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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Alpen, noch die Orangen- und Myrthenwälder Italiens, die sie durch ihren vorübergehenden Aufenthalt daselbst kennen lernten, konnten das liebe Bild der Heimath mit ihren Kiefernwäldern und blauen Seen in ihren Vorstellungen verdunkeln.

Daß die Töcher des Feldmarschalls Prinzen Friedrich Karl in ihren frühesten Kinderspielen eine gewisse Vorliebe für „des Königs Rock“ zeigten, ist natürlich. Bereits in ihrem vierten Jahre hatte die Prinzessin Elisabeth keinen lebhafteren Wunsch zu Weihnachten, als – eine Uniform. Die Königin Elisabeth erfüllte denselben, und nun war es ihre größte Freude, wenn sie an besonderen Tagen zu Hause dieses Kleidchen tragen durfte. Später schmückte sie sich gerne mit der Mütze der Zieten’schen Husaren, deren Uniform der Prinz, ihr Vater, gern anlegt, und verstand dieselbe mit großem Geschick, etwas seitwärts, die Cocarde genau in der Mitte, aufzusetzen. So erschien die kleine Prinzessin auch einmal in ihrem sechsten Jahre – es war am Doppelgeburtstage ihrer Frau Mutter und ihrer älteren Schwester (14. September) – im Wagen zur Königsparade des brandenburgischen Armeecorps bei Lebus, den muntern Kopf mit der Zieten-Husarenmütze bedeckt, unter welcher die langen, dunkelblonden Locken hervorquollen. Seitdem dem Prinzen Friedrich Karl auch ein Sohn, Prinz Friedrich Leopold, geboren worden (14. November 1865), sind die militärischen Ehren allmählich auf diesen übergegangen, aber das Interesse ist bei den Schwestern deshalb nicht geringer geworden.

Ein überaus zartes Verhältniß besteht zwischen den Prinzessinnen und diesem jüngern Bruder. Seitdem der Letztere eins der Schweizerhäuschen bewohnt, die der Prinz Karl an Stelle der angekauften Dorfhäuser von Glienicke hat erbauen lassen, und seine Zeit hier mit regelmäßen Stunden besetzt ist, beschränkt sich das Zusammensein der Geschwister indessen hauptsächlich auf die gemeinschaftlichen Spaziergänge, an denen auch der Pudel des Prinzen, auf den er große Stücke hält, Theil nimmt.

Auch die Zeit der Prinzessinnen ist sehr regelmäßig eingetheilt und ausgefüllt. Außer den Unterrichtsstunden, welche nicht allein die jüngste Prinzessin Louise Margarethe, sondern auch die beiden älteren Prinzessinnen Marie und Elisabeth noch nehmen, bildet Musik und Zeichnen die Hauptbeschäftigung derselben. Das Talent der Frau Prinzessin Friedrich Karl ist auch auf ihre Töchter übergegangen, und hin und wieder wird den Schulkindern von Glienicke die Auszeichnung zu Theil, die Modelle zu den Zeichnungen der Prinzessinnen liefern zu dürfen, an sich allerdings keine sehr geistanregende Unterhaltung, dennoch den Dorfkindern stets hocherwünscht, zumal sich damit die Aussicht auf ein vortreffliches Frühstück verbindet.

Die einfache Stille in Glienicke wird nur etwa ein bis zwei Mal durch ein ländliches Sommerfest unterbrochen, welches auf der Pfaueninsel oder im Jagdschlosse Stern stattfindet. Hier werden Spiele vorgenommen und zum Schlusse wohl auch auf dem Rasen oder im kleinen Saale des Jagdschlosses getanzt.

Einige hundert Schritte vom Jagdschloß Glienicke, ihm gegenüber, liegt auf der nördlichen Seite der Berliner Chaussee, die Besitzung des Prinzen Karl, früher Eigenthum des Staatskanzlers Fürsten Hardenberg. Zwei wasserspeiende, vergoldete Löwen behüten den Eingang zu dem Vorhofe des Schlosses und dem verschwiegenen Parke, der sich bis zur Bucht Moorlake, Sacrow gegenüber, ausdehnt. Alles in diesem Parke deutet auf den Kunstsinn und die sorgsame Pflege des fürstlichen Besitzers; denn der Prinz Karl ist nicht allein Gartenfreund, sondern auch selbst Gärtner und pflegt selbst, zuweilen auch zu Pferde, die Gartenscheere in der Hand, die Anlagen seines Parkes.

An das stille Ufer der Havel hat sich der Prinz noch ein besonderes Schlößchen gebaut und mit dem ihm eigenen Geschmack wahrhaft künstlerisch ausgestattet. Eine reiche Sammlung antiker Sculpturen, Gemmen, Büsten und Vasen, welche der Prinz von seinen verschiedenen Reisen mitgebracht hat, bildet den Schmuck der Gemächer, und kein Gegenstand der inneren Einrichtung entbehrt der künstlerischer Zierde. Die sämmtlichen Fußböden sind mit Marmor getäfelt, der zum Theil aus den Ruinen eines venetianischen Palastes der Catterina Cornaro stammt.

