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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 32.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Der arme Doctor! Er dachte nicht daran, sich zu freuen. Mit ihm ging Alles im Kreise herum. So wenig Erfahrung er auch in Liebesangelegenheiten hatte, hier dämmerte die Wahrheit ihm doch allmählich auf; er fing jetzt an zu merken, was hier eigentlich „passirte“. Also darum hatte Waldemar so schnell in die Aussöhnung gewilligt; darum ritt er unverdrossen in Sturm und Sonnenschein nach C.; daher stammte die Veränderung in seinem ganzen Wesen. Herrn Witold traf sicherlich der Schlag, wenn er die Geschichte erfuhr, er, der einen so tief eingewurzelten Haß gegen die ganze „Polengesellschaft“ hegte. Die diplomatische Mission war nun freilich gleich in der ersten halben Stunde geglückt, aber ihr Resultat jagte dem Abgesandten ein solches Entsetzen ein, daß er die ihm anbefohlene Diplomatie vollständig vergaß und wahrscheinlich seinen Schrecken verrathen hätte, wenn nicht soeben die Fürstin Baratowska eingetreten wäre.

Die Dame hatte mehr als einen Grund zu dem Wunsche, den Erzieher ihres Sohnes, der diesen auch auf die Universität begleiten sollte, persönlich kennen zu lernen. Jetzt, wo die Aussöhnung erfolgt und eine dauernde Verbindung angeknüpft war, konnte ihr die nächste Umgebung Waldemar’s nicht gleichgültig sein. Sie überzeugte sich nun freilich schon in den ersten zehn Minuten, daß von dem harmlosen Fabian nichts Feindseliges zu besorgen sei, daß er sich im Gegentheile gebrauchen lassen werde, wenn auch ohne sein Wissen. Von dem steten Begleiter konnte man in Zukunft Manches erfahren, was von dem unzugänglichen Waldemar selbst nicht zu erfahren war, und das blieb unter allen Umständen von Wichtigkeit. Die Fürstin erwies dem Doctor die Ehre, ihn für ein geeignetes Werkzeug anzusehen; sie war in Folge dessen von herablassender Freundlichkeit gegen ihn, und die Demuth, mit der er diese Herablassung aufnahm, gewann ihm ihre volle Zufriedenheit. Sie verzieh seine Schüchternheit und Unbeholfenheit, oder vielmehr, sie fand beides in ihrer Gegenwart sehr natürlich und geruhte, ihn in ein längeres Gespräch zu verflechten.

Waldemar schien mit dem Eintritte der Mutter seine ganze sonstige Einsilbigkeit wieder aufgenommen zu haben. Er betheiligte sich wenig an der Unterhaltung und sagte der Fürstin endlich einige leise Worte. Sie erhob sich sofort und trat mit ihm auf den Balcon hinaus.

„Du wünschest mich allein zu sprechen?“ fragte sie.

„Nur auf eine Minute,“ entgegnete Waldemar. „Ich wollte Dir nur sagen, daß es mir unmöglich ist, Dich und Leo nach Wilicza zu begleiten, wie wir verabredet hatten.“

Ein leichtes Erschrecken zeigte sich in den Zügen der Mutter. „Weshalb? Legt man Deiner Abreise vielleicht Schwierigkeiten in den Weg?“

„Ja wohl,“ sagte der junge Mann unmuthig. „Es sind, wie sich jetzt herausstellt, nach meiner Mündigkeitserklärung einige Förmlichkeiten zu erfüllen, bei denen ich durchaus persönlich zugegen sein muß. Das Testament des Vaters weist in dieser Hinsicht verschiedene Bestimmungen auf; weder Onkel Witold noch ich haben daran gedacht, und gerade jetzt, wo ich fort will, kommt die Aufforderung. Ich werde für’s Erste noch hier bleiben müssen.“

„Nun, dann werden wir unsere Abreise gleichfalls verschieben,“ meinte die Fürstin, „und ich muß Wanda allein nach Rakowicz senden.“

„Auf keinen Fall!“ fiel Waldemar mit der größten Bestimmtheit ein. „Ich habe bereits nach Wilicza geschrieben, daß Du in den nächsten Tagen dort eintreffen wirst und daß man die nöthigen Vorbereitungen im Schlosse treffen soll.“

„Und Du?“

„Ich komme nach, sobald ich hier frei bin. Jedenfalls bringe ich einige Wochen bei Euch zu, ehe ich zur Universität gehe.“

„Noch eine Frage, Waldemar,“ sagte die Fürstin ernst. „Weiß Dein ehemaliger Vormund bereits von dieser Bestimmung?“

„Nein. Ich habe bisher nur von meinem Besuche in Wilicza gesprochen.“

„Dann wirst Du unseren Aufenthalt dort also vor ihm vertreten müssen.“

„Ich werde,“ entgegnete Waldemar kurz. „Im Uebrigen habe ich den Administrator angewiesen, sich zu Deiner Verfügung zu stellen, bis ich selbst eintreffe. Du hast nur Deine Befehle zu geben; es ist dafür gesorgt, daß sie respectirt werden.“

Die Fürstin wollte ihren Dank aussprechen, aber er kam nicht über ihre Lippen; sie wußte ja, daß diese Großmuth nicht ihr galt, und die eigenthümlich kalte Art, in der sie ihr geboten wurde, ließ ihr nur die Möglichkeit, sie ebenso kalt hinzunehmen, wollte sie sich nicht demüthigen.

„Wir dürfen Dich also bestimmt erwarten?“ fragte sie. „Was Leo betrifft –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_529.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)