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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

allgemeines Aufsehen erregte. Rattazzi war damals Ministerpräsident und wurde ohne sein Vorwissen eines Morgens mit einem Bande überrascht, auf dem sein Name stand und den elf Herausforderungen zum Duell begleiteten. Seinem Vaterlande mit Leib und Leben gehörig, darf ein Rath des Königs keine solche Herausforderung annehmen, und so mußten sich die Beleidigten auf den Zeitpunkt vertrösten, wann Rattazzi, seines Portefeuilles verlustig, wieder Privatangelegenheiten obliegen durfte. Es waren elf Ehemänner, die sämmtlich die Ehre ihrer Frauen zu rächen kamen, da sie Frau Maria in ihrem Buche mit so unverkennbaren Worten angegriffen hatte, wie dies nur immer möglich war. Sie läßt in ihrem Buche vor einem unverdorbenen jungen Mädchen die ganze Stadt (Bicheville nennt sie dieselbe) Revue passiren, und was sie unter dem Staub der Zeit an unangenehmen Familienverhältnissen hervorstöbern konnte, fand einen Platz in diesem Buche. In zwei Tagen war die Auflage vergriffen, und als eine zweite, mit den rechten Namen der aufgeführten Damen als Randglossen, erschien, mußte der Verkauf verboten werden, denn der Thränen flossen so viele von schönen Frauenaugen, als habe ein Krieg den armen Herzen die tiefsten Wunden geschlagen. Daß Frau Rattazzi sich auf diese Weise bei den italienischen Frauen nicht populär machte, läßt sich denken. Sie glaubte durch ihr Werk zu imponiren, sich für die kalte Aufnahme, welche sie als Gattin Rattazzi’s nicht erwartet hatte, zu rächen und für die Zukunft gefürchtet zu machen. Aber sie hatte ihren letzten Trumpf ausgespielt – Bicheville hatte kein Geheimniß mehr, das die „Dichterin“ verwerthen konnte, und die Antipathie, die man sie hatte fühlen lassen, schlug in Verachtung um. Wieder wird ein Buch aus ihrer Feder gemeldet – Frau Rattazzi schreibt nur, wenn sie dabei einen bestimmten Zweck im Auge hat, es ist selten ein rein literarischer. Die Frage ist: „Was führt sie dieses Mal im Schilde?“

W.

Blätter und Blüthen.

Ein künstliches Auge. Bekanntlich ist das menschliche Auge zunächst nur ein physikalischer Apparat, und zwar ein Apparat von großer Vollkommenheit, wenn auch nicht so durchaus allen Anforderungen entsprechend, wie man ihn, mit Helmholtz zu reden, von einem geschickten Optiker verlangen würde. Die Camera obscura das dunkle Kästchen, in welchem der Photograph seine Bilder erzeugt, ist ein vergrößertes Abbild des Auges, und das Bild der Außendinge, welches sich durch die chemische Wirkung des Lichtes auf der in diese Kammer eingeschobenen Platte fixirt, ist ein vollkommenes Gegenstück zu dem ebenfalls verkehrten Bilde, welches sich auf dem Hintergrunde unseres Auges abmalt. Damit sind aber die Aehnlichkeiten mit dem physikalischen Apparate zu Ende, denn in und hinter der Netzhaut, die den als Bildplatte dienenden Augenhintergrund bedeckt, beginnt erst das eigentliche Sehen, das heißt die Empfindung und Deutung des in dem physikalischen Apparate erzeugten Bildes der Außendinge. Ein in London lebender deutscher Physiker, Herr C. William Siemens, hat indessen kürzlich gezeigt, daß man die Analogie noch weiter treiben kann, und ein künstliches Auge mit empfindlicher Netzhaut hergestellt, welches nicht nur Licht und Dunkelheit, sondern auch die einzelnen Farben unterscheidet, ja wie ein lebendes Auge bei längerem Betrachten einer Farbe ermüdet und, von plötzlicher Helligkeit geblendet, die Wimpern schließt. Die empfindliche Netzhaut desselben ist aus einer dünnen Schicht von Selen, einem dem Schwefel und Phosphor ähnlichen Elementarstoffe, gebildet, wobei an Stelle der Nerven, die sich in der Netzhaut verzweigen, zwei galvanische Leitungsdrähte spiralig oder im Zickzack parallel neben einander in derselben verlaufen, sodaß überall Selenmasse zwischen ihnen liegt. Das Selen zeigt nämlich nach den in den letzten Jahren angestellten Beobachtungen mehrerer englischer Ingenieure und Physiker, wenn es bis zu einem gewissen Punkte erhitzt und dann erkaltet ist, bleibend die höchst merkwürdige Eigenschaft, vom Lichte derartig beeinflußt zu werden, daß es den galvanischen Strom um so besser leitet, je stärker[WS 1] es beleuchtet wird. Dr. Werner Siemens, der Chef der weltberühmten Telegraphen-Bauanstalt in Berlin, hat diese Eigenschaft des Selens am genauesten studirt und einen sinnreichen Apparat darauf begründet, um die Stärke irgend einer auf die Selenplatte fallenden Lichtquelle direct nach dem Widerstande zu messen, den ein galvanischer Strom in der beleuchteten Selenschicht findet. Der Apparat seines Bruders, das künstliche Auge, beansprucht nicht die Wichtigkeit, welche dieser Lichtmesser als wissenschaftliches Instrument möglicher Weise gewinnen kann, er ist dafür um so lehrreicher. Das gläserne Auge wird von zwei Wimpern beschattet, die nach ihrer Oeffnung das durch eine Glaslinse gebrochene Licht auf die künstliche Netzhaut werfen. Die in derselben, ohne sich zu berühren, Parallellinien beschreibenden Drähte gehen von einem galvanischen Elemente aus und umkreisen, ehe sie in die Netzhaut eintreten, der eine einen Elektromagneten, der andere eine Magnetnadel, die hier den Beweis liefern soll, daß wirklich, wie Thales lehrte, in ihr eine empfindende Seele wohnt. Wird nun vor das künstliche Auge eine weiße Tafel gebracht, die man vermittelst eines schwarzen Tuches bald in Dunkelheit hüllen, bald mit dem farbigen Schimmer des durch bunte Gläser gegangenen elektrischen oder des Sonnenlichtes betrachten kann, so gewahrt man mehr oder minder starke Ablenkungen der Nadel aus ihrer sonst mehr oder weniger bestimmten Richtung auf den Nordpol.

