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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Sie, ich besaß mit vierzig Jahren noch dieselbe körperliche und geistige Frische wie mit zwanzig, doch sagte ich mir: Jetzt ist es Zeit, allem Aeußerlichen den Rücken zu wenden um nur dem Ernste zu leben, und that so. In dem, was den inneren Menschen jung erhält, fühlen und sehen wir Beide gleich: es gilt da nur Kraft zum Erfassen des Guten und Schönen. Das ist die Poesie, also Jugend.“

Sie blickte warm zu ihm auf.

„Sie, lieber Freund, haben mich erst ein Wort begreifen gelehrt, das ich vor Zeiten irgendwo las: daß die Größe jedes Künstlers von der Größe seines Herzens abhängt. Ihr Schaffen ist Eins mit Ihrem Empfinden. Ihnen begegnet zu sein, erschien mir von Anfang an als eine große Gabe des Lebens, und ich frage mich nur immer wieder, wie es zugeht, daß Sie einem engbegrenzten Wesen gleich mir so viel Anteil zugewendet, daß Sie sich für mich irgendwie interessiren konnten.“

„Seltsam, wie wenig sich die Menschen selbst kennen!“ sagte Bernardin. „Frauen sind im Allgemeinen schon interessanter als wir Männer, weil sie meist auch alles Geistige aus dem Gemüthe schöpfen, und deshalb im Verkehr, namentlich im täglichen und häuslichen, immer neu bleiben. Dem geistvollsten, kenntnißreichsten Manne gebe ich allenfalls etliche Jahre, in welchen er Andern Neues zu bieten vermag. Dann wird er sich wiederholen, wie jeder Mittelmäßige auch. Wie aber das Meer in seinen Farben und Lichtern beständig wechselt, und man nicht müde wird, es in dem steten Wandel zu beobachten, so ist es mit dem Herzensleben der Frau und dessen Aeußerungen. Heute kann der Barometer heiteres Wetter zeigen, und die Beleuchtung ist so – morgen zeigt er dasselbe an, und doch ist die Beleuchtung eine ganz neue, weil sich vielleicht der Wind kaum merklich gewendet hat. Wollen Sie aber wissen, weshalb Sie mich von der ersten Stunde an besonders interessirt haben, Valentine, so kann ich Ihnen darauf antworten. Sie sind einfach, und Sie schätzen die Wahrheit.“

„Das Erste ist kein Verdienst – das Andere natürlich.“

„Einfachheit ist bei jedem Menschen ein Verdienst, bei Frauen mehr als das – eine Eigenschaft. Stets ergreift mich Bedauern, wenn ich eine Frau über Politik, Philosophie und abstracte Dinge reden höre. Die Geistvollste wird über solche Themata stundenlang sprechen ohne mir etwas zu sagen, das ich nicht bereits gehört oder gelesen hätte. Und die Wahrheit zu schätzen, halten Sie für etwas Natürliches? O, liebe Freundin! Diese Göttin sitzt nackt in einer reinen Quelle. Wird sie von dem Einen oder Andern herausgeführt in die Welt, dann sieht er ein, daß er sie doch nicht so in ihrer heiligen Blöße präsentiren darf, und hängt ihr etwas um – der Eine nur einen Flor, der Andere einen dichten Mantel. Dann ist sie recht anständig, aber es ist nicht mehr die freie Wahrheit, wie Gott sie erschaffen, wie der Mensch ihrer bedarf, soll er an ihrer Hand bis in den Himmel gehen. Und nur an dieser Hand läßt sich das Höchste erreichen, im Leben wie in der Kunst. Nichts Anderes aber muß man wollen und bedürfen, als das Höchste. Wenn sich auch unser Dasein verzehrt, ohne das Ziel zu erreichen – nur nicht vorlieb nehmen, nicht von Almosen leben, die man von Andern nimmt, oder sich selber giebt!“

Valentine hatte sich während seiner Worte erhoben und stand nun neben ihm, den Blick auf sein wie von verborgenem Feuer durchglühtes Gesicht geheftet. „Ich danke Ihnen,“ sagte sie tief ernst, indem sie ihre Hand leicht auf die seinige legte. „Ihr Wort giebt mir die Kraft zurück, welche mir in einer schwachen Stunde abhanden zu kommen drohte. Sie wissen nicht, welche Saiten es berührt hat – ich glaubte sie gerissen, und fand heute mit Schrecken, daß sie noch tönen, in Dissonanzen tönen, denn junges Glück hat mich, statt mir das Herz zu erquicken, in egoistische Schmerzen zurückgestürzt.“

„Sie haben Schweres erlebt?“ sagte Bernardin und heftete sein schwermüthiges Auge voll Innigkeit auf ihre bewegten Züge.

