Seite:Die Gartenlaube (1876) 562.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Die Fürstin lächelte mit vollster Ueberlegenheit. „Beruhige Dich, Bronislaw! Der Administrator nimmt bereits in diesen Tagen seine Entlassung. Ich konnte nicht eher gegen ihn vorgehen; er ist seit zwanzig Jahren auf seinem Posten und hat ihn stets tadellos verwaltet; mir fehlte jeder Grund, die Entlassung zu erzwingen. Ich zog es vor, ihn dahin zu bringen, daß er selbst seinen Abschied nahm, und das hat er gestern gethan, vorläufig nur mündlich, mir gegenüber, aber die formelle Kündigung wird nicht auf sich warten lassen. Ich lege Werth darauf, daß sie von seiner Seite erfolgt, zumal jetzt, wo Waldemar’s Ankunft bevorsteht.“

Die Züge des Grafen, die während der ganzen Unterredung unverkennbare Besorgniß ausgedrückt hatten, glätteten sich allmählich wieder. „Es war auch die höchste Zeit,“ sagte er mit sichtlicher Befriedigung. „Dieser Frank fing bereits an, eine Gefahr für uns zu werden; leider müssen wir ihn noch eine Weile dulden. Sein Contract lautet ja wohl auf mehrmonatliche Kündigung?“

„Allerdings, aber die Frist wird nicht eingehalten werden. Der Administrator ist längst nicht mehr von seiner Stellung abhängig; es heißt ja, er beabsichtige, sich selbst anzukaufen; außerdem besitzt er ein starkes Unabhängigkeitsgefühl. Man ruft irgend eine Scene hervor, die seinen Stolz verletzt, und er geht sofort – dafür bürge ich. Das ist nicht schwer zu erreichen, nachdem er sich überhaupt zum Gehen entschlossen hat. – Wie, Leo, schon zurück von dem Spaziergange?“

Die letzten Worte waren an den jungen Fürsten gerichtet, der soeben eintrat und sich den Beiden näherte.

„Wanda wollte nicht länger im Parke bleiben,“ entgegnete er. „Ich kam – aber ich störe wohl eine Berathung?“

Graf Morynski erhob sich. „Wir sind zu Ende. Ich erfuhr soeben die bevorstehende Ankunft Deines Bruders, und wir erörterten die unvermeidlichen Folgen. Eine derselben wird es auch sein, daß wir den diesmaligen Besuch abkürzen; wir bleiben noch morgen zu der beabsichtigten Festlichkeit, kehren aber schon am nächsten Tage nach Rakowicz zurück, ehe Waldemar eintrifft. Er kann uns doch nicht gleich als Gäste seines Hauses finden?!“

„Weshalb nicht?“ fragte die Fürstin ruhig. „Etwa wegen der Kinderei von damals? Wer denkt noch daran! Wanda gewiß nicht, und Waldemar – er wird doch wohl in den vier Jahren Zeit gehabt haben, die vermeintliche Beleidigung zu verschmerzen! Daß sein Herz sehr wenig betheiligt war, wissen wir ja durch Leo, dem er bereits acht Tage darauf mit der vollkommensten Ruhe erklärte, er habe die ganze Geschichte bereits vergessen, und unser Aufenthalt in Wilicza beweist am besten, daß er ihr gar keine Wichtigkeit mehr beilegt. Ich halte es für das Tactvollste und Zweckmäßigste, die Sache vollständig zu ignoriren. Wenn Wanda ihm unbefangen als seine Cousine entgegentritt, wird er sich kaum noch erinnern, daß er einst eine Knabenschwärmerei für sie hegte.“

„Vielleicht wäre es das Beste,“ meinte der Graf, indem er sich zum Gehen wandte. „Jedenfalls werde ich mit Wanda darüber sprechen.“

Leo hatte sich, ganz gegen seine Gewohnheit, mit keinem Worte an dem Gespräche betheiligt, und als jetzt sein Oheim das Zimmer verließ, nahm er schweigend dessen Platz ein. Er sah schon beim Eintritte äußerst erregt aus, und auch jetzt noch lag in seinen Zügen ein Ausdruck von Verstimmung, den er sich vergebens zu verbergen bemühte, die Mutter wenigstens bemerkte ihn sofort.

„Eure beabsichtigte Promenade wurde ja sehr schnell abgebrochen,“ warf sie hin. „Wo ist denn Wanda?“

„Auf ihrem Zimmer – so vermuthe ich wenigstens.“

„Vermuthest Du nur? Es hat wohl wieder einmal eine Scene zwischen Euch gegeben? Versuche doch nicht, mir das abzuleugnen, Leo! Dein Gesicht spricht deutlich genug davon und außerdem weiß ich, daß Du sicher nicht von Wanda’s Seite gehst, wenn sie Dich nicht selbst vertreibt.“

„Ja wohl, sie findet oft ein eigenes Vergnügen darin, mich zu vertreiben,“ sagte Leo mit unverstellter Bitterkeit.

