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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Leidenschaft erwidert wird, weiß ich erst seit vorgestern. Es wäre nutzlos, Euch Vorwürfe über das Geschehene zu machen – es wird dadurch nicht ungeschehen gemacht, aber Ihr fühlt wohl selbst, was Ihr jetzt Euch und Leo schuldig seid – die unbedingteste Trennung! Wanda hat das bereits eingesehen, und auch Du mußt Dich dem fügen.“

„Muß ich?“ fragte Waldemar. „Du weißt, Mutter, Fügsamkeit ist meine Tugend nicht, und am wenigsten da, wo mein ganzes Lebensglück auf dem Spiele steht.“

Die Fürstin sah mit dem Ausdrucke schreckensvoller Ueberraschung empor. „Was heißt das? Willst Du etwa versuchen, Deinem Bruder die Braut zu rauben, nachdem Du ihm bereits ihre Liebe geraubt hast?“

„Die hat Leo nie besessen. Wanda kannte sich und ihr Herz noch nicht, als sie seiner Neigung, als sie Deinen und ihres Vaters Wünschen und den Familienplänen nachgab. Ihre Liebe besitze ich, und nun ich diese Gewißheit habe, werde ich auch zu behaupten wissen, was mein ist.“

„Nicht so unbeugsam, Waldemar!“ sagte die Fürstin fast mit Hohn. „Hast Du schon bedacht, was Dein Bruder Dir auf eine solche Zumuthung antworten wird?“

„Ich würde meine Braut freigeben, wenn sie mir erklärte, daß ihre Liebe einem Andern gehöre,“ erwiderte der junge Mann fest. „Unbedingt und entschieden freigeben, gleichviel, was ich dabei empfände. Leo wird das nun allerdings nicht thun, wie ich ihn kenne. Er wird außer sich gerathen, Wanda bis zur Verzweiflung quälen und sich und uns eine Reihe der furchtbarsten Scenen bereiten.“

„Willst Du ihm Vorschriften für seine Mäßigung machen, Du, der Du ihn bis auf den Tod beleidigst?“ fiel die Mutter ein. „Freilich, Leo ist ja fern; er steht im Kampfe für die heiligsten Güter seines Volkes, und während er stündlich das Leben dafür einsetzt, ahnt er nicht, daß sein Bruder zu Hause, hinter seinem Rücken –“

Sie hielt inne, denn Waldemar’s Hand legte sich schwer auf die ihrige. „Mutter,“ sagte er mit einer Stimme, welche die Fürstin warnte, denn dieser dumpfe gepreßte Ton ging bei ihm stets einem Ausbruche voraus. „Laß’ die Beschuldigungen, an die Du selbst nicht glaubst! Du weißt besser als jeder Andere, wie Wanda und ich gegen diese Leidenschaft gekämpft haben, weißt, welcher Moment es war, der uns endlich das Siegel von den Lippen nahm. Hinter Leo’s Rücken! Auf meinem Zimmer liegt der Brief, den ich an ihn schrieb, ehe ich zu Wanda ging; meine Unterredung mit ihr ändert darin nichts. Wissen muß er es, daß das Wort ‚Liebe‘ zwischen uns gefallen ist; wir würden es Beide nicht ertragen, ihm das zu verhehlen. Ich wollte den Brief Dir übergeben. Du allein weißt mit Sicherheit, wo Leo jetzt zu finden ist, und kannst das Schreiben in seine Hände gelangen lassen.“

„Um keinen Preis!“ rief die Fürstin heftig. „Ich kenne zu gut das heiße Blut meines Sohnes, um ihm eine solche Folter aufzuerlegen. Fern zu bleiben, vielleicht noch Monate lang, während seine ganze Eifersucht entfesselt ist und er sich hier in seinem Theuersten bedroht weiß – das geht über seine Kräfte. Und doch muß er ausharren, doch darf er seinen Posten nicht verlassen, ehe nicht Alles dort entschieden ist. Nein, nein, davon kann keine Rede sein. Ich habe Wanda bereits das Wort abgenommen, zu schweigen, und auch Du wirst mir das versprechen. Sie kehrt heute noch nach Rakowicz zurück und geht, sobald sie völlig hergestellt ist, zu unseren Verwandten nach M. um dort so lange zu bleiben, bis Leo zurückgekehrt ist und seine Rechte persönlich wahren kann.“

„Ich weiß es,“ entgegnete Waldemar finster. „Sie selbst hat es mir gesagt. Sie kann ja jetzt nicht Meilen genug zwischen uns legen. Was die Liebe, was die Verzweiflung nur eingeben kann, das habe ich bei ihr versucht – es war vergebens; sie setzt mir immer wieder dieses unwiderrufliche Nein entgegen. – Sei’s denn, bis zu Leo’s Rückkehr! Vielleicht hast Du Recht – es ist besser, wir machen das Auge in Auge ab, und mir ist die Art jedenfalls die liebste. Ich bin jeden Augenblick bereit, ihm Rede zu stehen. Was dann zwischen uns geschieht, ist freilich eine andere Frage.“

