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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

und der Rauhkofl mit ihren wild und phantastisch zerrissenen Zacken, ihren scharfen Kanten und dem aus ihren Rissen und Schluchten noch im Hochsommer blitzenden Schnee, machen die Lage der Stadt zu einer überaus reizenden; doppelt schön wird sie durch das am Einflusse der Isl in die Drau sich romantisch erhebende Schloß Bruck. Und über all den landschaftlichen Reizen lachte der reinste, tiefblaue Himmel. Schuß auf Schuß erkrachte und hallte von den Bergwänden in vielfachem Echo wieder. Ueber die Brücke zog aus der Kirche, den Geistlichen an der Spitze, ein Zug von Jung und Alt. Ein Maidli in Tiroler Tracht, mit spitzem Hute, ähnlich den Zillerthalern, gab uns die Auskunft, daß es „Kaisers Geburtstag“ war. Interessanter aber als die hübsche Pfarrkirche, war uns eine andere, dem Mittelalter entstammende Kirche, die mit ihren uralten Grabsteinen und anderen Denkmalen an den Wänden selbst einem historischen Denkmale der Stadt Lienz gleicht. Die Männer und Frauen, welche hier ruhen, und deren Namen uns die steinernen Grabmale melden, sie waren es wohl, welche einst, in längstvergangenen Tagen, die Hallen des Schlosses Bruck belebten.

Damals, im dreizehnten Jahrhunderte, der kampf-, minne- und trinklustigen Ritterzeit des Mittelalters, wohnten dort die Grafen Görz; später wurde aus dem Grafenschloß ein Damenstift; jetzt ist es – eine Brauerei. Aber Eines ist durch all die Jahrhunderte sich gleich geblieben: die prächtige Aussicht in das romantische Thal. Mag man oben im Saale an eines der Fenster treten oder unten im Schloßgärtchen sich niederlassen – immer hat man das liebliche Thal vor sich, links drüben am Berge ein schönes Kirchlein und einen silbern blitzenden, herabrauschenden Waldbach, rechts die riesigen schroffen Dolomiten mit ihren phantastischen Formen, und dazwischen im Thalgrunde die freundliche Grenzstadt Tirols.

Von Lienz wendet man sich in das Pusterthal, das sofort mit seinem rauschenden Flusse, seinen grotesken Felsenpartien, seinen malerisch gelegenen Capellen eine Fülle landschaftlicher Reize bietet. Von jeher war dieses Thal die Hauptstraße von Kärnthen nach Tirol, und von ihm aus führte südlich durch das Ampezzothal die Straße nach Venedig. Nachdem die Brennerbahn im August 1867 eröffnet worden, ist die Communication und der Handel Tirols mit Italien natürlich ihren Geleisen gefolgt. Aber hat sich auch sonst im Ampezzothale der rege Handelsverkehr, der lebhafte Gütertransport gemindert, so führt andererseits die neue von Villach nach Franzensfeste am Brenner sich erstreckende Alpenbahn dem Ampezzothale von Tag zu Tag mehr Freunde großartiger Alpennatur zu.

Wir genießen einen prächtigen Rückblick auf die Lienzer Dolomiten, indem wir an schönen Ruinen und Capellen, an schroffen zum Theile schneebedeckten Alpen durch das Pusterthal dahin fliegen, und halten nach kaum zwei Stunden, in einer Höhe von dreittausendsechshundert Fuß, vor dem Bahnhofe Toblach. Hier ist die Wasserscheide im Pusterthale; das hohe Kreuz an der Straße bezeichnet sie; nach Osten fließt die Drau der Donau und dem schwarzen Meere, nach Westen die Rienz dem Eisack und dem adriatischen Meere zu. Hier auf dem Toblacher Felde grüßt uns schon der Eingang des Ampezzothales, welches hier von Süden her in das Pusterthal mündet, wie ein gewaltiges Riesenthor. Wir verlassen die Bahn. Welch Getümmel von Fremden in und vor dem Bahnhofe! Kutscher auf Kutscher bieten ihre Dienste an; ein buntbebänderter Italiener fordert für seinen Wagen nach Cortina aufdringlich fünfundzwanzig Gulden, um sofort auf fünfzehn zu fallen etc., doch wir ziehen es vor, uns dem biedern Posthalter anzuvertrauen, und in wenigen Minuten ladet ein schmucker deutscher „Bua“ zum Einsteigen ein.

Schon der erste Eindruck des Ampezzo-Thales ist in der That ein großartiger. Die Straße tritt in das sogenannte Höhlensteiner oder Höllensteiner Thal, eine romantische Schlucht, welche die Rienz durchströmt, und führt an einem kleinen finstern See, dem Toblacher See, vorüber. Mit jedem Schritte vorwärts verengt sich das Thal, düster und schaurig; Straße und Bach nehmen die ganze Thalsohle ein und finden kaum neben einander Platz. Die Felsen und Gebirgsmassen werden immer mächtiger, wilder und höher, und hoch über sie hinweg ragen in schroffen, grotesken Formen die drei Zinken (Zinnen) in das Blau des Himmels. Kaum haben wir das Post- und Gasthaus Landro oder Höhlenstein passirt, als schon ein neues gewaltiges Bild Auge und Sinn fesselt. Während nämlich die Rienz hier ihren Lauf wohl eine halbe Stunde unterirdisch fortsetzt und sich den Blicken entzieht, zeigt sich im Thale der kleine hellgrüne Dürrensee (der gewöhnlich im Herbst eintrocknet und erst im Frühling sich wieder füllt), rings um ihn her dichte, dunkle Tannenwaldung und darüber als kolossaler Hintergrund der riesige, über zehntausend Fuß sich erhebende Monte Cristallo mit weiten blitzenden Schneefeldern und Eismassen.

