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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Auch ein gutes Gemälde von einem Schüler Cranach’s schmückt die Kirche.

Das Thal der Seidewitz bildete oft den Schauplatz kriegerischer Scenen; es ist eine der drei Hauptstraßen über den Kamm des Erzgebirges in die fruchtbare Ebene Böhmens. Vom dreißigjährigen Kriege an bis zu den Kriegen des ersten Napoleon wurde das sonst so ruhige Thal viel zu Durchmärschen benutzt, zuletzt von der französischen Armee, im Jahre 1813. Nach zweitägigem hartem Kampfe hatte Napoleon die blutige Schlacht bei Dresden gewonnen. Noch einmal hatte ihm sein Glücksstern gestrahlt, um bei Leipzig wenige Wochen darauf zu verlöschen. Der Todfeind Napoleon’s, Moreau, war geblieben. „Er ist geblieben,“ sagte Napoleon, als man ihm die Nachricht brachte, „als ein Opfer seiner Verrätherei am Vaterlande. Das ist der Lohn, wenn man vergißt, was man seiner Ehre und seinem Vaterlande schuldig ist.“ Das große verbündete Heer der Preußen, Oesterreicher und Russen war im vollen Rückzuge nach Böhmen. General Wittgenstein war zurückgedrängt. Napoleon’s Truppen folgten dem Heere der Alliirten auf dem Fuße. Die Corps von Victor, von Lobau und von Marschall Saint Cyr rückten gegen Altenau, Berggießhübel und Breitenau.

Am 9. September Nachmittags fünf Uhr kam der gefürchtete Kaiser selbst in Begleitung von Murat und einem Heere von 40,000 Mann nach unserem Liebstadt. Napoleon nahm sein Hauptquartier im Schlößchen Kukukstein, und durch diesen seinen Aufenthalt hat dasselbe ein gewisses historisches Interesse erhalten, so wenig auch die Geschichte des Schlosses bekannt ist; einige Worte darüber werden sich wohl deshalb rechtfertigen.

Erbaut im frühen Mittelalter, bildete Schloß Kukukstein ein Lehen der böhmische Krone, sein Aeußeres wie Inneres unterlag aber so vielen Aenderungen, daß von dem „edlen Rost“ des Alters und der Geschichte nicht mehr viel erhalten ist. Im Jahre 1573 erwarb die Familie von Bünau die Besitzung, und aus dieser Zeit stammt wohl in der Hauptsache die jetzige Anlage des Schlosses mit seinem starken viereckigen Thurme. Im Jahre 1775 kam es an die Familie von Carlowitz, in welcher es bis jetzt verblieben ist. Abgesehen von einigen guten und interessanten Glasgemälden des sechszehnten Jahrhunderts, erinnern nur noch die Bezeichnungen „Mönchsgang“ und „Capellstube“ an die mittelalterlichen Zeiten. Die Räume sind alle modernisirt worden, und auch diejenigen, welche die reichhaltige Bibliothek bergen, machen einen nüchternen Eindruck; es sind weite, große Zimmer, welche Napoleon bewohnte, doch scheint der liebliche Blick, denn sie in das drunten liegende Thal bieten, ihn nicht lange gefesselt zu haben. Kaum hatte er von der Bibliothek des Schlosses gehört, so ließ er sich in dieselbe führen. Wenige Stufen führen in die zwei Bibliotheksräume, und der erste Gegenstand, welcher sich dem Blicke bietet, ist ein colorirter Kupferstich im einfachen Rahmen mit dem Portrait – Moreau’s. Er ist in jüngeren Jahren dargestellt als General der französischen Republik, mit der dreifarbigen Cocarde seines Vaterlandes am Dreimaster. Mit Ungestüm – so erzählt die Ueberlieferung – ging der leidenschaftliche Corse auf das Bild los, riß es von dem Bücherrepositorium, dessen Seitenfläche es schmückt, riß es aus dem Rahmen, schnitt die Cocarde aus dem Hute Moreau’s und schrieb in großen, von Erregung zeugenden Schriftzügen unter das verstümmelte Portrait; „Le traître en était indigne.“ („Der Verräther war ihrer unwürdig.“)

