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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Er betonte den Namen mit einer Bitterkeit, die der Fürstin nicht entging.

„Fürst Baratowski ist todt,“ sagte sie ernst. „Du siehst seine Wittwe vor Dir.“

Waldemar sah auf. Er schien erst jetzt ihre Trauerkleidung zu bemerken. „Das bedaure ich – um Deinetwillen,“ erwiderte er kalt.

Die Mutter machte eine abwehrende Bewegung. „Laß’ das! Du hast den Fürsten nie gekannt, und ich kann von Dir keine Sympathie für den Mann erwarten, der mein Gemahl hieß. Aber ich verhehle mir nicht, daß der Verlust, der mich so schwer getroffen, eine Schranke niederreißt, die bisher trennend zwischen uns stand. Du hast stets in mir nur die Fürstin Baratowska sehen wollen. Vielleicht erinnerst Du Dich jetzt, daß sie auch Deine Mutter, die Wittwe Deines Vaters ist.“

Bei den letzten Worten erhob sich Waldemar mit einer so ungestümen Bewegung, daß der Sessel zurückflog. „Ich denke, wir lassen das ruhen. Ich bin gekommen, um Dir zu zeigen, daß ich keinem Zwange gehorche, daß ich nur meinem eigenen Willen folge. Du hast mich sprechen wollen – hier bin ich. Was willst Du von mir?“

Die ganze Rücksichtslosigkeit und Rauhheit des jungen Mannes sprach aus diesen Worten. Die Hindeutung auf seinen Vater hatte ihn offenbar tief verletzt, aber auch die Fürstin hatte sich erhoben und stand ihm gegenüber.

„Was ich von Dir will? Ich will den Bannkreis durchbrechen, den ein mir feindseliger Einfluß um Dich gezogen hat. Ich will Dich daran mahnen, daß es jetzt Zeit für Dich ist, mit eigenen Augen zu sehen und Dein eigenes Urtheil sprechen zu lassen, statt blindlings fremden Anschauungen zu folgen, die man Dir aufdrängt. Man hat Dich die Mutter hassen gelehrt – ich wußte es längst. Prüfe erst, ob sie diesen Haß verdient, und dann entscheide selbst! Das will ich von Dir, mein Sohn, da Du mich denn doch zwingst, Dir auf eine solche Frage zu antworten.“

Das wurde mit einer so energischen Ruhe, mit einem so unnahbaren Stolze gesprochen, daß es seinen Eindruck auf Waldemar nicht verfehlen konnte. Er fühlte, daß er die Mutter beleidigt hatte, aber er fühlte auch, daß diese Beleidigung machtlos an ihr abglitt, und der Appell an seine Selbstständigkeit verhallte keineswegs ungehört.

„Ich trage keinen Haß gegen Dich, Mutter,“ sagte er. Es war das erste Mal, daß er den Mutternamen überhaupt aussprach.

„Aber auch kein Vertrauen,“ entgegnete sie. „Und doch ist dies das Erste, was ich von Dir fordern muß. Es wird Dir nicht leicht – ich weiß es; man hat ja von frühester Kindheit an den Samen des Mißtrauens in Deine Seele gesäet. Dein Vormund hat das Möglichste gethan, Dich mir zu entfremden und Dich einzig an sich zu ketten. Ich fürchte nur, seine Erziehung war die am wenigsten geeignete für den Erben von Wilicza.“

Der Blick, der dabei über den jungen Mann hinglitt, ergänzte die Worte; leider wurde er nur zu gut verstanden und reizte eben deshalb auf’s Aeußerste.

„Ich dulde keinen Vorwurf gegen meinen Onkel Witold,“ brach Waldemar mit wildem Jähzorne los. „Er ist mir ein zweiter Vater gewesen, und wenn ich nur hierher gerufen worden bin, um Angriffe gegen ihn zu hören, so ist es besser, ich gehe gleich auf der Stelle wieder. Wir werden uns doch nie verstehen.“

Die Fürstin sah, welchen Fehler sie gemacht hatte, als sie ihrer Feindseligkeit gegen den gehaßten Vormund die Zügel schießen ließ, aber es war nun einmal geschehen. Nachgeben hieß hier ihre ganze Autorität auf’s Spiel setzen. Sie fühlte, daß sie das unter keiner Bedingung thun durfte, und doch hing für sie Alles an dem Bleiben Waldemar’s.

Da kam ihr die Hülfe von einer Seite, von welcher sie dieselbe wohl am wenigsten erwartete. Gerade im entscheidenden Augenblicke öffnete sich eine Seitenthür, und Wanda, die soeben von einem Spaziergange mit dem Vater zurückkam und keine Ahnung von dem inzwischen eingetroffenen Besuch hatte, trat in das Zimmer.