„Du quälst sie aber auch oft genug mit Deiner ganz unbegründeten Eifersucht auf Jeden, der in ihre Nähe kommt. Ich bin überzeugt, das hat auch heute wieder den Anlaß zu Eurem Streite gegeben.“

Der junge Fürst schwieg und bestätigte dadurch die Voraussetzung seiner Mutter, die jetzt mit leisem Spott fortfuhr: „Es ist doch eine alte Erfahrung: wenn eine Liebe keine Leiden hat, so schafft sie sich solche. Ihr seid in dem seltenen glücklichen Falle, ohne jedes Hinderniß, mit vollster Billigung der Eltern dem Zuge Eurer Herzen folgen zu dürfen, und nun macht Ihr Euch auf diese Weise das Leben schwer. Ich will Wanda keineswegs von der Mitschuld daran freisprechen. Ich bin nicht blind gegen ihre Vorzüge, die sich immer glänzender entwickeln, seit sie das Kind mit seinen Thorheiten abgelegt hat, aber was ich vom ersten Tage an, wo ich sie ihrem Vater zurückgab, fürchtete, ist leider eingetroffen. Er hat mit seiner grenzenlosen Zärtlichkeit und der Vergötterung seiner Tochter Dir und mir einen schweren Stand bereitet. Wanda kennt keinen Willen als den ihrigen; sie ist gewohnt, ihn überall durchzusetzen, und Du lehrst sie leider auch keinen anderen kennen.“

„Ich versichere Dir, Mama, daß ich heute nicht sehr nachgiebig gegen Wanda war,“ versetzte Leo in einem Tone, dem man noch die Gereiztheit anhörte.

Die Fürstin zuckte die Achseln. „Heute vielleicht! Und morgen liegst Du doch wieder vor ihr auf den Knieen und bittest sie um Verzeihung. Sie hat Dich bisher noch jedesmal dazu gebracht. Wie oft soll ich Dir noch klar machen, daß das nicht der Weg ist, einem so stolzen und eigenwilligen Mädchen die Achtung einzuflößen, die der künftige Gemahl unter allen Umständen beanspruchen muß.“

„Ich bin aber solcher kühlen Berechnungen nicht fähig,“ rief Leo leidenschaftlich. „Wo ich liebe, wo ich anbete mit aller Gluth meiner Seele, da kann ich nicht immer und ewig bedenken, ob mein Benehmen auch ja dem künftigen Gemahl nichts vergiebt.“

„So beklage Dich auch nicht, wenn Deine Leidenschaft nicht in dem Maße erwidert wird, wie Du es forderst!“ sagte die Fürstin kalt. „Wie ich Wanda kenne, wird sie nie den Mann lieben, der sich unbedingt ihrer Herrschaft beugt, weit eher den, der ihr Widerstand entgegen setzt. Eine Natur, wie die ihrige, will zur Liebe gezwungen sein, und das hast Du bisher noch nicht verstanden.“

Er wendete sich in grollendem Unmuthe ab. „Ich habe ja überhaupt noch gar kein Recht auf Wanda’s Liebe. Es wird mir ja noch immer versagt, sie öffentlich meine Braut nennen zu dürfen; die Zeit unserer Verbindung wird in endlose Ferne hinausgeschoben –“

„Weil jetzt nicht Zeit ist an Verlobung und Hochzeit zu denken,“ unterbrach ihn die Mutter mit vollster Entschiedenheit. „Weil Du jetzt andere, ernstere Aufgaben hast als die, eine junge Gemahlin anzubeten, die bei Dir alles Andere in den Hintergrund drängen würde. Endlose Ferne! Wo es sich um einen Aufschub von höchstens einem Jahre handelt! Verdiene Dir die Braut – die Gelegenheit dazu wird nicht ausbleiben, und Wanda selbst würde sich nie entschließen, Dir eher ihre Hand zu reichen. Aber da kommen wir auf einen andern Punkt, den ich Dir nicht ersparen kann. – Leo, Dein Oheim ist nicht zufrieden mit Dir.“

„Hat er mich bei Dir verklagt?“ fragte der junge Mann mit einem finsteren Aufblicke.

„Er mußte es leider. Soll ich Dich erst daran erinnern, daß Du dem älteren Verwandten, dem Führer, unter allen Umständen Gehorsam schuldig bist? Statt dessen bereitest Du ihm unnöthige Schwierigkeiten, trittst an der Spitze von mehreren Deiner Altersgenossen in offene Opposition gegen ihn – was soll das heißen?“

Auf dem Gesichte Leo’s lag ein Ausdruck von starrem Trotze, als er antwortete: „Wir sind keine Kinder mehr, die sich willenlos leiten lassen. Wenn wir auch die Jüngeren sind, das Recht einer eigenen Meinung wird uns doch wohl zugestanden werden, und wir ertragen nun einmal nicht dieses ewige Zögern und Bedenken, mit dem man uns zurückhält.“

„Denkst Du, mein Bruder werde sich von Euch jugendlichen Heißspornen auf Bahnen fortreißen lassen, die er für verderblich erkennt?“ fragte die Fürstin mit vollster Schärfe. „Da irrt Ihr sehr. Es wird ihm schon schwer genug, alle die widerstreitenden Elemente im Zügel zu halten, und nun muß er es erleben, daß sein eigener Neffe das Beispiel des Ungehorsams giebt.“

„Ich habe nur widersprochen, nichts weiter,“ vertheidigte

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_562.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)