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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Der arme Verfehmte aber troddelt nun obdachlos und darum recht kummervoll in Gottes freier Natur umher, bis er wenigstens für den Augenblick einen nothdürftigen Unterschlupf, etwa eine alte Waldschleuße oder ein wurzelgedecktes Erdloch gefunden, von wo aus er dann bedachtsam zu einem neuen Bau Voruntersuchungen anstellen kann. Um mit einem solchen aber möglichst schnell zu Stande zu kommen, wählt der aus Felsenklüften Gebürtige diesmal nur leichten Sandboden hierzu, welches Material freilich seine alte Steinklause nicht im Geringsten zu ersetzen vermag. Verräth sich doch schon der Fremdling durch solch frisch aufgeführte Einsiedelei sehr bald seinem schlimmsten Feinde, dem Jäger, der dann mit wahrem Vergnügen weiter beobachtet, ob Dachsmann auch hübsch stetig dabei Umgang hält und sich wirklich darin häuslich und bleibend einrichtet. Wie freut sich dabei der Auslugende der Bestätigung dessen, da dieser darauf hin den willkommenen Einwanderer, welchem er in seiner frühern granitfesten Residenz niemals Abbruch zu thun vermochte, nun schon fast als sein eigen betrachtet und ihn im kommenden Herbste sicher zu holen gedenkt. Bis dahin aber läßt der kluge Waidmann den stillen Waldgänger gänzlich unbelästigt, ja, er vermeidet sogar höchst behutsam Alles, was den Mißtrauischen auch nur ahnen lassen könnte, daß er bereits entdeckt und scharf in’s Auge gefaßt worden sei.

Inzwischen aber geht der borsthaarige Schwartenträger still seinen täglichen, oder vielmehr nächtlichen Nahrungsgeschäften nach, wobei er, je nach der Jahreszeit, mit Wurzeln, Gewürm, Larven, Käfern, Schnecken und Mäusen vorlieb nimmt, oder an Beeren, Obst und Feldfrüchten, auch an Bucheckern und Eicheln sich mästet, hierbei natürlich nicht minder gern ein ihm etwa aufstoßendes ergreifbares junges Feder- oder Haarwild als gesunde Zwischenkost verspeist. Daß der schwerfällige Patron aber speciell nach letzterer leckeren Jagdbeute ausginge, das fällt ihm sicher nicht ein; dazu ist er eben viel zu wenig Jäger.

In eigentlich also recht harmloser Weise „kraucht“ unser ungeselliger Nachtwächter „im Busche herum“, während er noch unschuldigerer Weise den lieben langen Tag, im Winter auch noch die Nächte hinzugenommen, einsam verschläft; nur in der kurzen Paarungszeit lebt der Griesgram mit seiner sonst ebenso abgeschlossen sich haltenden Fähe zusammen. Infolge dieses seines also nur nächtlichen Umgehens wird der trübsinnige Verließbewohner auch verhältnißmäßig sehr selten durch die Feuerwaffe erlegt, da dies höchstens bei recht hellem Mondschein auf dem Anstand möglich ist. Hierzu aber gehört unendlich viel Geduld und Vorsicht, denn der dabei erwartete Nachtwandler bewerkstelligt seinen Austritt so bedachtsam und ist dermaßen schreckhaft dabei, daß, wie man ihm nachsagt, er sich vor seinem eigenen Schatten scheut, und deshalb mit schärfsten Sinnen auf das auch nur irgendwie Verdächtige Acht hat. Erfolgreicher hingegen sucht man ihn bei Nacht – ob bei heller oder dunkler, ist gleich – in Wald und Flur mit dazu passenden Hunden auf, die ihn hier leicht stellen, packen und so lange festhalten, bis „der Herr der Schöpfung“ hinzugeeilt ist und den Ueberrumpelten todtgeschlagen hat. Wenn im Herbst der träge Klausner sich ein Wänstlein angemästet und also reich an Fett und gut von Schwarte ist, weiß Herr Immergrün auch noch allerhand weitere Mittel, den drallen Schmeerbauch in seine Gewalt zu bekommen. So belagert er ihn nicht nur in seiner Dassenburg mit Tellereisen, Schwanenhälsen, Schlagbäumen, Dachshauben und auch Selbstschüssen, welche Mordwerkzeuge alle man ihm in und um die Hauptröhren seines ausgedehnten Festungswerkes legt, sondern am liebsten holt sich der rüstige Waidmann, und zwar unter Beihülfe seiner kleinen krummbeinigen Jagdgenossen, der wackern Däckel, den menschenscheuen Mineur aus seinem erdverschanzten Lager durch Ausgrabung hervor. Und eine rechte, echte Jägerfreude bietet letztere Jagdart, wird sie nur nicht zu grausam gehandhabt, in der That; denke ich doch selber nie ohne ganz besondere Lust an so manchen dabei gehabten Naturgenuß. Am lebhaftesten steht mir aber immer der eine Fall vor der Seele, wobei ich in etwas illegitimer Weise die Reize des Dachsgrabens genossen.