Dieses sogenannte „Casino“ bildet den Vereinigungspunkt für die Familie des Prinzen Karl, des ältesten Bruders unseres Kaisers, und wer an einen lauen Sommerabend auf der Havel am Parkufer vorüberfährt, der sieht wohl hier den Lampenschimmer auf der Veranda des Schlößchens um das Elternpaar auch die Familie des Prinzen Friedrich Karl mit den drei Enkelinnen versammelt, deren Anmuth und Munterkeit den Reiz solcher Familienabende noch erhöht.

Wie oben angedeutet, wird die Erlaubniß zur Besichtigung der reizenden Parkanlagen von Glienicke nur mit Beschränkung ertheilt – gewiß mit gutem Grunde. Nicht die Einheimischen sind es, welche diese Beschränkung nothwendig machen, aber es giebt in der Nähe von Potsdam Leute, welche die Gastlichkeit, die ihnen die königlichen Schlösser und Gärten öffnet, wenig zu schätzen wissen und in den Privatgärten der Prinzen sich dieselben Freiheiten nehmen, wie an öffentlichen Vergnügungsorten. Man pflegt in Berlin etwas souverän auf die Bevölkerung der benachbarten zweiten Residenzstadt herabzublicken und den Namen „Potsdamer“ nicht ohne eine ironische Beimischung auszusprechen. Das müssen sich die Potsdamer gefallen lasset, aber sie rächen sich, indem sie in den Begriff „Publicum“ – das ist die große Zahl der Fremden, die Potsdam an Sonn- und Feiertagen überschwemmen – eine nicht schmeichelhafte Nebenbedeutung legen. Man möge daher jenem Wachtmeister vom Regiment Garde du Corps die sittliche Entrüstung nicht verdenken, mit welcher er, aufmerksam gemacht auf die Inschrift einer Tafel über dem Eingange eines der königlichen Gärten: „Der Eintritt ist für das Publicum nicht gestattet“, voll Selbstgefühles an der Seite seiner Ehehälfte mit den stolzen Worten vorüberschritt: „Der Wachtmeister von Seiner Majestät Garde du Corps wird doch wohl nicht zum Publicum gerechnet werden.“

Es ist nicht allein Glienicke mit seinem schönen Schloß und Park, was dem Prinzen Karl den Aufenthalt in Potsdam angenehm macht. Auch seine Neigung zum edlen Waidwerck und seine Eigenschaft als Chef der königlicher Hofjagden führen ihn öfters und um so lieber hierher, da die Jagd in den wildreichen Potsdamer Forsten weniger dem Andrange neugieriger Zuschauer ausgesetzt ist, als die Jagd im Grunewald, welche von den Berlinern zugleich als Volksfest mitgefeiert wird.

Ein frischer, klarer Herbstmorgen liegt über den Potsdamer Forsten. Schon beginnt das Laub an den Bäumen sich röthlich zu färben; nur die Kiefern und Tannen tragen noch ihr altes dunkelgrünes Nadelkleid. Zwischen den Lichtungen hindurch sieht man blaue Seeflächen schimmern, über denen in lichten Wölkchen der Morgennebel dahinzieht. Hier und da schaut der Giebel eines Försterhauses zwischen düsteren Föhren hervor. In dem Winkel zwischen den beiden von Berlin herkommenden Schienenwegen liegt das geschichtlich berühmte Kohlhaasenbrück still im Walde, nicht weit davon an dem Vereinigungspunkte der beiden Bahnen das freundliche Stationshäuschen von Neu-Babelsberg. Von hier führt der Weg durch der Wald an Stein-Stücken vorüber nach dem königlichen Jagdschloß Stern, dem Rendezvous der Parforcereiter, dessen Einrichtung noch von König Friedrich Wilhelm dem Ersten herstammt.

Die Theilnehmer an der Parforcejagd versammeln sich, sämmtlich in rothen Fracks, enganliegenden weißen Beinkleidern, hohen Stiefeln und mit schwarzem Cylinderhut. Auch die Schaar der Piqueurs, das ist: der Läufer und Treiber, erscheint in rothen Röcken. Der königliche Ober-Piqueur führt, zu Pferde sitzend, die jagdlechzende Meute – nahe an hundert schön gefleckte Schweißhunde – herbei. Unter Hörnerklang erfolgt der Aufbruch nach dem Saugehege. Hier ordnet sich der Zug in Linie und erwartet den Ausbruch des Keilers.

Ein Vorsprung von einigen Minuten wird dem Thiere gelassen; vielleicht gelingt es ihm, damit noch eine Lebensfrist von einigen Stunden zu gewinnen, wenn es sich durch geschickte Flucht im Dickicht den Verfolgern zu entziehen weiß. Nun wird die Meute losgelassen und auf die Fährte des Keilers geführt. Der fürstliche Jagdgeber setzt sein edles Roß in „gemäßigten Galopp“, die übrigen Reiter thun das Gleiche, die Richtung der klaffenden Hunde verfolgend. Ein Theil der Reiter, welche dem mittelalterlichen Waidwerksvergnügen keinen Geschmack abgewinnen kann und nur ehrenhalber der Einladung folgte, zerstreut sich flanirend durch den Forst. Die Uebrigen setzen die Verfolgung mit um so größerer Hast fort, je näher sie sich dem Ziele glauben. Für sie liegt doch ein wundervoller Reiz, eine unsagbare Lust in diesem Rennen und Jagen, dem Wetten und Wagen; Hindernisse, vor denen der gewandteste Reiter beim Spazierritte stutzen würde, haben hier ihre Bedeutung vollständig verloren,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 673. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_673.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)