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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 37.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)

„Ich leugne diese Beobachtung keineswegs,“ entgegnete Wanda stolz, „aber Sie werden sich wohl selbst sagen, Herr Nordeck, daß jedes persönliche Interesse dabei von vornherein ausgeschlossen blieb.“

Er lächelte mit unverstellter Bitterkeit. „Sie haben vollkommen Recht. Bei Ihnen setze ich kein Interesse für meine Person voraus. Vor dem Verdacht sind Sie von meiner Seite sicher.“

Wanda wollte die Hindeutung nicht verstehen, aber sie vermied es doch, seinem Blick zu begegnen. „Sie werden mir wenigstens das Zeugniß geben, daß ich offen gewesen bin,“ fuhr sie fort. „An Ihnen ist es jetzt, nur meine Beobachtungen zuzugeben oder abzuleugnen.“

„Und wenn ich Ihnen nun nicht Rede stehen will?“

„So habe ich eben recht gesehen, und werde es ernstlich versuchen, meine Tante zu überzeugen, daß ihr Sohn nicht so ungefährlich ist, wie sie denkt.“

Der sarkastische Ausdruck von vorhin spielte wieder um Waldemar’s Lippen, als er antwortete. „Ihr Urtheil mag sehr hoch stehen, Gräfin Morynska, eine Diplomatin aber sind Sie nicht, sonst würden Sie Ihre Ausdrücke vorsichtiger wählen. Ungefährlich! Das Wort giebt zu denken.“

Die junge Dame schrak unwillkürlich zusammen. „Ich wiederholte nur Ihren eigenen Ausdruck von vorhin,“ sagte sie, sich rasch fassend.

„Ah so, das ist etwas Anderes. Ich glaubte schon, es ginge irgend etwas in Wilicza vor, bei dem meine Anwesenheit als eine Gefahr betrachtet wird.“

Wanda gab keine Antwort, sie sah jetzt erst ein, wie grenzenlos unvorsichtig es gewesen war, den Kampf gerade auf dieses Gebiet hinüberzuspielen, wo der Gegner sich ihr so vollständig gewachsen zeigte. Er parirte jeden Streich, gab jeden Schlag zurück und verstrickte sie zuletzt rettungslos in ihre eigenen Worte, und dabei hatte er den Vortheil der Kälte und Besonnenheit für sich, während sie nahe daran war, ihre ganze Fassung einzubüßen. Auf diesem Wege ging es nicht weiter, das sah sie, und so faßte sie denn einen raschen Entschluß und zerriß energisch das Netz, das ihre eigene Unvorsichtigkeit ihr um das Haupt gewoben hatte.

„Lassen Sie doch den Hohn!“ sagte sie, ihr großes Auge finster und voll auf ihn richtend. „Ich weiß ja, daß er nicht der erwähnten Sache, sondern einzig und allein mir gilt. Sie zwangen mich endlich doch, einen Punkt zu berühren, den ich sicher nie der Vergessenheit entrissen hätte, wenn Sie mich nicht immer wieder darauf zurückführten. Ob ein solches Benehmen ritterlich ist, will ich dahingestellt sein lassen, aber Sie fühlen wohl so gut wie ich, daß es uns in eine Stellung gebracht hat, die anfängt unerträglich zu werden. Ich habe Sie einst beleidigt, und Sie haben mir das bis auf den heutigen Tag noch nicht verziehen. Nun denn –“ sie hielt einen Moment lang inne und athmete tief auf – „ich war damals im Unrecht gegen Sie; ich gestehe es ein. Ist Ihnen das genug?“

Es war eine eigenthümliche Abbitte und noch eigenthümlicher die Art, in welcher sie ausgesprochen wurde. Es lag darin der ganze Stolz einer Frau, die recht gut fühlt, daß es für sie keine Demüthigung ist, wenn sie sich herabläßt, einen Mann dafür um Verzeihung zu bitten, daß sie ihn zum Spielball ihrer Laune gemacht hat. Gräfin Morynska besaß offenbar das volle Bewußtsein davon, sonst hätte sie sich auch schwerlich zu diesen Worten verstanden, aber die Wirkung derselben war eine ganz andere, als sie erwartete.

Waldemar war einen Schritt zurückgetreten und sein Auge richtete sich mit einem durchbohrenden Ausdruck auf ihr Antlitz. „Wirklich?“ sagte er langsam und jedes Wort schwer betonend. „Ich wußte nicht, daß Wilicza Ihrer Partei so viel werth sei.“

„Sie glauben –?“ rief Wanda heftig.

„Ich glaube, daß ich es schon einmal theuer habe bezahlen müssen, Herr dieser Güter zu sein,“ unterbrach er sie, und man hörte, daß es jetzt auch mit seiner Ruhe zu Ende ging; es lag in seinen Worten etwas wie wühlende Gereiztheit. „Damals galt es Wilicza meiner Mutter und ihren Interessen zu öffnen; jetzt soll es diesen Interessen erhalten werden, um jeden Preis, aber man vergißt, daß ich nicht der unerfahrene Knabe mehr bin. Sie haben mir selbst die Augen geöffnet, Gräfin, und jetzt werde ich sie offen halten, auf die Gefahr hin, von Ihnen der ‚Unritterlichkeit‘ geziehen zu werden.“

Wanda war todtenbleich geworden. Ihre herabhängende Rechte ballte sich krampfhaft in den Sammetfalten des Kleides.

„Genug!“ sagte sie, sich gewaltsam beherrschend. „Ich sehe, Sie wollen keine Versöhnung und nehmen Ihre Zuflucht zur Beleidigung, um jede Verständigung unmöglich zu machen. Nun gut, ich nehme die gebotene Feindschaft an.“

„Sie irren,“ versetzte Waldemar ruhiger. „Ich biete Ihnen keine Feindschaft; das wäre in der That eine Unritterlichkeit gegen –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_627.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)