Ein mir befreundeter jovialer Forstmann nämlich – Gott hab’ ihn selig, denn er ist nun auch schon vor Langem in die himmlischen Jagdgefilde einberufen worden – hatte erfahren, daß der Gehülfe vom Nachbarrevier, ein höchst eitler, prahlerischer und dabei sich ganz unfehlbar dünkender junger Mann, beschlossen, an einem bestimmten Tage auf seinem ihm unterstehenden Forstgebiet einen recht alten Dachs, der in einer ausgedehnten, etwa fünfzehnjährigen Kiefernschonung, der Cultur einer ehemaligen Brandfläche, seinen Bau hatte, zu graben.

Zu diesem Zwecke nun war von ihm auch bereits an eine ganze Sippe Sonntagsjäger, die er dafür natürlich waidlich honoriren mußte, Einladung ergangen, also alles hübsch an die große Glocke gehangen worden. Um diesen Nimrodsplan aber nicht nur zu kreuzen, sondern daraufhin auch noch ein recht tolles Jägerstücklein auszuführen, ließ mich mein Freund Grünrock wissen, daß er selber in der Nacht vor dem seitens seines Collegen bestimmten Tage der Dachsausgrabung den fetten Braten zu holen gedenke, damit, wenn dann zur festgesetzten Stunde der einberufene Jägertroß zur Stelle käme, dieser das Nest bereits ausgenommen fände. Hierzu brauche er jedoch nothwendig Hülfe, und zwar nur ganz vertraute, diese aber könne nur ich ihm sicher gewähren. Gern ging ich hierauf ein und sagte ihm lustig zu, dabei sein Kumpan zu werden. In Folge dessen fiel mir denn am entscheidenden Abend zunächst die Rolle zu, schon eine Stunde vor Sonnenuntergang den beabsichtigten nächtlichen Ausflug zu eröffnen, um noch bei Tageshelle an Ort und Stelle einzutreffen. Meine Aufgabe war, hier zu beobachten, ob der betreffende Gehülfe den Bau erst noch einmal untersuchen werde. Auch sollte ich bei einbrechender Dunkelheit, wo dann dessen Kommen nicht mehr zu befürchten stand, gleich bei der Hand sein, um schnell sämmtliche Röhren versetzen zu können, damit Mosje Schmalzsack, wenn er doch vielleicht einmal ausnahmsweise einen etwas vorzeitigen Ausgang zu halten gedachte, auf diese Weise dingfest gemacht würde. Mein Anstifter, der, um möglichst unverdächtig zu bleiben, erst mit Mondaufgang bei mir mit Grabwerkzeug und Hunden eintreffen wollte, durfte doch nicht blos zum Gutenachtsagen hinauskommen.

So saß ich denn lange einsam, still und wohl verborgen, nicht allzu weit von der stark befahrenen Hauptröhre entfernt, in einem tiefen Kiefernkuschel und lauschte auf jeden Laut. Aber nichts irgendwie Verdächtiges stieß mir bei meinem stundenlangen Harren auf, und nachdem ich nach dieser Frist schnell alle Eingänge des umfangreichen Baues verrammelt, war es für mich eine wahre Herzenswonne, den wunderbar herrlichen, wenn auch schon recht frischen Octoberabend in so heimlicher Waldeinsamkeit genießen zu können. Golden schimmerte da der Sonne Nachglanz am Himmel durch die dichten grünen Wipfel des jungen Holzes, während nach entgegengesetzter Seite der Mond über den weiten, weiten nebelduftigen Wald emporstieg und ihn bald mit magischem Schimmer übergoß, im nahen Waldteich aber, den ich durch ein paar lichte Stellen in der Schonung gerade erblicken konnte, mit glitzerndem Prunken sich wiederspiegelte. Dazu schnipsten und flatterten noch immer Wandervögel durch die Dickung, und vom Geröhricht des stillen Gewässers her flüsterte und klang es sirenenhaft, untermischt von tausend schwirrenden Stimmen dort eingefallener Staare, während Wildenten mit pfeifendem Flügelschlag die Luft durcheilten und dann, beim Einfallen, von weit her auch ihre Laute mit denen von anderem Wassergeflügel vereinten. Aber auch das Abendglöcklein aus dem nächsten Dorfe schallte hell und melodisch zu mir herüber und – gestehe ich es nur offen ein! – gerade dieser feierliche Schall machte mir, wie ein ernstes Mahnen, das Herz pochen vor Gewissensbissen über mein Wandeln auf immerhin unrechtem Pfade – lief es dabei auch nur auf einen Waidmanns-Schabernack hinaus.

Doch als vom Rande der Dickung her das verabredete Signal meines Genossen ertönte, da war die empfindsame Stimmung auf einmal verflogen, und mit kurzem Pfiff erwiderte ich das gegebene Zeichen und bekundete damit, daß Alles sicher sei. Darauf hin raschelte es denn auch bald auf ausgetretenem Wildsteig daher und vorsichtig näherte sich, mit Spaten, Schaufeln, Hacke und Gabel auf der Schulter, mein Verführer, gefolgt von dem bewährten Däckelpärchen, Bergmann und Waldine.

Ungesäumt ward nun zur That geschritten, und ließen wir deshalb vor allen Dingen die Däckel, Bergmann, den Erfahrenen, voran, in die geöffnete Hauptröhre einkriechen. Kaum war dies geschehen, so gellten auch schon die scharfen Stimmen unserer grätigen Hülfstruppen daraus hervor, bis sie, dumpf verhallend,

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