein königlicher Hofhalt, den dieser Zadik führte.

Er gründete sein Ansehen nicht mehr allein auf den Heiligennimbus, der seine Familie umgab, nicht auf die davidische Abstammung und die messianische Prädestination; er imponirte durch seinen Reichthum, den Glanz seines Hofhaltes. Er hatte richtig gerechnet. Die polnischen Juden, an kümmerliche, elende Daseinverhältnisse gewöhnt, wurden durch die königliche Pracht, die ihren Zadik umgab, förmlich geblendet. Nicht der Wunderthäter, nicht der Balschem war es mehr, den sie verehrten, sondern der „Sohn David’s“, der legitime König ihres Volkes, dem sie Unterthanentreue widmeten, zu dem sie mit scheuer Ehrfurcht emporblickten, dem sie legal opferfreudig Tribut zollten.

Isruliniu war noch viel schwerer zugänglich, als seine Vorfahren. Es bedurfte reicher Geschenke, um vor ihn gelassen zu werden. Die Wenigen, die das Glück hatten, ihn einen Augenblick lang persönlich zu sprechen – ein immerhin sehr theuer erkauftes Glück – wurden selbst als geheiligte Personen verehrt und von ihren Glaubensgenossen mit Auszeichnung behandelt und mit Ehrenbezeigungen überhäuft. Die wohlhabenden Chassidim boten Alles auf, um sich diese Ehre erkaufen zu können, und die immensen Reichthümer des Zadik wuchsen immer mehr. Eine Reliquienverehrung, dem monotheistischen Judenthum bishin vollständig fremd, entsproß dieser Vergötterung des schlauen Zadik. Seine Dienerschaft machte mit Gegenständen, die er berührt und dadurch geheiligt hatte, glänzende Geschäfte. Sein Kutscher gestattete, wenn der Zadik von einer Ausfahrt heimkehrte, gegen eine beträchtliche Spende einen Augenblick lang auf den Wagensitz, den er kurz zuvor eingenommen, sich setzen zu dürfen; es galt bei den fanatisirten Chassidim als ein unvergleichliches Glück, sich von dem Kutscher Seiner Heiligkeit diese Erlaubniß erkaufen zu können.

Ein armer Chassid, vom Unglück schwer heimgesucht, war aus einem entlegenen Gouvernement nach Rizin gekommen, um bei dem Zadik Hülfe zu suchen. Die weite Reise hatte seine wenigen Baarmittel erschöpft; er hatte nur noch einen halben Rubel, als er in Rizin anlangte. Das war keine Summe, mit der man sich Eintritt beim Zadik verschaffen konnte. Doch der arme

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_471.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)