„Meine Geschichte ist nur alltäglich,“ entgegnete Valentine. „Sie hat sich ganz im Stillen abgespielt; es giebt Wenige, die sie kennen. Erzählt habe ich sie noch Keinem.“

Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie ruhiger: „Begleiten Sie mich auf die Terrasse! Wir wollen dort auf- und abgehen, und Sie sollen erfahren, was hinter mir liegt.“

Er bot ihr schweigend seinen Arm. Ohne ein Wort zu tauschen, überschritten Beide den Steg und gingen dem Kloster entlang den Linden zu. Wie ein grauer Schwan sich zu glänzendem Weiß entwickelt, so schimmerte heute das graue Gemäuer silberhell im vollen Licht des Mondes; der Thurm ragte so licht empor, als sei er aus Marmor gemeißelt. Auf der Terrasse war es still und leer.

„Vor einigen Jahren,“ sagte Valentine, „verlobte ich mich mit einem Manne, von dessen Charakter ich die höchste Meinung hatte. Ich lernte ihn im Hause meiner Freundin kennen und sah ihn längere Zeit nur dort, da er die Kreise der großen Welt mied. Sein Name hatte Klang in den ernsten Wissenschaften, welche er als Universitätslehrer vertrat; ich lernte ihn zuerst von einer anderen Seite kennen, denn ehe ich mit ihm selbst zusammentraf, war mir ein Band seiner früher veröffentlichten Gedichte zur Hand gekommen und hatte mich für ihn interessirt. Wir liebten uns – so schien es wenigstens – und er warb um meine Hand. Damals war der Gesundheitszustand meiner lieben Mutter schon so erschüttert, daß sie nicht ohne sorgliche Umgebung und Pflege bleiben durfte; deshalb sollte unsere Hochzeit bis zum künftigen Jahre verschoben bleiben, wo meine jüngere Schwester aus dem Pensionate heimkehrte und meine Stelle vertreten konnte. Es war mein eigener Wunsch, unsere Verlobung vorerst noch nicht zu veröffentlichen. Wir lebten in Kreisen, die meinem Bräutigam äußerst unsympathisch waren und denen ich mich, der Kränklichkeit meiner Mutter wegen, bei der Stellung des Vaters um so weniger ganz entziehen durfte, als dieser auf Repräsentation seines Hauses stets Werth legte. Mein Verlobter dankte mir die äußere Freiheit, welche ihm auf diese Weise bewahrt blieb, und wir konnten uns im Stillen daheim, wie bei meiner Freundin, oft und ungehindert sehen. Meine Mutter hatte ihn lieb; dem Vater war er weniger angenehm.

Einst, als er mich bei seinen Gedichten traf, fragte ich ihn nach der Bedeutung eines Abschnittes derselben, der mir schon viel zu denken gegeben. Er bekannte freimüthig, daß diese Lieder einer Periode seines Lebens angehörten, die ihn außer sich selbst geführt. Es waren glühende Strophen; sie feierten eine Frau, und ich erfuhr nun, daß ich dieselbe kannte. Es war eine Dame aus der vornehmen Gesellschaft; während ihres Aufenthaltes in unserem Wohnorte war viel von ihr gesprochen worden; seit ein paar Jahren lebte sie, wie es hieß, in Italien. Mein Verlobter gestand, daß sie einen verhängnißvollen Einfluß auf ihn geübt, ihm sehr nahe gestanden und ihn während dieser Zeit häufiger gequält als beglückt habe.

Nach einer jener stürmischen Scenen riß er sich endlich los und fühlte sich, wie er lebhaft versicherte, durch die wiedergewonnene Freiheit wie begnadigt. Während er mir dies Alles beichtete, schwur er, erst jetzt erfahren zu haben, was echte Liebe sei. Trotzdem hatte ich damals innerlich viel zu überwinden. Ich glaube nicht, daß ein Mann nachfühlen kann, was Eifersucht auf die Vergangenheit für eine Frau bedeutet. Doch verbarg ich ihm ängstlich die egoistischen, überflüssigen Schmerzen.“

(Fortsetzung folgt.)




Landschafter, Bildhauer und Zoologe zugleich.


Wenn man die bescheidene Stadt Wolfenbüttel besucht, wird einem unter den bekanntesten Sehenswürdigkeiten derselben eine naturwissenschaftlich-künstlerische Sammlung genannt, welche wohl in ihrer Art als ein Unicum bezeichnet werden muß. Dieselbe hat ihren Sitz in dem mittleren Stocke eines geräumigen, aber keineswegs modernen Hauses. Mächtige Glaskasten, selbst kleinen Gemächern an Umfang ähnelnd, schließen Thiergruppen allerlei Art ein, natürlich ausgestopfte, aber in allen möglichen Stellungen, nicht etwa in lebloser Ruhe, sondern voll des bezeichnendsten Lebens, in jeder Art von Bewegung, die ihrer Species eigenthümlich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_682.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)