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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Aber auch er kam zu sterben, und man meldete dem Herrn Pfarrer den Todesfall. Dieser faßte Bedenken und meinte, das Schmidli sei, wenn nicht ein Heide, doch ein arger Ketzer und „Verfassungsfreund“ gewesen; sei neulich hinter die österliche Beichte gegangen, habe lasterhafte Bücher gelesen und auch manche neuere Glaubenswahrheiten nicht sehr fest geglaubt. Er müsse nach Brixen telegraphiren; von dort gehe alle Weisheit aus. Aber die Brixener fordern das Jahrhundert gern in die Schranken. Es erging daher der Bescheid, dem todten Schmidli, wenn er zu Grabe getragen würde, die clericale Begleitung gänzlich zu versagen.

Der selige Zundrell hatte aber zwei Söhne hinterlassen, einen leiblichen, welcher, wie schon gemeldet, Fremdenführer, dazu Holzschnitzler, aber leider auch ein Bücherleser, und den Pflegling, Namens Tschugmel, welcher Lehrer an der Lehrerbildungsanstalt zu Innsbruck geworden ist. Beide nahmen das Brixener Orakel mit Ruhe entgegen, schrieben aber sofort mit eigener Hand drei sogenannte Partezettel, hefteten sie an drei Schrunser Häuser an und luden „nur auf diesen Wege“ zum Leichenbegängniß ihres Vaters ein, das am Freitag, den 28. Juli, Nachmittags halbzwei Uhr stattfinden sollte.

Indessen lief die Kunde von diesen Vorgängen bald nach Bludenz und nach Feldkirch, den beiden gebildeten und freisinnigen Städten des Walgaues. Die Freunde des Verstorbenen und der Verfassung waren rasch entschlossen, sich zusammen zu thun, dem theuern Landsmanne die letzte Ehre zu erweisen und, so weit es blinden Laien möglich, dem Begräbnisse Anstand und Würde zu verleihen. Drum zeigte sich auch am besagten Freitag auf dem einzigen Sträßchen, das in’s Thal führt, ein ungewöhnliches Leben. Viele Landleute, Männer und Weiber in feiertäglicher Tracht, sowie eine große Anzahl von Gefährten, waren in Bewegung und strebten gegen Schruns in seinem grünen Winkel.

Zur angesagten Stunde versammelten sich die Leidgäste vor des Schmidli anspruchsloser Behausung. Es mochten ihrer hundert erschienen sein, was für Manche, namentlich jene aus dem Dorfe, immerhin ein Wagniß, denn die Vergeltung wird nicht auf sich warten lassen. Die Bürgermusik von Bludenz, in gleicher schmucker Tracht, eröffnete den Zug und stimmte, statt des versagten Glockengeläutes, Beethoven’s Trauermarsch an. Ihr folgte der Sarg, den sechs ehrenfeste Bürger von Schruns auf die Schultern genommen hatten; nach diesem gingen der Kreuzträger mit dem umflorten Kreuze, der Sohn und Pflegesohn und die Leidtragenden aus Nah und Fern, darunter der Reichstagsabgeordnete Rudolf Ganahl, der Bezirkshauptmann Kenner von Feldkirch und andere angesehene Herren und Frauen.

Als sie im warmen Sonnenscheine auf dem Friedhofe angekommen waren, trat Herr Dr. Huber aus Schruns vor das offene Grab, erhob seine Stimme und dankte allen, die durch ihr Hiersein zeigten, daß sie den von der römischen Kirche Verstoßenen nicht als Verstoßenen aus der Christenheit betrachteten, allen, die dem für das Recht der freien Ueberzeugung mit der Fahne in der Hand gefallenen Kämpfer das letzte Geleit gegeben. Er schloß mit der Aufforderung, für den Dahingeschiedenen das Vaterunser, „das gemeinsame Gebet der Christen“, zu beten, worauf alle Anwesenden mit lauter Stimme seinen Ansinnen entsprachen. Hierauf legte Herr Rudolf Ganahl, „als Führer und Vertreter der liberalen Partei im Lande“, einen von den Bludenzer Verfassungsfreunden gespendeten Kranz auf das Grab „des wackern, unerschrockenen Streiters für Freiheit, Wahrheit und Recht“. (Einen zweiten Kranz hatte eine geistreiche Dame gespendet, die Wittwe des überall geliebten und verehrten, edlen J. Sh. Douglaß, der vor zwei Jahren am Spullers-See durch einen Sturz vom Felsen verunglückte.) Als dritter Grabredner trat Herr Kaufmann, ein junger Ingenieur von Bludenz, auf. Man möge, sprach er, kühn und offen mitkämpfen den Kampf gegen die clericale Vergewaltigung; dann werde das Andenken an den heimgegangenen Zudrell niemals der Vergessenheit anheimfallen.

Nach diesem setzte Herr Heim, der Redacteur der Feldkircher Zeitung, das umflorte Kreuz in die Erde, „das Zeichen der Liebe und der Versöhnung“, worauf Christian Zudrell, der Sohn, der Fremdenführer und Holzschnitzler, mit bewegter Stimme allen Anwesenden für ihre ehrenvolle Theilnahme dankte. So endete ein Leichenbegängniß, dem zwar der Pfarrer und das Glockengeläute, nicht aber Andacht, Ernst und würdige Feierlichkeit fehlten. Ersterer war an diesem Tage in die Berge gegangen, um nicht zuschauen zu müssen, wie sein Verstoßener geehrt wurde.

