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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


über seine Gefühle für meine Braut zur Rede stellen; ich werde –“

„Fürst Leo Baratowski wird thun, was seine Pflicht ihm befiehlt, und nichts Anderes,“ unterbrach ihn die Fürstin. Ihre kalte, klare Stimme stand im schärfsten Gegensatze zu dem wild erregten Tone des Sohnes. „Er wird seinem Oheim folgen, wie es bestimmt ist, und nicht eine Minute von seiner Seite weichen.“

„Ich kann nicht,“ rief Leo ungestüm. „Ich kann nicht fort mit diesem Argwohne im Herzen. Ihr habt mir Wanda’s Hand zugesagt, und doch durfte ich nie ein Recht auf sie geltend machen; sie selbst hat darin immer kalt und unerbittlich auf Eurer Seite gestanden; sie wollte immer nur der Preis des Kampfes sein, in den wir gehen. Jetzt aber fordere ich, daß sie vorher öffentlich und feierlich sich zu meiner Braut erklärt, hier, in Waldemar’s Gegenwart, vor seinen Augen. Dann will ich gehen, aber eher weiche ich nicht aus dem Schlosse. Waldemar hat sich ja in einer so überraschenden Weise zum Herrn und Gebieter proclamirt, was ihm Niemand zutraute; er könnte sich einmal eben so plötzlich in einen glühenden Anbeter verwandeln.“

„Nein Leo,“ sagte Wanda mit zorniger Verachtung, „aber Dein Bruder würde sich beim Beginne eines Kampfes sicher nicht weigern, seiner Pflicht zu folgen, und sollte es ihm auch Glück und Liebe kosten.“

Das war das Schlimmste, was sie überhaupt hätte aussprechen können, denn das raubte dem jungen Fürsten vollends die Fassung; er lachte bitter auf.

„O, ihm nicht! Aber mir könnte es leicht Beides kosten, wenn ich jetzt ginge und Dich Deiner schrankenlosen Bewunderung für ihn und sein Pflichtgefühl überließe. – Onkel, ich verlange Aufschub für meine Abreise, nur um drei Tage, und wenn Du mir das versagst, so nehme ich ihn mir. Ich weiß, daß in der ersten Zeit noch nichts Entscheidendes geschieht, und zu den Vorbereitungen komme ich noch immer früh genug.“

Die Fürstin wollte einschreiten, aber der Graf hielt sie zurück. Mit seiner vollen Autorität trat er vor den Neffen hin.

„Darüber habe ich zu entscheiden und nicht Du. Ich habe unsere Abreise für heute festgesetzt; ich halte sie für nothwendig, und dabei bleibt es. Wenn ich jeden meiner Befehle erst Deiner Prüfung unterbreiten oder ihn von Deinen Eifersuchtslaunen abhängig machen soll, so ist es besser, Du gehst überhaupt nicht mit mir. Ich fordere jetzt den Gehorsam, den Du Deinem Führer zugesagt hast. Entweder Du folgst mir noch in dieser Stunde, oder – mein Wort darauf! – ich schließe Dich von Allem aus, worüber ich zu gebieten habe – Du hast die Wahl.“

„Er wird folgen, Bronislaw,“ sagte die Fürstin mit finsterem Ernste, „oder er wäre mein Sohn nicht mehr. Entscheide, Leo! Dein Oheim hält Wort.“

Leo stand im heftigsten Kampfe da. Die Worte des Oheims, der gebietende Blick der Mutter wären vielleicht machtlos geblieben gegen seine furchtbar aufgereizte Eifersucht, aber er sah, daß auch Wanda sich von ihm abwendete – er wußte, daß sein Bleiben ihm ihre Verachtung eintragen würde, und das entschied. Er stürzte zu ihr und faßte wieder ihre Hand.

„Ich – gehe,“ stieß er hervor, „aber Du giebst mir das Versprechen, während meiner Abwesenheit Wilicza zu meiden und meine Mutter nur in Rakowicz zu sehen, vor allem aber Waldemar fern zu bleiben.“

„Das wäre ohnedies geschehen,“ entgegnete Wanda in milderem Ton. „Du vergißt, daß nur meine Weigerung, in Wilicza zu bleiben, Deine ganze grundlose Eifersucht verschuldet hat.“

Leo athmete bei dieser Erinnerung auf. Ja freilich, sie hatte sich mit vollster Heftigkeit geweigert, die Nähe seines Bruders zu ertragen.

„Du hättest mich besser überzeugen sollen,“ versetzte er ruhiger. „Vielleicht bitte ich Dir einst die Kränkung ab, jetzt kann ich’s noch nicht, Wanda.“ Er preßte ihre Hand krampfhaft in der seinigen. „Ich glaube es ja nicht, daß Du jemals den Verrath an Dir und an uns begehen könntest, diesen Waldemar zu lieben, unseren Feind, unseren Unterdrücker. Aber Du sollst auch keine Regung der Achtung, der Bewunderung für ihn haben; es ist schon schlimm genug, daß er Dich liebt, und daß ich Dich in seiner Nähe wissen muß.“

„Du wirst Deine Noth haben mit diesem Feuerkopf,“ sagte die Fürstin halblaut zu ihrem Bruder. „Er kann nun einmal das Wort ‚Disciplin‘ nicht begreifen.“

„Er wird es lernen,“ erwiderte der Graf mit ruhiger Festigkeit. „Und nun leb’ wohl, Jadwiga! Wir müssen fort.“

Der Abschied war kurz und weniger herzlich, als er sonst wohl unter diesen Verhältnissen gewesen wäre.

