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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


legte. Dabei ging durch das ganze Wesen des jungen Fürsten ein Zug von Romantik, der sich sehr glücklich mit der Eleganz und Vornehmheit des Cavaliers vereinigte, – Leo Baratowski war ein wahres Ideal von Schönheit und Ritterlichkeit.

„Also Du hast wirklich Deinen ehemaligen Hauslehrer mitgebracht,“ sagte er heiter. „Da bewundere ich Deinen Geschmack, Waldemar. Ich war froh, als mir mein Herr Präceptor nichts mehr zu sagen hatte, und hätte ihn auf keinen Fall mit auf die Universität oder gar auf Reisen genommen.“

Die Kälte, die stets in dem Wesen des jungen Nordeck lag, wenn er ausschließlich mit seiner Mutter sprach, verschwand zum größten Theile, als er sich jetzt an den Bruder wandte.

„Als einen bloßen Hauslehrer darfst Du den Doctor Fabian wirklich nicht ansehen, Leo. Er hat das Erziehungsfach längst aufgegeben und sich ausschließlich seinen historischen Studien zugewendet; es war ja überhaupt nur seine Mittellosigkeit, die ihn das erstere ergreifen ließ. Er ist von jeher mit Leib und Seele Gelehrter gewesen, wußte seine Kenntnisse aber nie praktisch zu verwerthen, und da blieb ihm denn freilich nichts übrig, als ‚Präceptor‘ zu werden.“

„Das merkte man,“ fiel die Fürstin ein. „Er hatte von jeher die ganze Trockenheit und Pedanterie des Gelehrten.“

„Warst Du mit seinen Berichten nicht zufrieden?“ fragte Waldemar ruhig.

„Mit welchen Berichten?“

„Die der Doctor Dir im Anfange meiner Universitätszeit regelmäßig sandte. Er war im Zweifel darüber, was Du eigentlich zu wissen wünschtest, und da gab ich ihm den Rath, sich möglichst eingehend an meine Studien zu halten. Ich denke, er ist ausführlich genug gewesen.“

Die Fürstin stutzte. „Du scheinst diese Correspondenz bis in alle Details hinein zu kennen und sie sogar theilweise – dirigirt zu haben.“

„Doctor Fabian hat keine Geheimnisse vor mir, und ich meinerseits fand es natürlich, daß Du Dich für meine Studien interessirtest,“ versetzte Waldemar in so gleichgültigem Tone, daß der Argwohn der Mutter, er könne ihren damaligen Plan durchschaut haben, sofort wieder verschwand. Die ersten Bemerkungen hatten ihr entschieden wie Ironie geklungen, aber ein Blick auf das unbewegliche Antlitz des Sohnes beruhigte sie. Unmöglich! Weder er noch sein ehemaliger Lehrer besaßen die Fähigkeit, so tief zu schauen.

„Leo freut sich sehr darauf, bei den Jagdstreifereien in und um Wilicza Deinen Führer zu machen,“ sagte sie abbrechend. „Ich werde wohl darauf gefaßt sein müssen, Euch in den nächsten Wochen sehr wenig im Schlosse zu haben.“

Waldemar blickte zu dem Bruder auf, der noch an seinem Sessel lehnte.

„Ich fürchte nur, Leo, wir treiben die Passion Beide auf sehr verschiedene Weise. Du bleibst auch als Jäger immer der elegante Cavalier, der nöthigenfalls vom Walde gleich in den Salon treten kann, mit mir dagegen mußt Du mitten durch das Dickicht und oft genug auch durch Sumpf und Moor dem Wilde nach. Wer weiß, ob Dir das zusagt!“

Der junge Fürst lachte. „Nun, ich glaube denn doch, daß es in unseren polnischen Wäldern ernsthafter zugeht als in den friedlichen Jagdgründen von Altenhof. Du wirst ja bald selbst urtheilen können, ob man bei einem gelegentlichen Rencontre mit den Wölfen immer in so salonfähigem Zustande davonkommt. Ich habe oft genug verwegene Streifereien ausgeführt, und da auch Wanda eine leidenschaftliche Jägerin ist – Du weißt doch, daß sie in Wilicza ist?“

Die Frage kam ganz plötzlich und unerwartet; sie verrieth eine lebhafte Spannung. Desto ruhiger war der Ton Waldemar’s, als er erwiderte:

„Gräfin Morynska? Ja wohl, ich habe es gehört.“

„Gräfin Morynska!“ wiederholte die Fürstin vorwurfsvoll. „Es ist Deine Cousine, die Dir in Kurzem noch näher stehen wird. – Leo, Deinem Bruder wirst Du doch wohl nicht verschweigen wollen, was für Fremde allerdings noch ein Geheimniß ist.“

„Gewiß nicht!“ fiel der junge Fürst rasch ein. „Du erfährst es natürlich, Waldemar, daß – Wanda meine Braut ist.“

Seine Augen hefteten sich bei diesen Worten mit leidenschaftlichem Forschen auf das Gesicht des Bruders, auch die Fürstin fixirte es einige Secunden lang scharf, aber dort war nicht die geringste Erregung zu entdecken. Waldemar’s Züge blieben unbeweglich; nichts regte sich darin; er änderte nicht einmal seine bequeme, halb nachlässige Stellung.

