Seite:Die Gartenlaube (1876) 582.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Felsige Trümmer umher, und es braust die beständige Brandung;
Auf dem erhöhteren Fels erscheint ein zerfallenes Vorwerk,
Mit Schießscharten versehn; sei’s, daß hier immer ein Wachtthurm
Ragte, den offenen Strand vor Algiers Flagge zu hüten,
Die von dem Eiland oft Jungfrauen und Jünglinge wegstahl;
Sei’s, daß gegen den Stolz Englands und erfahrene Seekunst
Erst in der jüngeren Zeit es erbaut der Napoleonide,
Dem Parthenope sonst ausspannte die Pferde des Wagens,
Ihn dann aber verjagte, verrieth, ja tödtete, seit er
An’s treulose Gestad durch schmeichelnde Briefe gelockt ward.
Steigst Du herab in den sandigen Kies, so gewahrst Du ein Felsstück
Niedrig und platt in die Wogen hinaus Trotz bieten der Brandung;
Dort anlehnt sich mit rundlichem Dach die bescheidene Wohnung
Dürftiger Fischer; es ist die entlegenste Hütte der Insel,
Blos durch riesige Steine beschützt vor stürmischem Andrang,
Der oft über den Sand wegspült und die Schwelle benetzt ihr.
Kaum hegt, irgend umher, einfachere Menschen die Erde;
Ja kaum hegt sie sie noch, es ernährt sie die schäumende Woge.
Nicht die Gefilde der Insel bewohnt dies arme Geschlecht; nie
Pflückt es des Oelbaums Frucht; nie schlummert es unter dem Palmbaum:
Nur die verwilderte Myrthe noch blüht und der wuchernde Cactus
Aus unwirthlichem Stein, nur wenige Blumen und Meergras;
Eher verwandt ist hier dem gewaltigen Schaumelemente
Als der beackerten Scholle der Mensch und dem üppigen Saatfeld.
Gleiches Geschäft erbt stets von dem heutigen Tage der nächste:
Immer das Netz auswerfen, es einziehn, wieder es trocknen
Ueber dem sonnigen Kies, dann wieder es werfen und einziehn.
Hier hat frühe der Knabe versucht in der Welle zu plätschern,
Frühe das Steuer zu drehen gelernt und die Ruder zu schlagen,
Hat als Kind muthwillig gestreichelt den rollenden Delphin,
Der, durch Töne gelockt, an die Barke heran sich wälzte.
Mög’ Euch Segen verleihen ein Gott, sammt jeglichem Tagwerk,
Friedliche Menschen, so nah der Natur und dem Spiegel des Weltalls!
Möge, da größeren Wunsch Euch nie die Begierde gelispelt.
Möge der Thunfisch oft, Euch Beute zu sein, und der Schwertfisch
Hier anschwimmen! Es liebt sie der Esser im reichen Neapel.
Glückliche Fischer! wie auch Kriegsstürme verwandelt den Erdkreis,
Freie zu Sclaven gestempelt und Reiche zu Dürftigen, ihr nur
Saht hier Spanier, saht hier Britten und Gallier herrschen,
Ruhig und fern dem Getöse der Welt, an den Grenzen der Menschheit,
Zwischen dem schroffen Geklüft und des Meeres anschwellender Salzfluth,
Lebet! Es lebten wie ihr des Geschlechts urälteste Väter,
Seit dies Eiland einst vom Sitz der Sirene sich losriß,
Oder die Tochter August’s hier süße Verbrechen beweinte.

August von Platen.




Christliche Liebe der römischen Clerisei.


Da sich unser hochwürdiger Clerus so gern als den Geschäftsträger der Religion der Liebe und Bevollmächtigten des milden Erlösers aufspielt, auch sehr namhafte Verdienste um die Erziehung und Bildung der christlichen Nationen zu haben behauptet – welche sich freilich in der geringen Erleuchtung der italienischen, spanischen, französischen, tirolischen, ober- und niederbaierischen, westphälischen, brasilianischen, mexikanischen, überhaupt sämmtlicher katholischer Volksmassen nicht recht klar herausstellen – so möchte es vielleicht als heilsames Correctiv seiner Einbildung dienen, wenn hin und wieder einzelne Acte seiner Liebe, seiner Erziehungs- und Bildungskunst aus dem localen Dunkel, in welches sie sich gern hüllen, zu allgemeiner Betrachtung hervorgezogen werden.

