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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


vorlegen können, so wird dadurch den Verhandlungen sicher eine sehr feste Grundlage geboten. Nimmt man nun noch die chemischen Blutproben hinzu, so kann man eine bisher nicht vorhanden gewesene Sicherheit für die bezüglichen Urtheile erwarten. Der Unschuldige wird eher entlastet, der Mörder um so sicherer überführt und mit Hülfe der raschen Wirkungen des Lichtstrahls eine unantastbare Klarheit und Erkenntniß in die Nacht des Verbrechens entsendet werden können.




Blätter und Blüthen.

Ein rechnender und Whist spielender Automat. Der Kempelen’sche Schachspieler, welcher gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ganz Europa in Erstaunen setzte und eine förmliche Literatur, sogar ein Drama hervorgerufen hat, scheint einen nicht unwürdigen Nachfolger in einem Automaten erhalten zu haben, den die amerikanischen Ingenieure Clarke und Maskeline verfertigt und bereits in den Hauptstädten Amerikas und Englands vorgeführt haben. Da Herr von Kempelen seiner Zeit zugab, daß bei seinem die meisten Partien gewinnenden hölzernen Türken von einer schachkundigen Person ein äußerer Einfluß auf das innere Getriebe geübt werde, so hat man angenommen, daß er damit nur den gegründeteren Verdacht ablenken wollte, nach welchem ein kleiner Gehülfe in der Maschine verborgen gewesen wäre, sodaß die Hauptkunst darin bestanden hätte, daß dieser kleine Kerl, während die Thüren und Schübe nacheinander geöffnet wurden, lautlos aus dem einen in das andere Fach zu schlüpfen wußte. Ein ähnlicher grober Betrug ist bei der neuen, „der Denker (Psycho)“ genannten Maschine nicht annehmbar, denn der rechnende und Whist spielende Türke sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf einem nur kleinen, wie er selbst mit Räderwerk erfüllten würfelförmigen Kasten und hat nicht, wie der Schachspieler, eine geräumige Kommode, sondern nur ein unverdecktes Tischchen neben sich, auf dessen Platte vor seiner rechten Hand die dreizehn Whistkarten in einem Viertelskreise aufgesteckt werden, während sich im Bereiche der linken ein Zahlenkasten befindet. Der Türke ergreift die auszuspielende Karte zwischen den Fingern, hält sie den Mitspielern hin, worauf sie ihm aus der Hand genommen wird, und zeigt in ähnlicher Weise auf die auf Täfelchen gravirten Ziffern, welche die Auflösungen der ihm aufgegebenen Multiplications- und Divisionsexempel bilden. Man hat bekanntlich Rechenmaschinen verfertigt, die noch ganz andere Aufgaben lösen, als diese, die aber trotzalledem nicht im Stande sind, wie dieser Türke mündlich gestellte Aufgaben zu lösen. Ebenso wenig kann selbstverständlich einer Maschine die Ueberlegung beigebracht werden, die beim Whistspiele erforderlich ist.

Offenbar handelt es sich also auch hierbei um eine äußere Direction des Getriebes, wahrscheinlich ähnlich derjenigen der gelehrten, rechnenden, buchstabirenden und Karten spielenden Hunde. Wie letztere, wenn sie langsam mit der Schnauze über die Ziffern, Buchstaben oder Karten hinstreichen, von ihrem Director bei der zu wählenden ein Zeichen zum Anhalten empfangen, so auch die Maschine bei der regelmäßigen zur rechten Zeit ausgelösten Bewegung der Hände über die Karten und Zahlzeichen. Auf welchen Schleichwegen dieser nun das Zeichen mitgetheilt wird, das ist eben das Geheimniß der Erfinder, und sie haben die Spuren so schlau verborgen, daß sie in alten Zeiten unfehlbar als Zauberer verbrannt worden wären. Denn erstens stellen sie die Maschine in jedes beliebige Zimmer auf einen Teppich, und der Kasten, auf dem die Figur sitzt, wird zweitens noch auf einen durchsichtigen Glasuntersatz gestellt, um zu zeigen, daß keinerlei mechanische Einwirkung vom Fußboden her stattfinden kann. Herr von Kempelen suchte den Glauben zu erwecken, daß er durch starke Magnete von außen auf das Getriebe seiner Maschine einwirke, und dies wäre am Ende nicht unausführbar, wenn sich der Director stets in der Nähe der Figur aufhalten könnte. Allein seine Nachfolger scheinen der Maschine mehr freie Hand zu lassen und nähern sich ihr absichtlich nur selten. Professor Heeren in Hannover hat daran erinnert, daß wir darum immer noch nicht an eine Denkmaschine oder an Zauberei zu glauben brauchen und daß man beispielsweise trotz des gläsernen Untersatzes recht wohl elektrische Ströme in den Apparat senden könnte, wenn dieser Untersatz etwa zwei Canäle mit wasserklarer und darum unsichtbarer, Electricität leitender Flüssigkeit verberge. Und dann wäre weiter nichts mehr erforderlich, als daß auch der Teppich zwei eingewirkte Metallschnüre enthalte, deren Enden beiderseits nahe beieinander hervortreten, so daß die Leitung einerseits durch die beiden Canäle des Glasuntersatzes und andererseits durch eine metallbedeckte Stiefelsohle bewirkt werden könnte. Eine unmerkliche Bewegung des Fußes seitens des aus der Ferne das Spiel überschauenden Directors würde genügen, den elektrischen Strom auf kürzere oder längere Zeit zu schließen und dadurch den Automaten jede beliebige Karte ausspielen und jede Zahl bezeichnen zu lassen. Natürlich soll damit nicht gesagt sein, daß dies durchaus der Schlüssel zu dem Geheimnisse sein müsse, sondern nur angedeutet werden, welche Mittel den Professoren der sogenannten höheren Physik durch deren Fortschritte zur Verfügung stehen.