Der tiefe Mißklang, den die vorangehende Scene wachgerufen, ging selbst durch den Trennungsaugenblick. Wanda duldete es schweigend, daß Leo sie in die Arme schloß, aber sie erwiderte die Umarmung nicht, während sie sich doch gleich darauf mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit nochmals an die Brust ihres Vaters warf. Auch in den Abschied zwischen Mutter und Sohn drängte sich jener Mißklang. Es war eine Ermahnung, eine Warnung, welche die Fürstin Leo zuflüsterte, und sie klang so ernst, daß er sich rascher als sonst aus ihren Armen wand. Dann reichte der Graf seiner Schwester noch einmal die Hand und ging in Begleitung seines Neffen; sie nahmen draußen im Vorzimmer die Mäntel um und stiegen in den harrenden Wagen. Noch ein Gruß zu den Fenstern hinauf und von dort hernieder, dann zogen die Pferde an, und bald verklang das Rollen der Räder in der Ferne.

Die beiden Frauen waren allein. Wanda hatte sich in das Sopha geworfen und das Gesicht in die Kissen vergraben; die Fürstin stand noch am Fenster und sah lange dem Wagen nach, der ihren Liebling davontrug, dem Kampfe, der Gefahr entgegen; als sie endlich in das Zimmer zurücktrat, sah man es doch, was der Abschied ihr gekostet hatte – sie behauptete nur mit Mühe die gewohnte äußere Ruhe.

„Es war unverzeihlich von Dir, Wanda, gerade in einer solchen Stunde an Leo’s Eifersucht zu appelliren, um mit seiner Hülfe Deinen Willen durchzusetzen,“ sagte sie mit bitterm Vorwurfe. „Du kennst ihn doch hinlänglich in diesem Punkte.“

Die junge Gräfin hob den Kopf. Ihre Wangen zeigten noch die Spuren der eben vergossenen Thränen.

„Du selbst zwangst mich dazu, Tante. Mir blieb kein anderes Mittel, und überdies konnte ich nicht ahnen, daß Leo’s Eifersucht auch mir gelten, daß er auch mich mit einem solchen Verdachte beleidigen würde.“

Die Fürstin stand vor ihr und sah sie durchbohrend an. „Beleidigte er Dich wirklich damit? Nun, ich will es hoffen.“

„Was meinst Du damit?“ rief Wanda emporschreckend.

„Mein Kind,“ entgegnete die Fürstin in eisigem Tone, „Du weißt, ich habe niemals Leo’s Partei genommen, wenn er Dich mit seiner Eifersucht quälte – heute nehme ich sie, wenn ich es ihm gegenüber auch nicht zugab, um ihn nicht noch mehr zu reizen. Der Ton, mit dem Du dieses ‚Eher sterben!‘ herausschleudertest, brachte auch mein Blut in Wallung, und Deine Furcht vor Waldemar’s Verachtung war sehr verfänglich, so verfänglich, daß ich jetzt freiwillig auf Deine Anwesenheit in Wilicza Verzicht leiste. Als ich den Plan entwarf, glaubte ich Deiner unbedingt sicher zu sein; jetzt könnte ich ihn wirklich nicht mehr vor Leo verantworten und stimme Dir vollkommen bei, wenn Du – die Probe nicht wagen willst.“

Wanda hatte sich erhoben. Todtenbleich, keines Wortes fähig, starrte sie die Sprechende an; sie hatte das Gefühl, als öffne sich auf einmal ein Abgrund vor ihren Füßen, und wie vom Schwindel ergriffen lehnte sie sich an das Sopha.

„Du täuschest Dich,“ brachte sie endlich mühsam heraus, „oder Du willst mich täuschen. Das habe ich nicht verdient.“

Die Fürstin ließ das Auge nicht von dem Gesichte ihrer Nichte. „Ich weiß, daß Du noch keine Ahnung davon hast, und eben deshalb gebe ich sie Dir. Nachtwandler muß man wecken, ehe sie die gefahrdrohende Höhe erreichen. Wenn das Erwachen plötzlich kommt, ist der Sturz unausbleiblich. Dir ist von jeher die Energie, die eiserne Willenskraft am Manne das Höchste gewesen; das allein zwingt Dich zur Bewunderung. Ich weiß leider, daß Leo dieses Eine trotz all seiner glänzenden Eigenschaften nicht besitzt, und ich leugne auch nicht mehr, daß Waldemar es hat; also nimm Dich in Acht mit Deinem – Haß gegen ihn! Er könnte sich Dir eines Tages als etwas Anderes enthüllen. Ich öffne Dir jetzt die Augen, wo es noch Zeit ist, und ich denke, Du wirst mir dankbar dafür sein.“

„Ja,“ entgegnete Wanda mit fast erloschener Stimme. „Ich danke Dir.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_710.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)