Seite:Die Gartenlaube (1876) 570.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


den Spitzen der Behörden und vom Imperator Richard Wagner empfangen, und dann zog die lange Wagenreihe durch die Stadt nach dem Schlosse Eremitage hinaus, woselbst Abends noch ein Fackelzug stattfand. Der Kaiser war in Civil. Sein Aussehen erregte geradezu Staunen. In der That und ohne jegliche höfische Schmeichelei: wenn von dem Verjünger des deutschen Reiches behauptet würde, er besäße das Lebenselixir des Grafen Saint Germain, man könnte es glauben. Das offene frische Gesicht, noch mehr aber die männlichfeste und doch leichte Haltung des alten Herrn spotteten seiner Jahre, denen Kriegsstrapazen, Klima und Wetter nichts anhaben konnten. Jeder stimmte in den Jubel ein; es war ja nicht nur ein Held und Kaiser, es war ein rechtschaffener deutscher Mann, wie es deren wenige gegeben hat auf den Thronen und wie sie auch im Alltagsleben nicht gerade allzu dick gesäet sind, dem ein brausendes „Willkommen!“ entgegenschallte.

Die Stimmung erwärmte sich heute Abend mächtig. Es war wie ein Rausch. Das Künstlervolk, die Bürger von Bayreuth, Alles fraternisirte, und im Carneval von Venedig geht es nicht lustiger zu, als am Abend dieses Tages auf den Straßen. Wenn ich für jeden Menschen und für jede Berühmtheit, deren Bekanntschaft ich heute in den hochgehenden Wogen des Enthusiasmus machte, einen Thaler zahlen sollte – ich wäre ruinirt. Die Menschen waren wie die Kinder geworden. Neid und Mißgunst verstummten. Schade, daß so Etwas selten von langer Dauer ist! – –

13. August.     

Heute war denn also der „erste Schlachttag“. Eine Gluthhitze wie bei Waterloo und Sedan, und die Gastwirthe erhöhten zur Feier des Tages ihre Preise um fünfundzwanzig bis dreißig Procent. In dichten Schaaren strömte die Bevölkerung der Umgegend in die Stadt. Es gab ja so Viel zu sehen. Der deutsche Kaiser war gestern angekommen, und der Kaiser von Brasilien kam heute um fünf Uhr Nachmittags an. Mit Rücksicht auf diesen überseeischen Cäsar wurde der Anfang der Vorstellung im Wagnertheater von fünf Uhr Nachmittags, wie es anfangs bestimmt war, auf sieben Uhr Abends hinausgeschoben, und diese Anordnung durch Plakate bekannt gemacht. Schon um vier Uhr Nachmittags aber traten wir die Wallfahrt nach dem „artistischen Calvarienberg“ an, wo das Theater aus der Mitte einer hocheleganten Volksversammlung hervorragte. Die „schwarzen Fracks“, welche man als obligatorisch in der Presse angekündigt hatte, waren freilich, und gottlob, ein Märchen. Aber daß die Toiletten elegant waren, versteht sich von selbst; daß sie zwanglos und bequem waren und ungespreizt, gebot schon die Hitze. Das Plateau, auf welchem das Theater gebaut ist, bot einen hochinteressanten Anblick dar. Zu Tausenden waren die Leute dort versammelt, und bis in die Stadt hinein war der Weg mit Wagen und Fußgängern bedeckt. Die „Auffahrt“ geschah sehr langsam. Der letzte, aber der pünktlichste Ankömmling war der deutsche Kaiser, denn mit dem Glockenschlage Sieben trat er in die „Fürstengallerie“ ein, empfangen vom Jubel des Publicums.

Da saß nun Alles auf seinem Platze. Der amphitheatralische Zuschauerraum von beiden Seiten aus wohlthuend mild beleuchtet. Vor uns die Bühne ohne Souffleurkasten, dann das unterirdische und unsichtbare Orchester. Zwischen diesem und dem Publicum der „mystische Abgrund“. – Eine Fanfare, die aus der Erde zu kommen schien, gebot Sammlung. Eine zweite signalisirte den Beginn der Aufführung; eine Stille, in welcher man das Athemholen hören konnte, trat ein.

