Seite:Die Gartenlaube (1876) 644.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


einem Verirren in den Gängen des Schlosses entschuldigen; vielleicht lag hier der Schlüssel zu all seinen Geheimnissen. Da öffnete sich urplötzlich die Thür und – Waldemar Nordeck trat heraus. Der Assessor prallte zurück. Gerechter Gott! beinahe wäre er zum zweiten Male an den Herrn von Wilicza gerathen. Ein einziger Blick durch die offene Spalte zeigte ihm, daß es dessen Schlafzimmer war, das er für so gefährlich gehalten. Waldemar ging mit sehr kühlem Gruße an ihm vorüber nach den Zimmern des Doctor Fabian. Hubert sah, daß ihm trotz seiner Entschuldigung das „verdächtige Subject“ noch nicht vergeben war. Dieses Bewußtsein und die unerwartete Begegnung nahmen ihm für jetzt die Lust zu ferneren Entdeckungen, und als vollends ein Diener auf der Treppe erschien, blieb ihm nichts weiter übrig, als den Rückzug anzutreten.

Waldemar war inzwischen bei seinem Lehrer eingetreten, den er am Schreibtische fand, beschäftigt, die Bücher und Zeitungen, welche er vorhin vor den neugierigen Augen des Assessors in Sicherheit gebracht, wieder zu ordnen; der junge Gutsherr näherte sich gleichfalls dem Tische.

„Nun, was giebt es für Nachrichten?“ fragte er. „Sie haben Briefe und Zeitungen aus J. erhalten. Ich sah es, als ich Ihnen vorhin das Briefpaket herübersandte.“

Der Doctor blickte auf. „Ach, Waldemar,“ sagte er in beinahe schmerzlichem Tone, „warum haben Sie mich fast gezwungen, mit meinen stillen Studien und Arbeiten vor die Oeffentlichkeit zu treten! Ich sträubte mich von Anfang an dagegen, aber Sie ließen nicht nach mit Treiben und Drängen, bis ich das Buch erscheinen ließ.“

„Natürlich! Was nützt es Ihnen und der Welt, wenn es in Ihrem Schreibtische verschlossen bleibt? Aber was ist denn geschehen? Ihre ‚Geschichte des Germanenthums‘ wurde ja über alles Erwarten günstig in den betreffenden Kreisen aufgenommen. Gerade aus J. kam die erste Anerkennung vom Professor Weber, und ich dächte, dessen Name und Urtheil wäre doch von entscheidendem Gewichte.“

„Das glaubte ich auch,“ entgegnete Fabian niederschlagen. „Ich war so glücklich und stolz auf das Lob aus einem solchen Munde, aber gerade dies hat dem Professor Schwarz – Sie kennen ihn ja – Anlaß gegeben, in einer ganz unerhörten Weise über mich und mein Buch herzufallen. Lesen Sie nur!“

Er reichte ihm das Zeitungsblatt hin. Nordeck nahm es und las es ruhig durch. „Das sind ja allerliebste Bosheiten; besonders der Schluß läßt darin nichts zu wünschen übrig: ‚Wie wir hören, war diese von Herrn Professor Weber ganz neu entdeckte Berühmtheit längere Zeit Hauslehrer bei dem Sohne eines der ersten Grundbesitzer unseres Landes, mit dessen Erziehung sie aber durchaus kein glänzendes Resultat erzielte. Trotzdem mag der Einfluß dieses vornehmen Zöglings das Seinige gethan haben zu der maßlosen Ueberschätzung eines Werkes, mit dem ein ehrgeiziger Dilettant es versucht, sich in die Reihe von Männern der Wissenschaft zu drängen.‘“

Waldemar warf das Blatt auf den Tisch. „Armer Doctor, wie oft werden Sie wohl noch büßen müssen, mich Ungethüm erzogen zu haben! Freilich ist Ihre Erziehung so unschuldig an meiner Unliebenswürdigkeit wie mein Einfluß an der Weber’schen Kritik Ihres Buches, aber den Hauslehrer vergiebt man Ihnen nun einmal nicht in jenen exclusiven Kreisen, und sollten Sie auch später selbst den Professorenstuhl besteigen.“

„Mein Gott, wer denkt daran!“ rief der Doctor, förmlich erschreckt von dieser Idee. „Ich doch gewiß nicht, und eben deshalb kränkt es mich so tief, daß mir Ehrgeiz und unberechtigtes Eindrängen vorgeworfen wird, weil ich ein einfaches wissenschaftliches Werk geschrieben habe, das sich streng an die Sache hält, Niemand beleidigt, Niemandem zu nahe tritt –“

„Und nebenbei ausgezeichnet ist,“ fiel Waldemar ein. „Ich dächte, das müßten Sie endlich glauben, nachdem Weber so entschieden Partei dafür ergriffen hat. Sie wissen, er läßt sich nicht beeinflussen, und er war Ihnen doch sonst eine unbestrittene Autorität, zu der Sie bewundernd emporblickten.“

