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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


„Du scheinst meine Gegenwart hier überflüssig zu finden,“ sagte er mit blitzenden Augen. „Und doch könnte gerade ich Dir die beste Erklärung zu der eben stattgefundenen Scene geben.“

„Leo, Du schweigst!“ rief Wanda halb bittend, halb befehlend, aber die Eifersucht ließ den jungen Fürsten jede Rücksicht und jede Schonung vergessen.

„Ich schweige nicht,“ entgegnete er in vollster Erbitterung. „Mein Wort galt nur bis zur Entscheidung der Wette, und ich habe es ja jetzt mit eigenen Augen gesehen, wie sie entschieden ist. Wie oft habe ich Dich gebeten, das Spiel zu endigen! Du wußtest, daß es mich kränkte, daß es mich zur Verzweiflung brachte. Du triebst es dennoch bis zum Aeußersten. Soll ich jetzt vielleicht dulden, daß Waldemar im Gefühle seines vermeintlichen Triumphes mir als einem Ueberlästigen die Thür weist, mir, der Zeuge davon gewesen ist, wie Du Dich vermaßest, ihn unter allen Umständen bis zum Kniefall zu bringen? Freilich, Du hast es ja erreicht, aber er soll wenigstens die Wahrheit erfahren.“

Waldemar war schon bei dem Worte „Wette“ zusammengezuckt; jetzt stand er regungslos da. Seine Rechte faßte krampfhaft die Lehne des Sessels, während die Augen sich mit einem seltsamen Ausdrucke auf die junge Gräfin richteten.

„Was – was soll das heißen?“ fragte er mit völlig erloschener Stimme.

Wanda senkte schuldbewußt das Haupt. In ihrem Inneren kämpfte der Zorn gegen Leo mit der eigenen Beschämung, und über das Alles hinweg fluthete eine heiße Angst; sie wußte ja jetzt, daß der Schlag tödtlich traf. Auch Leo antwortete nicht; die plötzliche Veränderung in den Zügen des Bruders ließ ihn inne halten. Er begann überdies jetzt zu fühlen, in welcher unverantwortlichen Weise er Wanda preisgab und daß er keinen Schritt weiter gehen durfte.

„Was soll das heißen?“ wiederholte Waldemar, aus seiner Erstarrung auffahrend, indem er dicht vor das junge Mädchen hintrat. „Leo spricht von einer Wette, von einem Spiel, dessen Gegenstand ich gewesen bin. Antworten Sie mir, Wanda! Ich glaube Ihnen, nur Ihnen allein – sagen Sie mir, daß es eine Lüge ist –“

„Also bin ich ein Lügner in Deinen Augen,“ brauste Leo auf, aber der Bruder hörte nicht auf ihn; das Verstummen der jungen Gräfin sagte ihm genug – er bedurfte keiner Bestätigung mehr. Doch mit der Entdeckung der Wahrheit flammte auch die ganze Wildheit seiner Natur wieder auf und riß ihn jetzt, wo der Zauber gebrochen war, dem er sich so lange gebeugt, hinweg über alle Schranken.

„Ich will Antwort haben,“ brach er in gereizter Wuth aus. „Bin ich Euch wirklich nur ein Spielball gewesen, ein Zeitvertreib für Eure Launen? Habt Ihr über mich gelacht und gespottet, während ich – Sie werden mir antworten, Wanda, auf der Stelle antworten, oder –“

Er vollendete nicht, aber Blick und Ton waren so furchtbar drohend, daß Leo schützend vor Wanda trat, doch sie richtete sich jetzt auch empor. Dieser maßlose Jähzorn gab ihr die Haltung zurück.

„Ich lasse mich nicht so zur Rede stellen,“ erklärte sie und war im Begriff, sich mit ihrem ganzen Trotze zu erheben – da begegnete ihr Auge dem Waldemar’s, und sie hielt inne. Wenn in seinem Antlitz auch nur Zorn und Wuth stritten, der Blick verrieth doch die grenzenlose innere Qual des Mannes, der seine Liebe verhöhnt und verrathen sah, dem in diesem Augenblick das angebetete Ideal rettungslos vernichtet wurde. Aber die Stimme schien ihn doch zur Besinnung gebracht zu haben. Seine geballten Hände lösten sich, während die Lippen sich so fest aufeinander preßten, als müßten sie jedes Wort verschließen. Die Brust hob und senkte sich gewaltsam unter der furchtbaren Anstrengung, mit der er den Jähzorn niederzwang; er schwankte und stützte sich auf den Sessel.

„Was hast Du, Waldemar?“ fragte Leo betroffen und mit aufquellender Reue, indem er versuchte, ihm näher zu treten. „Hätte ich gewußt, daß Du die Sache so ernst nimmst, ich hätte geschwiegen.“

Waldemar richtete sich empor. Er machte nur eine stumme abwehrende Bewegung gegen den Bruder hin, dann wandte er sich ohne einen Laut weiter zum Gehen, aber jeder Blutstropfen war aus seinem Antlitz gewichen.