Vier in einer Woche! Der Tod feiert ein Erntejahr unter den Veteranen der Ritter des deutschen Geistes; jetzt hat er uns vier der Besten der Nation im Verlaufe einer Woche entführt: drei Siebenziger und einen Sechsundsechsziger. Der Aelteste ist Ernst von Bandel. Wir haben ihn an seinem höchsten Ehrentage, einem Siegesfeste siebenunddreißigjährigen Kampfes gegen die Hemmnisse seiner Arbeit, den Glücklichsten der Alten preisen können, aber das Leben in diesem Glücke hat er kaum über ein Jahr ertragen. Mit dem sechszehnten August 1875 war seine Sendung erfüllt; er brauchte nicht, wie Anastasius Grün, im Hinblick auf ein unvollendetes Werk seinen Tod zu beklagen; er konnte noch im Sterben glücklich sein.

Neben dem Sechsundsiebenzigjährigen liegt ein Dreiundsiebenzigjähriger auf der Bahre der Todeswoche: Franz Ziegler, der Streitgenosse eines Waldeck, Taddel, Twesten und Hoverbeck, der unerschütterliche „Demokrat aus Patriotismus“, ein Mann von unantastbarer Reinheit als Bürger, Beamter, Politiker und Dichter. „In Franz Ziegler“ – so ruft F. Mehring in der „Magdeburger Zeitung“ ihm nach, „ist der letzte Repräsentant jener altpreußischen Demokratie dahingegegangen, welche ihre Traditionen nicht aus den Ideen von 1789, sondern aus dem Allgemeinen Landrechte, aus der Stein’schen Gesetzgebung schöpfte, welche unfähig war, einen Gedanken zu denken, der nicht organisch aus der historischen Entwickelung des preußischen Staats emporwuchs. Ein abstractes Freiheitsideal fand in der Brust dieser Männer kein Echo; ihre Liebe zur Freiheit war die schöne Blüthe patriotischer Einsicht. Nur weil ihr Staat, so wie er nun einmal war, einzig durch freie Entfesselung aller Volkskräfte gedeihen und wachsen konnte, verlangten sie diese freie Entfesselung, nur um Patrioten zu bleiben, wurden sie Demokraten.“ – Als Volksbote in Frankfurt und Berlin hat Ziegler drei Worte gesprochen, die in der Geschichte fortleben. Mitten in das Toben der Paulskirche gegen stehende Heere fuhr seine Mahnung: „Die Disciplin ist die Mutter des Siegs.“ – Als Tausende 1866 in Parteihader schwankten, rief er dem preußischen Volke zu: „Das Vaterland ist in Gefahr; das Herz der Demokratie ist stets da, wo die Fahnen des Landes wehen.“ Und als noch Alles denselben Gedanken nur flüsterte, sprach er ihn laut im Abgeordnetenhause aus: „Der Minister von Mühler muß fort von seinem Platze.“ Das sind drei Thaten zu ihrer Zeit gewesen. Die „Gartenlaube“ verdankt ihm die tiefergreifende Erzählung „Der Bettler vom Capitol“ im Jahrg. 1864.