Waldemar war wirklich im Begriffe zu gehen, aber er blieb auf einmal wie angewurzelt stehen. Es war, als ob eine Flamme in seinem Antlitze aufschlage, so jäh und heftig röthete es sich. Zorn und Trotz, die eben noch daraus hervorleuchteten, verschwanden urplötzlich, und er stand einen Moment lang ganz fassungslos da, die Augen starr auf die junge Gräfin gerichtet. Diese wollte sich zurückziehen, als sie einen Fremden bei ihrer Tante erblickte, als dieser Fremde ihr aber das Gesicht zuwendete, entfloh auch ihr ein halblauter Ausruf der Ueberraschung. Wanda ihrerseits verlor zwar die Fassung durchaus nicht und gerieth auch nicht im Mindesten in Verlegenheit, dagegen schien sie ein ganz unwiderstehlicher Lachreiz anzuwandeln, den sie nur mit Mühe unterdrückte. Zum Zurücktreten war es jetzt jedenfalls zu spät; sie schloß deshalb die Thür hinter sich und trat an die Seite ihrer Tante.

„Mein Sohn, Waldemar Nordeck – meine Nichte, Gräfin Morynska,“ sagte die Fürstin, indem sie mit dem Ausdrucke größter Ueberraschung erst Waldemar ansah und dann den Blick fragend zu ihrer Nichte wandte.

Diese hatte die kindische Regung schnell überwunden und erinnerte sich bereits wieder, daß sie ja eigentlich schon zu den Damen gehöre. Ihre graziöse Verneigung war so salonmäßig, daß auch die strengste Hofmeisterin nichts daran hätte tadeln können, aber es zuckte schon wieder verrätherisch um die jugendlichen Lippen, als Waldemar die Vorstellung mit einer Bewegung beantwortete, die wahrscheinlich eine Verbeugung ausdrücken sollte, sich aber allerdings etwas seltsam ausnahm. Der Blick der Mutter haftete so unverwandt auf seinem Gesichte, als wollte sie seine geheimsten Gedanken darauf lesen. „Mir scheint, Du kennst Deine Cousine bereits?“ sagte sie mit eigenthümlicher Betonung. Die Hindeutung auf die verwandtschaftlichen Beziehungen schien den jungen Mann nur noch mehr zu verwirren.

„Ich weiß nicht,“ versetzte er, mit äußerster Befangenheit. „Ich habe allerdings – vor einigen Tagen –“

„Herr Nordeck war so freundlich, meinen Führer zu machen, als ich mich im Walde verirrt hatte,“ fiel Wanda ein. „Es war vorgestern, auf unserer Fahrt nach dem Buchenholm.“

Die Fürstin hatte damals den Spaziergang sehr eigenmächtig und unpassend gefunden. Jetzt hatte sie kein Wort des Tadels dafür; im Gegentheil, ihr Ton klang beinahe gütig, als sie erwiderte:

„In der That, ein eigenthümliches Zusammentreffen! Aber was steht Ihr Beide so fremd einander gegenüber? Unter Verwandten braucht die Etiquette nicht so streng festgehalten zu werden. Du kannst Deinem Vetter immerhin die Hand reichen, Wanda.“

Wanda kam der Aufforderung nach; sie streckte unbefangen ihre Rechte aus. Vetter Leo war schon ritterlich genug, diese Hand zu küssen, wenn sie ihm nach irgend einem Streite zur Versöhnung gereicht ward, der ältere Bruder schien aber leider nichts von dieser Ritterlichkeit zu besitzen. Er faßte die zarten Finger anfangs so scheu und zögernd, als wage er überhaupt gar nicht, sie zu berühren, und dann auf einmal preßte er sie so heftig zwischen den seinigen, daß die junge Dame fast einen Schmerzensschrei ausgestoßen hätte. Sie wußte über diesen neuen Vetter im Grunde nicht mehr als Leo, eigentlich noch weniger. Mit um so größerer Neugierde hatte sie seinem angekündigten Besuche entgegengesehen, ihre Enttäuschung war nun aber auch eine grenzenlose.

Die Fürstin hatte die Beiden schweigend, aber unausgesetzt beobachtet. Sie ließ das Auge nicht von dem Gesichte Waldemar’s.

„Also im Walde seid Ihr einander begegnet?“ nahm sie wieder das Wort. „Wurde denn von keiner Seite ein Name genannt, der Euch aufklärte?“

„Ich habe Herrn Nordeck leider für einen Waldgeist gehalten,“ fuhr Wanda heraus, ohne sich um den ernst zurechtweisenden Blick der Tante zu kümmern. „Und er that das Möglichste, mich in diesem Glauben zu bestärken. Du hast keine Ahnung davon, liebe Tante, wie interessant unsere Unterhaltung war. Er ließ mich während eines halbstündigen Zusammenseins nicht darüber in’s Klare kommen, ob er wirklich dem heutigen Menschengeschlechte oder der alten Sagenwelt angehöre. Du begreifst, daß unter so bewandten Umständen eine officielle Vorstellung unterblieb.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_482.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)