Die Fürstin erhob sich und trat zu ihrem Sohne. „Waldemar, gieb diese unsinnige Hoffnung auf! Ich sage Dir, Wanda würde nie die Deine, auch wenn sie frei wäre. Es steht zu Vieles, zu Unübersteigliches zwischen Euch. Du täuschest Dich, wenn Du auf eine Sinnesänderung bei ihr rechnest. Was Du nationale Vorurtheile nennst, das ist für sie das Lebensblut, mit dem sie genährt ist seit ihrer frühesten Jugend, das sie nicht lassen kann, ohne das Leben selbst zu lassen. Mag sie Dich lieben, die Tochter der Morynski, die Braut des Fürsten Baratowski weiß, was Pflicht und Ehre von ihr fordern, und wüßte sie es nicht, so sind wir da, sie daran zu erinnern, ich, ihr Vater, vor allen Dingen Leo selber.“

Ein beinahe verächtliches Lächeln spielte um die Lippen des jungen Mannes, als er erwiderte: „Und glaubst Du denn wirklich, daß einer von Euch mich hindern würde, wenn ich Wanda’s Ja hätte? Daß sie sich mir versagt, daß sie mir verbietet, für sie und um sie zu kämpfen, das ist’s, was mir vorhin bei ihr die Fassung raubte. Aber gleich viel! Wer wie ich nie im Leben Liebe erfahren hat und wem sie sich dann plötzlich so ganz, so beglückend aufthut, wie mir in jener Stunde, der verzichtet und entsagt nicht so leicht. Der Preis ist mir denn doch zu hoch, als daß ich den Kampf nicht versuchen sollte. Wo ich Alles zu gewinnen habe, da setze ich auch Alles ein, und wenn sich noch zehnfach größere Hindernisse zwischen uns aufthürmten – Wanda wird mein.“

Es lag eine unbeugsame Energie in diesen Worten. Der rothe Feuerschein vom Kamine her beleuchtete Waldemar’s Züge, die in diesem Augenblicke wie aus Erz gegossen erschienen. Die Fürstin mußte es wieder einmal anerkennen, daß es ihr Sohn war, der da vor ihr stand mit der verhängnißvollen blauen Linie an der Stirn, mit jenem Blicke und jener Haltung, „als sähe man die Mutter selbst.“ Sie hatte sich bisher vergebens gemüht, das Unerhörte, Unmögliche zu begreifen, daß Waldemar, der kalte, finstere, abstoßende Waldemar ihrem Leo vorgezogen wurde, daß er Sieger blieb gegen den schönen ritterlichen Bruder, wo es sich um die Liebe eines Weibes handelte – in diesem Augenblicke begriff sie es.

„Hast Du vergessen, wer Dein Gegner ist?“ fragte Sie mit ernstem Nachdruck. „Bruder gegen Bruder! Soll ich die feindselige, vielleicht blutige Begegnung zwischen meinen Söhnen mit ansehen? Denkt Ihr gar nicht an die Angst der Mutter?“

„Deine Söhne!“ wiederholte Waldemar. „Wo es sich um die Angst und die Zärtlichkeit der Mutter handelt, ist doch wohl nur von einem Sohne die Rede. Du vergiebst es mir nicht, daß ich mich in das Glück Deines Lieblings eingedrängt habe, und ich kenne eine Lösung, die Dir wenig Thränen kosten würde. Aber sei ruhig! Was ich thun kann, einen schlimmen Ausgang zu hindern, das geschieht; sorge nur, daß Leo mir die Möglichkeit läßt, in ihm den Bruder zu sehen! Du hast eine unmschränkte Gewalt über ihn; auf Dich wird er hören. Du weißt, ich habe es gelernt, meiner Natur Zügel anzulegen, aber meine Selbstbeherrschung geht nur bis zu einer gewissen Grenze; reißt Leo mich darüber hinaus, so stehe ich für nichts mehr ein. Er versteht es wenig, fremde Ehre zu schonen, wo er sich beleidigt glaubt.“

Sie wurden unterbrochen. Man meldete dem Schloßherrn, draußen stehe ein Unterofficier des Detachements, das gestern durch Wilicza gezogen war, und verlange ihn dringend und sofort zu sprechen. Waldemar ging hinaus. Er war es seit den letzten Tagen gewohnt, daß diese äußeren Störungen sich gerade dann eindrängten, wenn man am wenigsten in der Stimmung war, ihnen Rechnung zu tragen.

Im Vorzimmer stand der Gemeldete. Er brachte einen Gruß des commandirenden Officiers und eine Bitte desselben. Das Detachement stand, gleich nachdem es seinen neuen Posten bezogen, der Nothwendigkeit gegenüber, einzuschreiten. Während der Nacht hatte drüben ein heftiger Kampf stattgefunden, der mit einer Niederlage der Insurgenten endigte; sie flohen in größter Unordnung, hitzig verfolgt von den Siegern. Ein Theil der Flüchtlinge hatte sich durch den Uebertritt auf das diesseitige Gebiet gerettet. Sie waren von einer Patrouille angehalten und entwaffnet worden und sollten nach L. gebracht werden. Es befanden sich aber einige schwer Verwundete darunter, von denen man fürchtete, daß sie den Transport nicht aushalten würden; der Officier bat um vorläufige Aufnahme derselben in dem nahen Wilicza. Der Wagen mit den Kranken befand sich bereits unten im Dorfe. Waldemar war augenblicklich bereit, der Aufforderung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_783.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)