„Deine Braut? Wirklich?“

„Das scheint Dich gar nicht zu überraschen?“ sagte Leo, etwas betroffen von dieser Gleichgültigkeit.

„Nein,“ versetzte Waldemar kalt. „Ich weiß ja, daß Du von jeher eine Neigung für Deine Cousine hegtest, und kann mir denken, daß weder die Mutter noch Graf Morynski Dir Hindernisse in den Weg gelegt haben. Ich wünsche Dir Glück, Leo.“

Dieser ergriff mit wirklicher Herzlichkeit die dargebotene Hand. Es war ihm doch etwas peinlich gewesen, diesen Punkt zur Sprache zu bringen; er fühlte sich im Unrechte gegen den Bruder, mit dessen Neigung er und Wanda ein so übermüthiges Spiel getrieben hatten, und die Ruhe, mit welcher Waldemar die Neuigkeit aufnahm, gewährte ihm eine große Erleichterung. Die Fürstin dagegen, die der Sache grundsätzlich keine Wichtigkeit mehr beilegte, aber doch einsah, daß man dieses Thema nicht mit zu großer Ausführlichkeit behandeln dürfe, beeilte sich, auf ein anderes überzugehen.

„Du wirst Wanda und ihren Vater ja heute noch sehen,“ sagte sie leichthin. „Wir haben natürlich viel Verkehr mit Rakowicz, das Du jedenfalls kennen lernen mußt. Doch vor allen Dingen – wie gefällt Dir Dein Wilicza? Du hast uns nicht Wort gehalten. Damals in C. versprachst Du Deinen Besuch schon zum nächsten Frühjahre, und volle vier Jahre sind vergangen, ehe Du Dich wirklich entschlossest, zu kommen.“

„Ich hatte immer die Absicht und kann nie dazu, sie auszuführen.“ Er erhob sich und trat an das große Mittelfenster. „Aber Du hast Recht, Wilicza ist mir beinahe fremd geworden. Ich werde in den nächsten Tagen einmal wieder das ganze Gebiet durchstreifen müssen, um nur einigermaßen heimisch zu werden.“

Die Fürstin wurde aufmerksam. „Das ganze Gebiet? Ich glaube kaum, daß es Dir viel Interessantes bietet, die Wälder ausgenommen, die für Dich als Jäger einen besonderen Reiz haben. Ueber Wilicza selbst wird Dir der Administrator Bericht erstatten – er hat Dir wohl schon gesagt, daß er seine Stellung zu verlassen beabsichtigt?“ Die Frage wurde ganz beiläufig hingeworfen; nichts verrieth die Spannung, mit der die Antwort erwartet wurde.

„Ja wohl,“ sagte Waldemar, zerstreut durch das Fenster blickend. „Er geht zum Frühjahre.“

„Das thut mir nun Deinetwillen leid, nun so mehr, als ich wohl die indirecte Ursache bin, daß Du einen jedenfalls tüchtigen Beamten verlierst. Frank wird in mancher Hinsicht schwer zu ersetzen sein. Seine Verwaltung zum Beispiel wird allgemein als mustergültig angesehen. Leider setzt seine Thätigkeit die stete Abwesenheit des Gutsherren voraus, denn er duldet keine andere Autorität neben sich; seine Leute klagen oft bitter über seine Rücksichtslosigkeit, und auch ich habe Proben davon erhalten. Ich habe ihn bisweilen ernstlich daran erinnern müssen, daß das Schloß und die Fürstin Baratowska denn doch nicht unter seiner Botmäßigkeit stehen, und eine dieser Scenen veranlaßte sein Abschiedsgesuch. Es kommt nun freilich darauf an, auf wessen Seite Du Dich stellst, Waldemar. Ich glaube, der Administrator wäre nicht abgeneigt, zu bleiben, wenn Du ihm gestattetest, nach wie vor den unumschränkten Gebieter zu spielen. Ich füge mich natürlich Deiner Entscheidung.“

Der junge Nordeck machte eine ablehnende Bewegung. „Ich bin ja erst seit gestern Abend hier und kann mich unmöglich so schnell in die Verhältnisse finden. Wenn Frank übrigens gehen will, so werde ich ihn nicht halten, und wenn wirklich Differenzen mit den Schlosse die Veranlassung dazu sind, so traust Du es mir doch hoffentlich nicht zu, daß ich dem Administrator gegenüber meine Mutter dementiren werde.“

Die Fürstin athmete auf. Sie hatte doch einige Besorgniß hinsichtlich Frank’s gehegt. Ihr Sohn sollte erst mit ihm in Verkehr treten, wenn er mit ihren Augen sehen gelernt hatte und gründlich gegen seinen Beamten eingenommen war; bei dem rücksichtslosen Freimuthe desselben und dem ungestümen Charakter des jungen Gutsherrn, der nicht den geringsten Widerspruch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_594.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)