Hier, am Eingange des Val Popena, nimmt uns das romantisch schön gelegene und behaglich eingerichtete Gasthaus Schluderhach („Monte Cristallo“) mit freundlicher Bewirthung auf. Mit herzlicher Biederkeit empfangen uns Herr Ploner, der alte Jäger, welcher das Gasthaus erbaut und neuerdings erweitert hat, und seine wackere Ehehälfte, und bald liefert, bei frischem, goldhellem Grazer Naß, die treffliche Küche den schlagenden Beweis, daß der weitverbreitete, auch von Bädeker willig anerkannte Ruhm von der ausgezeichneten Kochkunst unserer freundlichen Wirthin ein vollkommen begründeter ist. Diese musterhafte Verpflegung im Verein mit der frischen, reinen Alpenluft, der unvergleichlich schönen Lage des Hauses und der Mannigfaltigkeit der schönsten Ausflüge ist es, was das gemüthliche Gasthaus zum Standquartier zahlreicher Touristen gemacht hat. Laut der schätzenswerthen Mittheilungen von Kurtz (Führer durch die Dolomit-Gruppen, ein empfehlenswertes Buch aus dem Verlag des alten Alpen-Amthor in Gera) liegt Schluderbach auf einer Höhe von gegen fünfthalbtausend Fuß über dem Meere, also über tausend Fuß höher als der Brocken und nur etwa vierhundert Fuß niedriger als die Schneekoppe des Riesengebirgs; selbst in den Hundstagen steigt hier die Mittagshitze im Schatten sehr selten über achtzehn Grad. Der Monte Cristallo, der vielzackige Cristallino, die hohe trotzige Porphyrmasse der Croda Rossa und der Monte Piano bilden die Umgebung, und wohin man den Schritt wendet, überall bietet sich ein Reichthum der mannigfaltigsten und schönsten Gebirgspartien, wie man sie anderwärts äußerst selten findet überall volle, echte, großartige Alpennatur, und immer ist der bergkundige und vielerfahrene Ploner mit Rath und That zur Hand. Dabei die reine, erquickende Gebirgsluft, dabei endlich die reiche Alpenflora; an einzelnen Stellen bedarf es kaum eines halbstündigen Steigens, um den Standort vom Edelweiß zu erreichen. O welch’ ein Jubel, als das Töchterlein den ersten silberweiß-wolligen Stern von Edelweiß selbst fand und pflückte und im Triumph den Hut des Bruders schmückte!

Schluderbach ist zugleich die Sprachgrenze. Südlich von ihm herrscht italiener Leben und italiener Sprache. Zwischen Felsen und Bergwänden und mit dem Blick auf noch höhere, herüberragende Dolomitberge steigt allmählich die Straße. Bald haben wir Ospetale – einst Herberge für arme Pilger, jetzt Gasthaus – erreicht, bald auch den schauerlichen Paß, in welchem ehemals die Feste Peutelstein (Castello di Poitestagno), ursprünglich von den Venetianern erbaut, später das Thal und seinen Verkehr gegen Venedig schützte. Im Kriege vom Jahre 1859 ist sie in einen Steinhaufen verwandelt worden.

Wir sind auf der Höhe angelangt, und abwärts geht es nun, an Abgründen hin, in das liebliche eigentlich sogenannte Ampezzanerthal, welches die jugendlich muntere Alpentochter, die Boita, durchrauscht. Da tritt rechts der kolossale Dolomit Monte Tofana, dessen drei Gipfel, mit Schnee bedeckt, über zehntausend Fuß in das Blau des Himmels hinaufragen, vor uns der fast gleich hohe Pelmo und der Mezzodi, westlich der gewaltige Antelao (von dessen Gipfel aus bei heiterem Himmel Venedig sichtbar sein soll) und die Sorapiß, die höchste Spitze der Croda Malcora, hervor. Im Zickzack geht es schnell, aber sicher den Berg hinunter; wir sind in Cortina d’Ampezzo, das von 770–1576 zur Republik Venedig gehörte, später an Oesterreich abgetreten wurde und jetzt die letzte Station in Tirol bildet.

Im Hôtel „Aquila Nera“ nehmen wir trotz der hier hausenden englischen Colonie Quartier und geben in behaglichem Schlendern durch die Straßen und die Umgebung uns den Eindrücken hin, welche Cortina, seine Bewohner und seine Gebirgslage auf uns machen. Hier war es, wo eine uralte, sittenstrenge Gemeindeverfassung jeder Braut gebot, nur in Begleitung einer alten Frau (genannt brontola, das ist: Brummbärin) auszugehen, und jeden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_737.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)