„Professor Schwarz ist auch eine Autorität.“

„Ja, aber eine schwarzgallige, die keine Bedeutung außer der eigenen gelten läßt. Mein Gott, warum mußten Sie auch gerade mit dem Germanismus hervortreten! Das ist sein Fach, darüber hat er geschrieben, und wehe dem, der sich noch sonst darin zu regen wagt – sein Urtheil ist von vorn herein gesprochen. Sehen Sie doch nicht so muthlos aus! Das schickt sich nichts für die entdeckte Berühmtheit. Was würde Onkel Witold mit seiner souveränen Verachtung des ‚alten Heidengerümpels‘ wohl zu dieser Entdeckung gesagt haben! Ich glaube, Sie wären daraufhin in Altenhof etwas respectvoller behandelt worden, als es leider der Fall war. Es war ein Opfer von Ihnen, bei mir auszuhalten.“

„Sprechen Sie doch nicht so, Waldemar!“ sagte der Doctor mit einem Anfluge von Unwillen, „ich weiß doch am besten, auf wessen Seite jetzt das Opfer ist. Wer bestand denn hartnäckig darauf, mich bei sich zu behalten, obgleich ich ihm gar nichts mehr nützen konnte, und weigerte sich doch stets, die kleinste Rücksicht anzunehmen, die mich von meinen Büchern entfernte? Wer gab mir die Mittel, mich jahrelang einzig dem Studium hinzugeben und mein zerstreutes Wissen zu sammeln und zu ordnen? Wer zwang mich fast, ihn auf der Reise zu begleiten, weil das angestrengte Arbeiten meine Gesundheit erschüttert hatte? Mir ist jene Stunde, in der Ihr Normann mich verwundete, zu großem Segen geworden; sie hat mir Alles gegeben, was ich vom Leben hoffte und wünschte.“

„Da wünschen Sie wahrhaftig sehr wenig,“ unterbrach ihn Waldemar ungeduldig – er war offenbar bemüht, das Gespräch von diesem Punkte abzulenken. „Aber noch eins: ich begegnete ja vorhin im Schlosse dem genialen Vertreter des Polizeidepartements von L. Er kam von Ihnen, und auch drüben auf dem Gutshofe sehe ich ihn jede Minute auftauchen. Uns können doch seine Besuche nicht mehr gelten, seitdem wir uns als unverdächtige ‚Subjecte‘ ausgewiesen haben. Was macht er denn noch fortwährend in Wilicza?“

Fabian sah mit großer Befangenheit zu Boden. „Ich weiß es nicht, aber ich vermuthe, daß seine häufige Anwesenheit in der Familie des Administrators einen durchaus persönlichen Grund hat. Mir machte er vorhin einen Besuch.“

„Und Sie empfangen ihn auch ganz freundschaftlich? Herr Doctor, Sie sind ein Mann nach der Lehre des Christenthums. Wenn man Ihnen die rechte Wange schlägt, reichen Sie geduldig die linke hin. Ich glaube, Sie würden sich nicht einen Augenblick bedenken, dem Professor Schwarz den größten Freundschaftsdienst zu erweisen. Aber nehmen Sie sich in Acht vor diesem verhaftungswüthigen Assessor! Er ist sicher wieder auf der Jagd nach Verschwörern, und so beschränkt er auch ist, der Zufall könnte ihm doch einmal die rechten in die Hände spielen – hier in Wilicza ist das nicht schwer.“

Die letzten Worte wurden in so grollendem Tone gesprochen, daß der Doctor den ersten Band seiner „Geschichte des Germanenthums“, den er in der Hand hielt, schnell niederlegte.

„Sie haben unangenehme Entdeckungen gemacht?“ fragte er. „Schlimmere noch, als Sie erwarteten? Ich dachte es mir, wenn Sie mir auch bisher wenig genug darüber sagten.“

Waldemar hatte sich niedergesetzt und stützte den Kopf in die Hand. „Sie wissen ja, ich spreche nicht gern von Widerwärtigkeiten, deren ich noch nicht Herr geworden bin, und überdies brauchte ich Zeit, um mich zu orientiren. Wer stand mir denn dafür, daß der Administrator nicht auch ein Interesse hatte, die Sache so darzustellen, wie er es that, daß er nicht wenigstens übertrieb und entstellte? In solchen Dingen darf man nur dem eigenen Urtheile vertrauen, und ich habe das meinige in diesen letzten Wochen gebraucht. Leider bestätigt sich jedes Wort, das Frank mir geschrieben hat; so weit seine Machtvollkommenheit reicht, herrscht Ordnung, und es mag ihm schwer genug geworden sein, sie zu halten und zu vertheidigen, auf den anderen Gütern aber, auf den Pachthöfen und vollends in den Forsten – ich war auf Schlimmes gefaßt, aber solch ein Chaos hätte ich denn doch nicht erwartet.“

Fabian schob seine Bücher und Zeitungen jetzt gänzlich bei Seite und folgte der Schilderung Waldemar’s mit ängstlicher Theilnahme. Die düstere Miene seines ehemaligen Zöglings schien ihn zu beunruhigen.

„Onkel Witold hat immer gemeint, meine polnische Herrschaft ließe sich aus der Ferne regieren und verwalten,“ fuhr Nordeck fort, „und er hatte leider auch mich in diesem Glauben erzogen. Ich liebte Wilicza nicht. Für mich wurzelten hier nur bittere Erinnerungen an das unheilbare Zerwürfniß meiner

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_644.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)