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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


in den Taschen haben, wird das Café nicht leer. Dieses, sowie das ganze Hôtel besteht erst seit einigen Monaten in seiner jetzigen vollkommeneren Einrichtung, nämlich seitdem so viele Russen und sonstige Fremde in Cettinje verkehren; früher soll Alles äußerst primitiv gewesen sein. Auch ein türkischer Oberstlieutenant in voller Uniform befand sich unter den Gästen. Derselbe war einer Commission zugetheilt worden, um Pferde zu kaufen, wußte aber seine Collegen zu täuschen und desertirte mit dem Betrage von hundertfünfzig Napoleonsd’or. So hat der Schuft selbst erzählt.

Am andern Tage suchte und fand ich durch freundliche Vermittelung einen Führer, der etwas italienisch sprach, und brach nach Rjeka auf, um von dort aus in die Waldungen der Czernagora weiter einzudringen. Der Weg nach Rjeka ist womöglich noch schlechter als der von Njegusch nach Cettinje. Die ersten drei Viertel Stunden geht es auf rauhem Felspfade steil aufwärts, um dann in weiteren drei Stunden gegen dreizehnhundert Meter hinunterzusteigen. Da mein Pferd auch wieder zu schwach war für den schweren Reiter, so mußte ich bei brennender Sonnenhitze, welche mit wolkenbruchartigem Gewitterregen abwechselte, den ganzen Abstieg zu Fuß machen.

Schon ehe man Rjeka erreicht, ändert sich der Charakter der Landschaft. Anfangs nur sterile Felspartien, dann hier und da urbares Land mit Mais und Kartoffeln bebaut, noch tiefer Weinberge, und nahe der Thalsohle, an sanfteren Hängen, in Mulden und kleinen Thälern, allüberall wo sich nur Humus bilden konnte, eine reiche Vegetation von Weinreben, Maulbeerbäumen, Feigenbäumen mit reifen bräunlichen Früchten, zahme Kastanie, Oelbäume, üppig wachsende Tabakfelder, Alles durchleuchtet von den rothen Blüthen der Granatbäume. In Rjeka begann das Reise-Elend, was Kost und Nachtquartiere betraf; in Cettinje hatte ich das letzte Bett gesehen. Und von dort hatte ich noch drei Tagereisen zu machen bis zum Quellengebiete der Muraca, durchschnittlich täglich zehn Stunden, dabei nur zwei kleinere Ortschaften berührend, nämlich Danilograd und Rovce. Ich übergehe die Nächte auf dieser Reise mit ihren Plagegeistern jeder Art, die aber der todmüde Körper kaum verspürte; ich mag nicht erzählen von der schlechten Kost, aus Ziegenfleisch, Ziegenkäse und frischgebackenem kleberigem Maisbrode bestehend, bei deren Erinnerung ich noch heute einen Brechreiz empfinde, noch von dem stets warmen, aber zum Glück kräftigen Rothweine, den wir in einem Ziegenschlauche, dessen Haare nach innen gekehrt waren, am Sattel mit uns führten; auch mag ich nicht den Leser ermüden mit stets wiederholten Klagen über die halsbrecherischen Wege.

Die Berge der Czernagora, die ich bisher gesehen, waren alle kahl und nur mit kurzem Gestrüpp bedeckt, im Nordosten des Landes aber, von der Muraca und ihren Seitenflüssen durchsetzt und zerklüftet, zieht sich ein gewaltiger Gebirgsstock hin, das Rovcigebirge mit dem zweitausend Meter hohen Dormitor als größte Erhebung. Diese wilden Alpenzüge, gleichfalls aus dunkelgrauem Kalkfelsen gebildet, tragen auf einer Fläche von circa neunzigtausend Hectares, dem fünften Theile des Fürstenthums, einen eigentlichen wahren Urwald von Fichten und Edeltannen, im Gemisch aller Altersclassen, aber durchschnittlich zweihundert Jahre alt. Bis jetzt ihres entlegenen Standortes wegen von der Axt verschont, sollten in nächster Zukunft diese Riesenstämme von fünfzig bis siebenzig Meter Höhe und fünfzig bis hundertfünfzig Centimeter Stammdurchmesser der Speculation zum Opfer fallen. Aber dem conservativen Forstmanne zur Beruhigung sei’s gesagt, ihre Stunde hat noch nicht geschlagen. Die mühseligen Transportverhältnisse verursachen einen Kostenaufwand, der mit den jetzigen Holzpreisen nicht im Verhältnisse steht.