Die kleinste Ablenkung erzeugt das blaue Licht, welches auch dem Menschen als das mildeste und ruhigste erscheint. Eine lebhaftere Bewegung der Nadel bewirkt das grüne, eine noch stärkere das gelbe und die stärkste das rothe Licht, welches so auch auf Thiere – man denke nur an die durch rothe Tücher gereizten Truthähne und Stiere! – die stärkste Wirkung ausübt. Läßt man dieses rothe oder andersfarbige Licht alsdann anhaltend wirken, so ermüdet die künstliche Netzhaut ebenso wie die natürliche und der anfangs stärkere Ausschlag der Nadel nimmt allmählich ab. Sie bedarf der Erholung im Dunklen, des Schlafes. Man sieht, es entspricht hier die Magnetnadel dem Gehirne, in welchem die Eindrücke zur Wirkung kommen, und die Leitungsdrähte den Empfindungsnerven, mit denen sie so oft verglichen worden sind. Ja, es lassen sich mit diesem Apparate sogar die Reflexbewegungen des Auges darstellen, das heißt das unwillkürliche Schließen der Wimpern, wenn das Auge durch ein ungewohntes Licht geblendet wird. Es ist zu diesem Zwecke nur erforderlich, daß ein Elektromagnet, der durch Anziehung eines Ankers die Schließung der Wimpern in Folge des bei intensivem Lichte stärkeren Stromes hervorbringt, in die Leitung eingeschaltet werde. So roh eine solche Nachahmung sein mag, und so wenig sie geeignet ist, unserer wohlbegründeten Bewunderung des Baues der thierischen Sinneswerkzeuge Abbruch zu thun, sicher wird dieses künstliche Auge zu den sinnreichsten Lehrapparaten gerechnet werden müssen, die es giebt.

C. St.

Die Schweiz – „in Bildern“ (s. Abbildung S. 777) ist nichts Neues; das republikanische Alpenland ist, selbst Palästina nicht ausgenommen, das illustrirteste Fleckchen der Erde. Es sind Tausende von schweizerischen Alpenbildern, aus dem Leben der Natur und des Volks, über alle Erdtheile zerstreut und vervielfältigt, und auch an Sammlungen derselben besteht keine geringe Anzahl. In künstlerischer und typographischer Beziehung ist jedoch wohl noch keine solche Sammlung mit mehr Aufwand und Geschmack hergestellt, als „Die Schweiz (von dem bekannten Reiseschriftsteller) Gsell-Fels“, welche soeben in Friedr. Bruckmann’s Verlag (München und Berlin) erscheint. Von den Künstlern, welche dazu Neues geliefert, oder aus deren bereits berühmter Werken das Beste dazu ausgewählt worden ist, brauchen wir nur Namen wie A. Anker. A. Bachelin, J. Balmer, A. Calame. G. Cloß, E. Rittmeyer, B. Vautier, I. Zimmermann zu nennen, um auf den wahren Werth des Werkes hinzuweisen der namentlich auch in der außerordentlichen Treue und Wahrheit der bildlichen Darstellungen zu suchen ist. Von den Illustrationen theilen wir in unserer heutigen Nummer ein erst in einem der nächsten Hefte des Werkes an die Oeffentlichkeit kommendes Bild mit, von welchem wir gestehen, daß ein gelungenerer Holzschnitt uns kaum jemals zu Gesicht gekommen; die Feinheit der technischer Behandlung grenzt an die Leistungen des Stahlstiches, und die Kraft des Farbentons in der Darstellung dieses Augenblicks der Ruhe nach einem furchtbaren Natursturm ist von einer Wirkung, die der des Originals nahe kommt. Letzteres bildet neben noch drei gleichgroßen Gemälden Calame’s den Hauptschmuck im großen Saale des städtischen Museums in Leipzig. Es führt uns vor eine wilde Partie des Haslithals in den Berner Oberalpen. Das Oberhaslithal besteht bekanntlich aus mehrerer Schluchten, deren jede zu einem weiten ebenen Becken führt: diese Becken sind einst kleine Seen gewesen, bis die Aar sich ihre Wege von See zu See immer tiefer aushöhlte und bis der Boden erreicht und der Abfluß bis auf den Grund möglich war. In der Nähe von Handeck ist der Ort unseres Bildes zu suchen.


Zu dem Artikel „Merkwürdige Krankheitsfälle. 1. Der schlafende Ulan“ haben wir ergänzend nachzutragen, daß laut neuesten Nachrichten der räthselhafte Kranke nunmehr aus dem Potsdamer Garnisonlazareth als geheilt in seine Heimath entlassen worden. Wie verlautet, beabsichtigt man höheren Orts ihn nach seiner völligen Kräftigung nicht wieder in

den Millitärdienst zurückkehren zu lassen, sondern ihm eine andere Lebensbahn zu eröffnen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: je seltener. Vergl. Berichtigung in Das Bild im Auge sterbender Tiere, Jg. 1877, Heft 10, S. 172
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_780.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)