Am andern Morgen verließ Napoleon Schloß Kukukstein; das durch ihn zur historischen Reliquie gestempelte Bildniß Moreau’s aber hängt heute noch an derselben Stelle, trotz der hohen Summen, welche so oft schon begehrende Fremde geboten haben. Nach Napoleon machte sein Marschall Saint Cyr im letzten Drittel desselben Monats September das Schloß zu seinem Hauptquartier, bewohnte aber mit seinen Officieren nicht die große Suite der von seinem Herrn inne gehabten Zimmer, sondern kleinere Räume, aber auch diese stillen Gemächer bieten uns noch jetzt Erinnerungen an die französische Occupation. Mehrere von den Officieren Saint Cyr’s haben mit den Diamanten ihrer Ringe in die Fensterscheiben ihre Namen geritzt; wir lesen da die Namen „Louis de St. Belin Capitaine aide-de-camp du Mal. Gouvion St. Cyr“, ferner „de Gogendorp chef d’Escadron aide-de-camp de M. le Maréchal Gouvion St. Cyr“. Wie sehr sich die Herren trotz ihrer eben frisch erworbenen Lorbeeren auf dem Schlößchen gelangweilt und nach ihrem schönen Vaterland und dem üppigen Paris gesehnt, zeigen die gleichfalls in eine Fensterscheibe gegrabenen Verse, in welchen wir Deutschen höhnisch abgefunden werden:

Amateurs du veau,
ne quittez pas la Germanie!
Admirateurs du beau,
fixez-vous en Italie!
Mais pour trouver les plaisirs et le ris,
ne sortons jamais de Paris!

Zu deutsch also: Ihr Liebhaber von Kalbfleisch, verlaßt Deutschland nicht! Ihr Bewunderer des Schönen, setzt Euch fest in Italien; oder um Vergnügen und Scherz zu finden, laßt uns nie Paris verlassen!

Sympathischer aber als die eben aufgeführten französischen Verse berühren wohl jeden Leser die „Méyne“ unterschriebenen Worte „ah, que je sens d’impatience, mon cher pays, de te revoir!“ (Ach, wie ungeduldig ich bin, dich, mein geliebtes Vaterland, wiederzusehen!)

„Ob dem Schreiber wohl dieser Wunsch erfüllt wurde?“ fragen wir uns ernst gestimmt beim Verlassen des Schlosses, „oder blieben seine Gebeine im Lande der Kalbfleisch essenden Barbaren?“

M. Steche.




Die Sprachmengerei der Gerichtskanzleien.


Motto: Ist denn kein Stephan da?

Seitdem wir uns den hemmenden Einflüssen ausländischer Politik glücklich entzogen haben und endlich ein Volk geworden sind, macht sich ein lobenswerther Eifer bemerkbar, auch die Sprache, soweit sie sich von obenher beeinflussen läßt, von fremdartigen und sonst überflüssigen Bestandtheilen zu reinigen. Die kaiserlich deutsche Reichspost ist rüstig vorangefahren und hat den fremden Flitterkram dem neuen Reiche erschlossen zum Opfer gebracht. In dem Generalstabswerke über den letzten Krieg finden wir manches Fremdwort, das sich ohne Gefahr für die Deutlichkeit beseitigen ließ, stillschweigend durch ein kerndeutsches Wort ersetzt. Selbst die Hochschule, welche verhältnißmäßig wohl das meiste Recht hat, an dem alten verschossenen lateinischen Doctorgewande festzuhalten, mit dem manches weniger Tüchtige und – Neue sich prächtig umhüllen ließ, gleichwie viele Sünden mit dem bekannten Mantel der christlichen Liebe zugedeckt werden, selbst die Hochschule gestattet seit einiger Zeit, daß Nichtphilologen deutsch mit ihr sprechen. Ein Häuflein von Sprachforschern, vom Reichskanzleramt berufen und auserwählt, erklärt zwei Dehnungszeichen, die sich bisher des unbescholtensten Rufes erfreut hatten und selbst Kundigen heute noch lieb und werth sind, unbarmherzig in die Reichsacht, und wenn man nun alle diese wirklich vaterländischen Bestrebungen in ihrer Gesammtheit betrachtet, so hat man das Gefühl, als sähe man einen Gärtner sorgfältig und peinlich jedes Gräschen aus den sauber gehaltenen Wegen entfernen, während er auf den Beeten das üppigste Unkraut ruhig weiterwuchern läßt. Ohne Bild gesagt: ich finde, daß ein Stück treuer deutscher Arbeit und guten Willens an die Beseitigung ziemlich unschuldiger Dinge verschwendet wird, während auf dem Gebiete oder den Gebieten der deutschen Rechtspflege nicht etwa blos zur peinlichsten Unbequemlichkeit, nein sogar, wie ich mir nachzuweisen getraue, zur wirklichen Benachtheiligung des Volkes eine Unzahl fremdländischer Sprachblüthen ungestört weiter treiben dürfen.

Die Klage über die Sprachmengerei der Kanzleien ist keineswegs neu. Im siebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert, wo das Unwesen am größten war, wo die deutschen Sprache Gefahr lief, unter dem Wust fremder Bestandtheile zu ersticken,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_648.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)