In Rjeka, wohin ich nach wöchentlicher Abwesenheit zurückkehrte, hatte ich meinen Koffer gelassen, weil ich von dort, der Wasserstraße folgend, die das Holz im Falle einer Schlägerung zu nehmen hätte, über Albanien das adriatische Meer gewinnen wollte. Diese Wasserstraße genau kennen zu lernen, war für das projectirte Geschäft von großer Wichtigkeit. Die Stimmung in Montenegro war indessen immer kriegerischer geworden; allenthalben sind Hinterlader nebst Munition ausgetheilt, und allgemein wird der 27. Juni als Tag des Losschlagens bezeichnet. Dieser Zustände wegen konnte ich nur mit Mühe ein Boot mit der Besatzung von fünf Montenegrinern auftreiben, die mich für den hohen Preis von vierzig Gulden nach Scutari bringen sollten.

Ehe ich von der Czernagora auf Nimmerwiedersehen Abschied nehme, will ich noch einige Worte über Charakter und Sitten dieses halbcivilisirten Bergvolkes hinzufügen. Die Montenegriner sind ein „Volk in Waffen“ in der strengsten Bedeutung des Wortes. Vom Knaben an, sobald er mannbar geworden, bis zum Greise ist die rothe Schärpe, die den Leib umgürtet, mit Pistolen und Handschar geziert, die oft das werthvollste, häufig das einzige Vermögen ihres Besitzers repräsentiren. Die Pistolen, meistens mit eingelegter Arbeit versehen, haben durchweg Steinschlösser und sehr großes Kaliber. Ich halte sie mehr für Paradestücke, auch sind sie in neuerer Zeit häufig durch die praktischeren Revolver verdrängt worden. Der Handschar, durch Generationen vererbt, ist das Heiligthum des Besitzers. Dieser weiß genau aufzuzählen, wie viel Türkenköpfe seine Ahnen und er damit abgeschnitten. Sein Haß gegen diesen fünfhundertjährigen Erbfeind ist grenzenlos.

Das Benehmen und die Sprachweise des Montenegriners sind ernst und würdevoll; sein Ehrgefühl ist in so hohem Grade ausgebildet, daß ein Stockschlag auf der Stelle mit dem Tode gerächt wird, ohne daß das Gesetz den Mörder bestraft. Gemeiner Diebstahl wird gesetzlich mit Verbannung aus dem Lande oder nach Amnestie des Verbrechers im Wiederholungsfalle mit dem Tode gebüßt. Bei Ehebruch steht dem beleidigten Gatten das Recht zu, beide Theile zu tödten. Jedes intimere Verhältniß zwischen beiden Geschlechtern muß mit der Ehe abschließen; tritt der Mann zurück, so wird er von den Verwandten des Mädchens rettungslos getödtet; ein Zurücktritt des Mädchens ist nicht denkbar.

Der Montenegriner ist zu stolz zur gewöhnlichen Arbeit; alle Arbeiten im Hause, sowie auf dem Felde werden durch die Frauen verrichtet; selbst die Professionisten im Lande sind meistens Dalmatiner. Der Mann stählt seine Körperkraft durch förmlich homerische Spiele und übt sich in den Waffen. Sein ganzes Sinnen und Trachten geht dahin, ein Held zu werden, um in den Volksliedern fortzuleben. Lesen und Schreiben hält er zu diesem Berufe nicht für unumgänglich nothwendig, obgleich jetzt in den meisten Dörfern Schulen errichtet sind. Handel mit Ziegen und Schafen, mit Wein, Tabak, Oel und Gerber-Sumach sind die Haupterwerbsquellen. Die Frauen sind von mittlerer Größe, kräftig, aber nicht besonders schön, doch alle haben einen freundlichen angenehmen Gesichtsausdruck und prachtvolle Zähne. Die gewöhnliche Kleidung derselben ist: dunkles Kopftuch nach italienischer Manier getragen; weißwollenes, schwarz eingefaßtes und verziertes Ueberkleid ohne Aermel, vorne offenstehend; schneeweißes langes Hemd, hoch am Halse zugezogen und die Arme bedeckend; von der Taille abwärts schwarzwollene lange Schürze. Die Füße stecken entweder in Opanken oder in ausgeschnittenen schwarzen Schuhen mit weißen Strümpfen. Die ganze Tracht in ihrer Einfachheit ohne schreiende Farben macht einen keuschen und gewinnenden Eindruck.

(Schluß folgt.)




Bayreuther Festtagebuch.
Nr. 3. Vom 18.–23. August.
18. August.     

Ich hole heute das Versäumte nach und bringe Etwas aber die vierte Vorstellung – „Götterdämmerung“ zu Papier. Ich sage „Etwas“, denn ich besitze nicht das „Mordgenie“ so vieler meiner Herren Collegen, von heute auf morgen fix und fertig mit meiner Weisheit vor das Publicum treten zu können. Da wir nun bekanntlich an dieser Stelle nicht polemisiren, so muß ich – auf dem Bayreuther Standpunkte – erklären, daß die Steigerung der dramatischen Wirkung in der „Götterdämmerung“ ihren höchsten Gipfel erreichte und dabei doch, dank den vielfachen Reminiscenzen der musikalischen Motive, dem Publicum und mir selber leichter verständlich wurde, als wir Alle glaubten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_619.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)