Uebrigens lag es sehr nahe, bei dieser Gelegenheit an eine Geschichte zu denken, die sich vor zwei Jahren zu Hillisau im Bregenzer Wald ereignet hat. Dort lebten damals zwei Lehrer, welche bei allen Processionen am lautesten vorbeteten und in den ultramontanen Casinos die glühendsten Reden gegen die „Freimaurer“ abließen. Nun traf es sich aber, daß mehr als ein Dutzend Schulmädchen ihren Eltern offenbarten, die frommen Herren Lehrer hätten sich verbrecherischer Angriffe gegen sie schuldig gemacht. Der eine derselben ging nun sofort in den Wald und erhängte sich, war aber kaum abgeschnitten, als der ehrwürdige Clerus von Hillisau den Selbstmörder auch schon mit außergewöhnlicher Feierlichkeit bestattete. Es liegt allerdings im Interesse der Brixner Geistlichkeit, die Angriffe auf Feiertagsschülerinnen und schöne Knaben unter der gewöhnlichen Taxe zu halten, dagegen aber den Zweifel an die Unfehlbarkeit des Papstes als die schwärzeste Verworfenheit zu brandmarken, obgleich der Glaube daran auch den deutschen Bischöfen nur par ordre du Moufti eingetrieben worden ist.

Damals betrat der Beneficiat von Wilburger zu Hillisau die Kanzel, bejammerte das unverdiente Schicksal seiner „edlen“ Freunde und verwünschte jene Eltern, welche die fluchwürdige Anzeige bei Gericht gemacht. Nur ihre teuflische Bosheit habe das entsetzliche Unglück herbeigeführt!! Das ländliche Publicum ist durch die dermalige clericale Erziehung und Bildung schon dermaßen corrumpirt, daß es nach der Predigt die armen Eltern schadenfroh verhöhnte: „Heute hat er’s ihnen hineingesagt.“

Der andere Lehrer wurde übrigens damals eingefangen und bald darauf zu Feldkirch zu acht Jahren schweren Kerkers verurtheilt. Er hatte sich mit ekelhafter Scheinheiligkeit zu vertheidigen und alle seine Schandthaten abzuleugnen versucht. Auch der Herr Beneficiat erhielt für seine schönen moralischen Sprüche wegen Aufwiegelung eine Gefängnißstrafe von acht Tagen.

Bei diesem Leichenzuge zu Schruns kam uns aber noch ein anderer in Erinnerung, der vor fünf Jahren in einer Stadt am Eisack die Gemüther beträchtlich erregte. Am 21. Juni 1871 verschied nämlich im „Elephanten“ zu Brixen ein junger Ingenieur protestantischer Confession, Herr Leopold von Razynski aus Altona, der in Meran keine Genesung gefunden und sich daher wieder nach der Heimath gesehnt hatte.

Mutter und Schwester, die bei ihm waren, gedachten nun, an den protestantischen Pastor in Meran zu telegraphiren und ihn zum Begräbniß zu laden, allein der hochwürdige Stadtpfarrer war auch schon da und erklärte, daß nach einem Beschlusse des noch hochwürdigeren Ordinariates ein protestantischer Geistlicher in Brixen überhaupt keine kirchliche Function vollziehen dürfe. Seine passive Assistenz sagte der Herr Stadtpfarrer allerdings zu, was die erwähnten Damen in Ermangelung eines Besseren annahmen – aber Seine Hochwürden zogen später dennoch vor, durch ihre Abwesenheit zu glänzen. In der Stadt des heiligen Cassian kennt man die Liebe, wenigstens die christliche, nicht. Eigentlich wollte man die Ketzerleiche auch in der christkatholischen Todtencapelle nicht zulassen; da jedoch der Elephantengasthof überfüllt war, so mußte es gleichwohl geschehen, wobei sich denn etliche schon weidlich gehetzte Brixner gar christlich darüber aufhielten, daß man „den crepirten Lutheraner“ in ihr Heiligthum einlasse. Endlich kam es zum Leichenzuge, welcher sich still und feierlich zur „Grabstätte der Akatholiken“ begab. Diese ist ein kleiner Pferch, der an den katholischen Friedhof angeleimt ist, mit einem ärmlichen Mäuerlein umgeben, mit einem ärmlichen Gatter, und einem ärmlichen Schilde, auf welchem jene Aufschrift steht. Der „Elephant“ hatte die Leuchter geborgt, das Crucifix und andere Nothwendigkeiten aber waren im Laden gekauft worden, weil weder das Spital noch die Pfarrkirche die geweihten Gegenstände zu solchem Gebrauche herleihen wollte. Zufällig war nun damals der Feldmarschalllieutenant Graf von Castiglione auf der Durchreise in Brixen, bekanntlich ein edler, geistreicher Mann. Dieser stellte sich, indignirt über solches Treiben, in voller Uniform an die Spitze des Zuges und warf auch die erste Schaufel Erde auf den Sarg. Darauf trat die Gemahlin des Bezirkshauptmanns von Chizzali muthig hervor und betete mit lauter Stimme ein Vaterunser am Grabe, und alle Anwesenden stimmten gehobenen Herzens ein. Und wie die leicht bewegliche Menge ist

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_583.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)