Doch jetzt erschien die Fürstin, von Doctor Fabian begleitet. Die immer lauter werdenden Stimmen, die bis in ihr Zimmer drangen, hatten ihr verrathen, daß etwas Ungewöhnliches im Salon vorgehe. Sie trat rasch ein, ohne im Augenblick bemerkt zu werden. Wanda stand noch da, zwischen Trotz und Angst schwankend, aber jetzt gewann letztere die Oberhand, und im Tone eines Abbitte thuenden Kindes, das ein begangenes Unrecht einsieht, rief sie den sich Entfernenden zurück:

„Waldemar!“

Er hemmte seine Schritte. „Haben Sie mir noch etwas zu sagen, Gräfin Morynska?“

Die junge Gräfin zuckte zusammen; es war das erste Mal, daß dieser Ton eiskalter, schneidender Verachtung ihr Ohr berührte, und die brennende Röthe, welche urplötzlich ihr Antlitz übergoß, zeigte, wie tief sie ihn empfand. Jetzt aber vertrat die Fürstin ihrem Sohne den Weg.

„Was ist geschehen? Wohin willst Du, Waldemar?“

„Fort!“ entgegnete er dumpf, ohne aufzublicken.

„Aber so erkläre mir doch –“

„Ich kann nicht. Laß’ mich – ich kann nicht bleiben,“ und die Mutter zurückdrängend stürmte er hinaus.

„Nun, so werde ich Euch wohl um die Erklärung dieses seltsamen Auftrittes bitten müssen,“ wandte sich die Fürstin jetzt zu den beiden Anderen. „Bleiben Sie, Herr Doctor!“ fuhr sie fort, als Doctor Fabian, der bisher ängstlich an der Thür gestanden hatte, Miene machte, seinem Zöglinge zu folgen. „Jedenfalls waltet hier ein Mißverständniß, und ich werde Sie wohl ersuchen müssen, die Aufklärung bei meinem Sohne zu übernehmen. Er macht es mir durch sein Fortstürmen ja unmöglich, dies selbst zu thun. – Was ist vorgegangen? Ich will es wissen.“

Wanda kam der Aufforderung nicht nach; sie warf sich statt dessen in das Sopha und brach in ein leidenschaftliches Weinen aus, Leo aber trat auf den Wink der Mutter mit ihr an das Fenster und theilte ihr dort leise das Vorgefallene mit. Die Miene der Fürstin ward finsterer bei jedem seiner Worte, und es kostete ihr offenbar Mühe, die ruhige Haltung zu behaupten, als sie sich endlich zu dem Doctor wandte und scheinbar gelassen sagte:

„Wie ich voraussetzte, ein Mißverständniß, nichts weiter! Eine Neckerei zwischen meiner Nichte und meinem jüngsten Sohne hat Waldemar Anlaß gegeben, sich beleidigt zu fühlen. Ich bitte Sie, ihm zu sagen, daß ich das aufrichtig bedauere, aber auch von ihm erwarte, er werde der Thorheit der beiden übermüthigen Kinder,“ sie betonte die Worte scharf, „nicht mehr Wichtigkeit beilegen, als sie verdient.“

„Es wäre wohl das Beste, wenn ich jetzt meinen Zögling aufsuchte,“ wagte Fabian zu bemerken.

„Gewiß – thun Sie das!“ stimmte die Dame bei, der sehr daran lag, den ebenso unschuldigen wie unwillkommenen Zeugen der Familienscene zu entfernen. „Auf Wiedersehen, Herr Doctor! Ich rechne bestimmt auf Ihre baldige Rückkehr in Begleitung Waldemar’s.“

Sie sprach die letzten Worte sehr gnädig und nahm die Abschiedsverbeugung des Erziehers mit einem Lächeln entgegen, als sich aber die Thür hinter ihm geschlossen hatte, trat die Fürstin mit einer heftigen Bewegung zwischen Wanda und Leo, und ihr Antlitz verkündete einen Sturm, wie er nur selten bei der gestrengen Mutter und Tante heraufzog. –

Doctor Fabian hatte inzwischen von Pawlick erfahren, daß der junge Herr Nordeck sich auf sein Pferd geworfen habe und fortgeritten sei. Es blieb dem Doctor nichts übrig, als gleichfalls nach Altenhof zu fahren, was er auch schleunigst that, aber bei seiner Ankunft dort erfuhr er, daß Waldemar noch nicht eingetroffen sei. Der Erzieher konnte nicht umhin, sich über dieses Ausbleiben zu beunruhigen, das ihm unter anderen Umständen gar nicht aufgefallen wäre. Der Schluß der erregten Scene, die er mit angesehen, ließ ihn in seinen Vermuthungen der Wahrheit einigermaßen nahe kommen. Die Fürstin hatte freilich nur von einem Mißverständnisse gesprochen, von einer Neckerei, die ihr Sohn übel genommen habe, aber das wilde Fortstürmen desselben, seine schneidende Antwort auf den bittenden Ruf der jungen Gräfin – und vor Allem der Ausdruck seines Gesichtes zeigte, daß es sich hier um ganz Anderes handelte. Es mußte etwas Ernstes vorgefallen sein, daß Waldemar, der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_531.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)