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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


nach Saint Germain zu ihrem vertriebenen Könige Jakob dem Zweiten; so wandern die Legitimisten heutigen Tages nach Frohsdorf zu Henri dem Fünften; so ist das Ziel der Bonapartisten Arenenberg, wo Eugenie, wie einst ihre Schwiegermutter, die Königin Hortense, spätere Herzogin von Saint Leu, ihrer frühern Herrlichkeit nachweint. Ich ließ mich durch die Bonapartisten in meiner Constanzer Ruhe nicht stören. Ich sah mir das alte Kaufhaus an, in dessen Saale das Kostnitzer Concil war abgehalten worden, die Fresken, die dasselbe darstellen. Auf einer derselben, die den Einzug des Papstes in Constanz versinnbildlicht, geht Friedrich von Hohenzollern neben dem Pferde des Papstes her und führt dasselbe am Zügel.


Die Riesentropfsteinsäule in Letmathe bei Iserlohn.


Als Kaiser Wilhelm vor mehreren Jahren den Saal besuchte, soll er, wie die Fama berichtet, mit Hinweis auf seinen Vorfahren bemerkt haben: „Heutzutage thät’ er es nicht mehr.“ Nicht weit entfernt von dem Kaufhause ist die Stelle, von wo aus der große Weg des Hauses Hohenzollern in die Weltgeschichte beginnt. Doch da die Gartenlaube schon mehrmals und erst noch jüngst über den Act der Belehnung des Burggrafen Friedrich von Nürnberg mit der Mark und Kur Brandenburg, ebenso über das Concil und die Kerker- und Todesleiden des Huß genügend berichtet hat, so dürfen wir an diesen Geschichtsdenkwürdigkeiten der Stadt und auch an des edlen, ebenfalls schon gefeierten Wessenberg Amtswohn- und Sterbehaus jetzt vorübergehen, um uns ganz der Gegenwart hinzugeben.

Wie können hier, im Angesichte der wunderbarsten Natur – ruft man unwillkürlich aus – wie können andere Gedanken als die des Friedens, der Milde, der Liebe und Erhebung die Menschenseele erfüllen, beherrschen und leiten? Dieser See, hingestreckt in das fruchtbarste, üppigste Land – auf der einen Seite die ewige Alpenwelt, auf der anderen lachende Ufer – Gelände voll Obst und Wein, reiche Dörfer und Städte, alte Burgen, prächtige Landsitze! Wer kann es den Herren von der Clerisei verdenken, daß sie sich zur Betrachtung der himmlischen Dinge auf Erden die wonnigsten Plätzchen aussuchten, wer den Fürsten der Gegenwart, daß sie die alten Klosterpaläste und Capitelshäuser in ihre Residenzen umwandeln?

Die Insel Mainau ist ein solcher Fürstensitz geworden.

Bis zur Aufhebung aller geistlichen Ritterorden war sie eine Commende des deutschen Ordens, der hier „im festen Haus“ einen Comthur sitzen hatte; dann befand sie sich einige Zeit im Privatbesitze, bis sie im Jahre 1853 in die Hände des damaligen Regenten, des Prinzen Friedrich, jetzigen Großherzogs von Baden, überging. Ueber dem Thorwege, der zum inneren Schloßhofe führt, hat er sein Wappen in die Mauer einfügen lassen, nicht das seiner fürstlichen[WS 1] Gewalt, sondern das eines einfachen Ritters, der hier entfernt von Geräusch und Prunk der Welt im Anschauen und Genuß der Natur, sich Herz und Geist erfrischen, als ein Bürger unter den Bürgern seines Landes wohnen will.

„Im Juli kommt der Großherzog mit der Großherzogin und den Kindern, dann werden die Zimmer im zweiten Stocke neben dem großen Saale hergerichtet, und die Großherzogin rückt wohl selbst die Stühle und gießt die Tinte in das große Schreibzeug auf dem geschnitzten eichenen Schreibtische, und dann fährt sie mit ihren Manne nach Constanz und holt den Herrn Vater vom Bahnhofe ab und dann – nachher sind sie eben sehr gut und gemüthlich beisammen auf der Mainau. Ja, Herr, unser Schwiegervater ist der deutsche Kaiser.“

So erzählte mir ein Bürger aus Constanz, mit dem ich den Weg nach der Mainau ging. Wir wanderten durch einen prächtigen Wald, der Stäck genannt, der die Grenzscheide zwischen dem Unter- und dem Ueberlingersee bildet, der sich auch der Bodmansee nennt. Beim Heraustreten aus dem Forste hat man die Insel von der Südseite vor sich. Doch kann man nicht sagen, daß sie hier ihr schönstes Bild bietet; sie flacht sich nach der westlichen Seite ab; man sieht Gärten und Weinberge, auch einzelne Wirthschaftsgebäude aus den Baumwipfeln aufsteigen, rechts und links den blauen See, der hier vor uns die Insel durch einen schmalen Seearm vom Lande abtrennt. Ehe wir jedoch die stattliche Brücke betreten, die nach der Insel hinüberführt und in deren Mitte ein metallenes Kreuz mit den beiden Schächern – eine Arbeit des sechszehnten Jahrhunderts – sich erhebt, ist es vielleicht am Ort, daran zu erinnern, daß wir hier an dem Seeufer uns auf der äußersten Grenze des deutschen Reiches nach Süden zu befinden. Denn vor den Thoren von Constanz ist die Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland.

Die ganze Insel Mainau hat nach der sorgfältigen Monographie des Dr. Meners in Constanz einen Flächeninhalt von hundertzehn badischen Morgen; der Umfang mag eine halbe Stunde betragen. Man kann nach diesen Zahlen also nicht wohl behaupten, daß der Großherzog damals einen schlechten Kauf gemacht habe. Wenn man im Vorübergehen auch nur einen flüchtigen Blick auf die Cultur des Bodens wirft, muß man die Ueberzeugung gewinnen, daß der jetzige Eigenthümer sich auf die rationelle Bewirthschaftung desselben sehr wohl versteht. Der Großherzog scheint den größeren Theil der Mainau zu einem landwirthschaftlichen Versuchsfelde im Kleinen bestimmt zu haben. Dadurch wird man, ich muß es gestehen, beim Betreten der Insel etwas enttäuscht; man hat von hohen landschaftlichen Reizen gehört; mein Begleiter hatte noch dazu meine Illusionen durch seine Schilderungen verstärkt, und nun sieht man rechts

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: fürstlchen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_553.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)