So fand vor wenigen Wochen zu Schruns im Montavon ein eigenthümliches Begräbniß statt. Das Montavon ist ein interessantes Thal, das im Süden des Landes Vorarlberg liegt, von der Ill durchströmt und durch eine hohe Gebirgskette von dem bündnerischen Prätigau getrennt wird. Der vordere Theil der Landschaft, wo die Dörfer Schruns und Tschaguns zu finden, ist warm und fruchtbar; die inneren Thäler sind kühler und weniger ergiebig, aber mit schönen Almen gesegnet. Die Montavoner wandern vielfach in die Fremde und kommen namentlich als Krautschneider bis an den Niederrhein hinunter. Zu Hause sind sie fleißig, betriebsam, mitunter etwas tiefsinnig und grüblerisch. Es sollen sich unter diesen Bauern verhältnißmäßig mehr Leute finden, welche Bücher lesen, als in manchen Städten. Gegen die Fremden erweisen sie sich sehr zuvorkommend und höflich. Auch ist das Talent, eine Wirthschaft einzurichten und gut zu führen, hier oft zu treffen. Die Gasthöfe zu Schruns haben zwar den ländlichen Typus, der allen unverdorbenen Menschen so sehr behagt, noch weislich beibehalten, sind aber innerhalb dieser Schranke – ohne Unter- und Oberkellner, ohne „Bougies“ und „Service“ – vortrefflich zu nennen. Der Ruf von den seltenen Reizen dieses Thales und von der Liebenswürdigkeit seiner Bewohner scheint in jüngster Zeit bis in die Mark gedrungen zu sein, denn unter den heurigen Fremden stellte sich plötzlich auch für längeren Aufenthalt der preußische Culturkampfsminister ein, welcher zu seiner mehr und mehr hervortretenden Beliebtheit gleich anfangs einen guten Grund legte, indem er Allen, die ihn mit „Excellenz“ ansprachen, sofort bedeutete, er habe seine sämmtlichen Titel in Berlin gelassen und sei lediglich als Dr. Falk in’s Montavon gekommen.

In dem wohlgebauten und wohlhabenden Schruns lebte nun unter ärmlichem Dache ein wackerer Schmiedegeselle, der sich Johann Josef Zudrell nannte, im Dorfe aber allgemein „das Schmidli“ hieß. Er war im Jahre 1814 geboren und heirathete mit dreiundzwanzig Jahren eine einundzwanzigjährige Montavonerin, der er mit inniger Liebe ergeben blieb, bis sie eine Woche vor ihm starb. Ursprünglich war er Schmiedemeister gewesen, aber da er als solcher unter seinen mächtigen Genossen ohne Capital nicht gedeihen konnte, so verkaufte er seine Werkstätte und ging bei seinem Vetter als Geselle in die Arbeit. Er hatte sich namentlich mit der Verfertigung von Hobeleisen für jene Krautschneider zu beschäftigen, welche, wie wir oben erzählt, in die fernsten Länder gehen. Damit verdiente er täglich einen Gulden; ein kleiner Grundbesitz, den er sehr gut zu behandeln wußte, gewährte einigen Zuschuß, und seine Frau, die eine geschickte Blumenzüchterin war, brachte auch etliches Geld in’s Haus. So lebte das Schmidli arm, aber ehrlich dahin. Seine Dürftigkeit hielt es nicht ab, zu seinem eigenen Sohne noch den einer verstorbenen Schwester in Pflege zu nehmen, ihn studiren zu lassen und mitunter auch neue Bücher zu kaufen. In seinem Innern gährte es nämlich ohne Unterlaß; er meditirte immerdar über Staat und Kirche und konnte vor lauter Nachdenken manche Nacht nicht einschlafen. Um nun zu erfahren, was andere Denker über dieselben Dinge herausgebracht, verwandte er seine Mußestunden am liebsten auf die neue deutsche Literatur, namentlich auf Journale und populär philosophische Werke. Er wollte aber über seine geistigen Errungenschaften auch mit andern Leuten reden, ja trotz seiner Bescheidenheit sogar mit ihnen disputiren.

Zu diesem Ideenaustausch wählte er immerhin lieber die Studirten als die Ungeschulten, und wie früher mit dem verstorbenen Dr. Vonbun, dem Sammler der evangelischen Sagen, so pflog er später seine wöchentlichen Colloquien auch mit dessen Nachfolger, dem vielbelesenen Dr. Huber zu Schruns, ja es war ihm keine kleine Freude, wenn er sich zuweilen auch mit gebildeten Touristen auseinandersetzen, sie widerlegen oder von ihnen lernen konnte. In den letzten Sommern mehrten sich diese Gelegenheiten, denn sein leiblicher Sohn hatte sich als Fremdenführer aufgethan. Die Alpenfahrer, die ihn suchten, und unter ihnen oft sehr bekannte Namen, kamen seitdem gern in das unansehnliche Häuschen, durchstöberten die Büchersammlung und plauderten lange mit dem Alten, dessen Wissen sie Alle überraschte.

Auch in religiösen Dingen pflegte das Schmidli selbst zu denken und sich eine gewisse Freiheit der Forschung einzuräumen, was ihn den geistlichen Herren, die ja weder denken, noch forschen dürfen, sehr verdächtig machte. Das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit wollte ihm so wenig einleuchten, wie dem weisen Hefele, dem großen Ketteler und den anderen deutschen Bischöfen, nur daß der Montavoner Schmiedgeselle weniger Schmiegsamkeit bewies – er hatte keine Pfründe zu verlieren. Da er seine Meinung über jene katholische Errungenschaft offen aussprach, so entstand ein Anstoß mit der Priesterschaft und deshalb ging Zudrell heuer nicht mehr zur österlichen Beichte. Er war aber in allen Stücken ein gerader, wahrheitsliebender Mann, der für seine Ueberzeugung überall offen eintrat, obgleich er nur vom Taglohn lebte. Drum wurde er auch von allen Schrunsern geachtet, von seinen engeren Freunden hochgeschätzt. In seiner Art war er der einzige im Lande Vorarlberg.[1]

  1. Doch nicht! Wir erinnern nur an den Bregenzer Volksdichter Michael Felder. (s. Gartenlaube 1867, Nr. 15.)
    Die Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_582.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)