Der jüngste der heimgegangenen drei Siebziger ist Adolf Stahr. Hat er dem Tageskampfleben nicht unmittelbar so nahe gestanden, wie Ziegler, war von Haus aus die Studirstube sein liebster Aufenthalt und geschichtliches Forschen und kritisches Prüfen seine liebste Beschäftigung, so trat er doch später durch seine Reiseschilderungen und dadurch, daß er in anmuthigen Darstellungen den Einblick in das Leben und Treiben geschichtlicher und literarischer Größen erschloß, dem Volke näher und ist auf diesen Wegen ihm oft ein freundlicher Führer gewesen.

Als der jüngste der vier todten Veteranen sank ein Held mit der Pritsche in’s Grab: Adolf Glaßbrenner, das echte Berliner Kind, dessen Witz mächtig genug war, alle Menschen zum Lachen und die Polizei zur Verzweiflung zu bringen. Durch ihn zuerst wurden von Berlin aus Humor und Satire wieder eine Macht im öffentlichen Leben. Was zur Censurzeit Niemand im Ernst zu sagen wagte, das fand in der Form des Scherzes den Weg in’s Volk. Die kleinen Hefte „Berlin wie es ist und – trinkt“ gingen von Hand zu Hand durch alle Schichten des Volkes und säeten Gedanken aus, die später aufgingen und Früchte trugen. Er hatte bereits auf diese Weise politisch Außerordentliches geleistet,[1] als das Jahr 1848 ihn, wie Tausende, verführte, das so keck Gelehrte nun praktisch auszuführen. Als der Sturm vorüber war, kehrte er, der die Fahne seines Witzes gen Mecklenburg getragen hatte, nach Berlin zurück und lebte und wirkte dort als einer der beliebtesten Menschen und Schriftsteller, bis endlich dem Tod auch nach diesem frohen Gesellen gelüstete. So stand in dem sechsundsechszigjährigen Körper das gute lustige Herz still. Die Tausende, die er erfreut, werden dankbar um ihn trauern.


Ein Schauspieler-Asyl. Der berühmte und reiche amerikanische Tragöde Edwin Forrest hat eine Heimath für alte und hülflose Schauspieler gegründet. Das fragliche Gebäude ist höchst malerisch auf dem Rücken eines schönbewaldeten Hügels, etwa eine halbe englische Meile von dem Landstädtchen Holmesburg (neun und eine halbe Meile von Philadelphia) im Staate Pennsylvanien belegen. Das zwar etwas altmodisch aussehende, drei Stockwerk haltende Gebäude gewährt von seinen breiten Säulenportiken eine Aussicht von überraschendster Schönheit. Das Innere dieser Schauspielerheimath gewährt gleichermaßen Ueberraschendes. Der breite Hallenweg, welcher den ersten Stock theilt, ist in eine vollkommene Kunstgalerie umgeschaffen, die werthvolle Gemälde, Statuen, Portraits ausgezeichneter Männer, Schauspieler etc. enthält. Auch in den Sprechzimmern und der Bibliothek zieren kostbare Kunstwerke die Wände. Die Bibliothek enthält gegen achttausend Bände, auf’s Sorgfältigste in zierlichen Büchergestellen arrangirt. Die Schlafzimmer sind bequem und einladend, obgleich sie mit seltsam aussehenden alterthümlichen Bettstellen, Bureaus und Toilettentischen möblirt sind, von denen manches Stück bereits das ehrwürdige Alter von hundert Jahren erreicht hat. Ueberhaupt ist die ganze wohlthätige Anstalt auf’s Beste und Trefflichste eingerichtet. Sie muß als ein originelles Institut der Menschenliebe bezeichnet werden.

D.

Theodor Kirchhoff, unser verehrter Mitarbeiter in San Francisco, hat soeben den zweiten Band seiner „Reisebilder und Skizzen aus Amerika“ erscheinen lassen. Was bereits dem ersten Bande nachgerühmt wurde: die feine Beobachtung, die äußerst glückliche Gabe der Schilderung, eine überaus gefällige und geistreiche Schreibweise, vor Allem aber die wahrhaft deutsche Gesinnung, die alle einzelnen Schilderungen durchzieht, dieselben Vorzüge zeichnen auch den zweiten Band aus, der nach allen Seiten hin wieder Belehrung und Unterhaltung bietet. Das Culturleben Amerikas hat in Kirchhoff einen Schilderer gefunden, wie wir augenblicklich keinen zweiten kennen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_698.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)