Man brauchte kein Enthusiast zu sein und mußte doch die Wirkung jenes unterirdischen Orchesters mächtig ergreifend finden, als da der langgehaltene Ton auf Es das Vorspiel einleitete. Es waren nicht instrumentale Individualitäten, wie wir sie in unseren Theatern gewohnt sind, es war wie eine einheitliche Interpretation und Begleitung, in deren Ganzem die einzelnen Instrumente aufgingen und wo der Totaleindruck der Wirkung einer Orgel noch am nächsten kam. Absolut kein instrumentaler Lärm und Spectakel. Kein Moment im Verlaufe des ganzen Abends, wo die Stimmen und die Sprache der Darsteller nicht zur vollsten Geltung kamen. In dieser Hinsicht, glaube ich, hat Wagner etwas noch nicht Dagewesenes hergestellt und Recht behalten, als er auf den Vorwurf des „Zu viel Blech“ antwortete, die Schuld läge an der Anlage der Orchester in unserm modernen Theater. Ein unbefangener, parteiloser Zuhörer konnte sich dem überwältigenden Eindrucke, den die die Handlung begleitende Instrumentation machte, gar nicht entziehen. Und als der Vorhang auseinander ging (denn die Gardine theilt sich im Wagner-Theater) und die Rheintöchter (die Damen Lilli und Marie Lehmann und Minna Lammert) das so ominös gewordene „Wogela-Weia!“ anstimmten, ging ein Hauch des Staunens durch das ganze Haus ob der wirklich wunderbaren und zugleich melodiösen und charakteristischen Musik und des herrlich ausgeführten Gesanges der Nixen. Franz Liszt hat diese Stelle für den Glanzpunkt gesanglicher Leistung erklärt und behauptet, daß gerade diese vielbespöttelten Wortbildungen einen so mächtigen Eindruck hervorbrächten.

Ich will über die Wahl des Sujets, den Bankerott der alten Götter und seine starken Freiheiten in der Handlung nicht reden. Die Ansichten hierüber gehen auseinander und werden stets auseinander gehen, wo die Menschen auf der Bühne sich mythologische Liturgie herausnehmen, wie es z. B. in der „Walküre“ geschieht. In dieser Beziehung darf und muß ich auf den Text der Dichtung selbst verweisen. Aber ich darf sagen, daß schon in „Rheingold“ eine gesangliche und dramatische Vollendung bei den Darstellern in die Erscheinung trat, wie ich sie nie zuvor gesehen und gehört habe. Was ein Gura (Donner), Betz (Wotan), Vogel (Loge), Hill (Alberich), Schlosser (Mime), Eilers und Reichenberg (Fasolt und Fafner) leisteten, zeigt, daß hier nicht blos zahllose Proben, sondern auch Vertiefungen in den Stoff, Discussionen und Vorträge stattgefunden haben, in Folge welcher die Darsteller sich in ihre Charaktere hineingelebt haben. Und so war es auch. Die Assembleen bei Wagner glichen solchen belehrenden Conversationsabenden, und der Enthusiasmus in diesen Kreisen wurde so groß, daß sich die Herrschaften unter einander bei ihren Bühnennamen anredeten.

Nicht wahr, Richard Wagner wird glücklich gewesen sein ob seines Erfolges? –

Nein. Und zwar leider nicht mit Unrecht, denn wenn ich weit entfernt davon bin, an dieser Stelle eine Parteimeinung über die Richtung Wagner’s zu äußern, so darf ich doch nicht verschweigen, daß die decorative Inscenesetzung, auf welche der Meister einen so starken Accent legt („höchste Täuschung durch Kunst“), manches, ja – Vieles zu wünschen übrig läßt. Mögen die Aufgaben, die er sich in den Verwandlungen gestellt hat, zu groß sein, – die Maschinerie des Ganzen ging matt und zerstückelt von Statten, und geradezu störend wirkten einzelne Dinge, wie das Erscheinen der Schlange, in die sich Alberich verwandelt, die einen komischen Eindruck machte, und ebenso der seltsam placirte und recht häßliche Farbentöne zeigende Regenbogen, auf welchem die „Götter“ am Schlusse nach Walhall wandeln. Mit einem Worte, es „haperte“ oft sehr bedenklich im decorativen Theil der Inscenirung, und der grandiose äußere Erfolg ist der Musik, der Instrumentation und den Darstellern zu verdanken.

Die Stimmung in den artistischen Kreisen war denn auch nach der Vorstellung sehr wenig exclusiv mehr. Wir sprachen auch von anderen Dingen, als von den Nibelungen. Es war ein gedrücktes Gefühl, und mehr als einmal gab man sich den Alltagstrost: „Niemand kann für Malheur,“ wo Alles oft von der Nachlässigkeit oder von einem Fehlgriff eines Theaterarbeiters abhängig ist.

Als man Wagner am Schlusse herausrief, erschien er nicht. Der Hervorruf wuchs orkanartig an; er dauerte mehr als zehn Minuten – zwei Kaiser und diverse andere Monarchen und Notabilitäten warteten in der „Fürstengallerie“ auf das Erscheinen des Meisters. Aber Richard Wagner kam nicht. War es, weil er es als gegen die Etiquette in seinem Theater erachtete? Dann hätte man auf das Unzulässige der Demonstrationen aufmerksam machen müssen. Ich glaube, es war Mißmuth über die Nachlässigkeit, welche die decorativen Momente zeigten.

Fasse ich die Eindrücke dieses Abends zusammen, so mache ich aus meiner Bewunderung des Musikdramas kein Hehl, aber die erwähnten Schnitzer der Inscenirung machten uns Alle gedrückter Stimmung, denn sie beeinträchtigten sogar die Kraft des Urtheils, und ich kann mich lebhaft in die Stimmung eines

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_570.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)