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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 37.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Es fand wieder eine jener großen Jagdfestlichkeiten statt, welche gewöhnlich die ganze Umgegend in Wilicza zu versammeln pflegte; auch diesmal waren die ergangenen Einladungen sämmtlich angenommen worden und die Gesellschaft, die ausschließlich aus dem polnischen Adel der Nachbarschaft bestand, zahlreicher als je. Der Fürstin war es sehr lieb, daß die Rücksicht auf ihren Sohn darin keine Aenderung verlangte. Sie hätte ihm natürlich das Opfer gebracht, die Einladungen nach seinen Wünschen zu regeln, aber davon war gar nicht die Rede. Waldemar schien es durchaus selbstverständlich zu finden, daß der Umgangskreis seiner Mutter auch der seinige sei, und bei dem äußerst geringen Antheile, den er überhaupt an den geselligen Beziehungen nahm, konnte ihm das auch ziemlich gleichgültig sein. Er selbst verkehrte bis jetzt noch mit Niemand in der Umgegend und vermied auch die Bekanntschaften, welche die Fürstin einigermaßen fürchtete, die höheren Beamten aus L. und die Officiere der dortigen Garnison, obwohl er die meisten von ihnen bereits am dritten Orte kennen gelernt hatte. Man hatte sich in diesen Kreisen denn auch darein gefunden, den jungen Nordeck als gänzlich zu den Baratowski gehörig zu betrachten, und nahm an, daß er vollständig in der Gewalt der Mutter sei, die ihm kein fremdes Element auch nur nahe kommen lasse.

Der Aufbruch der Jagdgesellschaft erfolgte diesmal ungewöhnlich spät. Ein dichter Nebel, der wie festgemauert stand und kaum einige Schritte weit zu sehen gestattete, hatte am Morgen gedroht, die ganze Jagd in Frage zu stellen. Erst in den Vormittagsstunden lichtete es sich soweit, daß das Programm des Tages zur Ausführung gebracht werden konnte, mit der alleinigen Abänderung, daß das Frühstück im Schlosse statt im Walde eingenommen wurde.

Ein Theil der Gäste war schon im Aufbruche begriffen. Die Herren und die jüngeren Damen, welche an der Jagd Theil nahmen, verabschiedeten sich von der Fürstin, die mit Leo in der Mitte des großen Saales stand. Wer die Verhältnisse nicht kannte, mußte unbedingt den jungen Fürsten für den eigentlichen Gebieter von Wilicza halten, denn er und seine Mutter bildeten den Mittelpunkt der ganzen Gesellschaft, nahmen alle Artigkeiten, alles Interesse derselben in Anspruch und machten die Honneurs in einer Weise, die an Vornehmheit und Eleganz nichts zu wünschen übrig ließ, während Waldemar einsam und fast übersehen am Fenster stand, im Gespräche mit dem Doctor Fabian, der natürlich im Schlosse zurückblieb und nur an dem Frühstücke Theil genommen hatte.

Die Haltung des jungen Schloßherrn fiel Keinem auf, da er stets freiwillig diese untergeordnete Rolle wählte. Er schien sich consequent als Gast seiner Mutter zu betrachten, der mit der Repräsentation des Hauses gar nichts zu thun habe, und wies Alles, was damit zusammenhing, als lästig und unbequem von sich. Man hatte sich daher allmählich gewöhnt, dem, der so gar keine besonderen Rücksichten beanspruchte, auch keine zu gewähren. Man grüßte ihn stets sehr verbindlich beim Kommen und Gehen, hörte aufmerksam zu, wenn er sich einmal herbeiließ, an der Unterhaltung Theil zu nehmen, und bequemte sich sogar zu dem Opfer, in seiner Gegenwart deutsch zu sprechen, trotz der allgemeinen Abneigung gegen diese Sprache – er war und blieb doch nun einmal dem Namen nach der Herr dieser Güter, und man wußte, was seine Passivität als solche werth war. Die vergebliche Mühe, die eigensinnige Zurückhaltung zu durchbrechen, in der er sich gefiel, gab sich schon lange Niemand mehr, und im Großen und Ganzen nahm die Gesellschaft nicht mehr Notiz von ihm, als er von ihr.

„Nur nicht wieder so wild reiten, Leo!“ ermahnte die Fürstin, während sie mit einer Umarmung von ihrem jüngsten Sohne Abschied nahm. „Du und Wanda, Ihr wetteifert dabei immer in allen nur möglichen Wagnissen. Ich bitte diesmal ernstlich um Vorsicht.“ Sie wandte sich zu ihrem Aeltesten, der jetzt auch herantrat, und reichte ihm mit kühler Freundlichkeit die Hand. „Leb’ wohl, Waldemar! Du bist ja wohl heute recht eigentlich in Deinem Elemente?“

„Durchaus nicht!“ war die ziemlich unmuthige Antwort. „Solche große Staats- und Convenienzjagden, wo der ganze Wald voll von Treibern und Jägern ist und das Wild zum mühelosen Schusse vor den Lauf getrieben wird, sind durchaus nicht nach meinem Geschmacke.“

„Waldemar ist nur froh, wenn er mit seiner geliebten Büchse allein ist,“ sagte Leo lachend. „Ich habe Dich entschieden in Verdacht, daß Du mich geflissentlich durch das ärgste Gestrüpp und den tiefsten Moor geschleppt und mich dem Hunger und Durst preisgegeben hast, nur um mich möglichst bald los zu werden. Ich bin doch auch gerade kein Weichling in solchen Dingen, aber ich hatte schon nach den ersten drei Tagen genug von den Strapazen, die Du ‚Vergnügen‘ nennst.“

„Ich sagte es Dir ja vorher, daß unsere Neigungen darin auseinander gehen,“ meinte Waldemar gleichgültig, während sie gemeinschaftlich den Saal verließen und die Treppe hinabstiegen.

Ein Theil der Gesellschaft war bereits unten auf dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_611.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)