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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Untersuchung wurde das Urtheil über Manger von der Commission gefällt, mit der Publicirung aber noch weitere zwei Jahre gewartet. Es lautete auf Entsetzung von Aemtern und Würden und eine fünfjährige Festungsstrafe. Bei Verkündung der Strafsentenz hatte der dazu beauftragte Richter dem Verurtheilten zugleich einen Cabinetsbefehl zu eröffnen, welcher ihn zu lebenslänglicher Haft verdammte.

Die Commission hatte ihn verurtheilt 1) wegen ihm zur Last gelegter nachgefolgter Theilnahme an den in dem Drohbriefe liegenden Verbrechen der beleidigten Majestät, weil er Agentenberichte unehrerbietigen und dem Drohbriefe ähnlichen Inhalts vorgelegt, 2) wegen Fälschung und Täuschung, weil er ein schmutziges Pasquill nicht alsbald vorgelegt, die Auslöschung eines schmutzigen Reims an einem Gartenhäuschen ohne vorher genommene Abschrift befohlen, auch unrichtige Anzeigen in Beziehung auf die Untersuchung und seine Geschäftsthätigkeit gemacht, 3) wegen versuchter Nöthigung, weil er hierdurch die Handlungsweise Seiner königlichen Hoheit zu leiten versucht, 4) wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt, weil er einen Beschuldigten ohne genügende Anzeichen polizeilich hatte verhaften lassen. Schon der einfache Laienverstand mußte dieses Urtheil für wenig stichhaltig ansehen. Die Vorlage der „Agentenberichte“ war, wie man wußte, auf ausdrücklichen Befehl des Kurfürsten geschehen. Worin die „Fälschung und Täuschung“ bestanden, ist nicht weiter bekannt geworden. Das „schmutzige Pasquill“ und der „schmutzige Reim“ hatten den Kurfürsten gar nicht betroffen. Der Reim hatte sich an der Außenseite des Aborts – euphemistisch „Gartenhäuschen“ genannt – in dem Garten einer mit der Gräfin Reichenbach befreundeten Bürgerfamilie gefunden. Die Gräfin hatte Abends vorher einer von dieser Familie ihr zu Ehren veranstalteten Gartensoirée beigewohnt, worauf in derselben Nacht die schönen Anlagen des Gartens von Frevelhänden völlig verwüstet worden. – Die versuchte Nöthigung, die Handlungsweise des Kurfürsten zu leiten, ist wohl darauf zurückzuführen, daß Manger denselben zu bestimmen gesucht, seine Residenz nach Hanau zu verlegen, unter der Vorspiegelung, daß er nur dadurch einer ihm in Kassel unaufhörlich drohenden Lebensgefahr entgehen werde. Was endlich die Verhaftung eines Beschuldigten ohne genügende Anzeichen betrifft, worauf der Mißbrauch von Amtsgewalt beruhen soll, so fragte sich Jedermann, ob denn die vielen anderen durch Manger ebenfalls bewirkten Verhaftungen auch wirklich auf genügenden Anzeichen beruht haben. Oder waren diese nur der unverantwortlichen Commission zuzuschreiben?

Wir viel Böses auch dem früheren Polizeibeherrscher gegönnt wurde, so wollte sich doch Niemand mit der an ihm geübten Cabinetsjustiz befreunden; man erblickte darin eine Gefährdung der allgemeinen Rechtssicherheit. Bei einer Revision des Urtheils hat denn auch das Oberappellationsgericht dasselbe in den Hauptpunkten cassirt, die Entlassung aus der schon beinahe fünf Jahre gedauerten Haft und die Nachzahlung des so lange eingezogenen Gehaltes ausgesprochen. Einige untergeordnete Dienstvergehen wurden als durch die Länge der Untersuchungshaft hinreichend verbüßt erachtet. Daß Manger der böse Dämon in dem monströsen Verfahren und der hauptsächlichste Anstifter der vielen Verdächtigungen und Einkerkerungen gewesen, darf man wohl daraus schließen, daß nach der Einstellung seiner Thätigkeit auch keine weitere Heranziehung von Personen zur Untersuchung und Haft vorgekommen sein möchte.

Wenden wir jetzt noch einen Blick auf Diejenigen, die aus Anlaß der Forschung nach den Betheiligten an den Drohbriefen die Bekanntschaft mit den Annehmlichkeiten des Castells in Kassel haben machen müssen, so begegnen wir zunächst einem Manne, der nicht allein wegen seines bedeutenden Vermögens, sondern auch als anerkannter Publicist großes Ansehen genoß, dem Hofrath Dr. Friedrich Murhard. Obgleich in Kassel angesessen, hielt er sich meistens in Frankfurt auf. Von da hatte ihn ein ihm befreundeter hessischer Polizeibeamter zu einer Spazierfahrt nach Hanau verlockt und unterwegs seine Verhaftung bewirkt. Sein Umgang mit einem früheren im Rufe der Demagogie stehenden hessischen Officier, der sich aber später als ein geheimer Agent der Kasseler Polizei entpuppte, sollte ihn verdächtig gemacht haben. Vergebens bot Murhard eine Caution von vielen Tausenden; er mußte in’s Gefängniß wandern, aus dem er erst nach sieben Monaten wieder entlassen wurde. Der Cabinetssecretär Müller blieb neun Monate lang verhaftet, weil in ihm der Verfasser des im Wilhelmshöher Schlosse aufgefundenen Drohbriefes vermuthet wurde. Obwohl er als völlig unschuldig erkannt wurde, ist er doch nicht wieder in Dienst und Gehalt gesetzt, vielmehr noch überdies aus Kassel entfernt worden. Das gleiche Schicksal traf noch eine Reihe anderer ebenso Unschuldiger, und wer vermag die Zahl aller Derjenigen anzugeben, die durch polizeiliche Ueberwachung, Haussuchung und gerichtliche Verwahrung gequält worden sind? Es muß auch noch angeführt werden, daß die doch nur für die Drohbriefe bestellte Commission gewissermaßen en passant auch drei junge Männer aus Fulda in den Bereich ihrer Untersuchungen gezogen und über sie Festungsstrafe erkannte, weil sie vor sechs Jahren in Jena zum „Bunde der Jungen“ gehört hatten.

Und was ist nun am Ende bei der ganzen Drohbriefgeschichte, die für das Hessenland so viele Trübsal im Gefolge gehabt, herausgekommen? Dem Gerichte gegenüber ist sie im Sande verlaufen, für die Erkenntniß der Zustände unter der Regierung Wilhelm’s des Zweiten wird sie aber auch heute noch ein wichtiges Moment abgeben. Obgleich der über ihr lagernde Schleier bis jetzt als nur zu einem kleinen Theil gehoben erscheint, dürfte doch so viel feststehen, daß ihr hauptsächlich die Bemühungen zweier rivalisirender Parteien zu Grunde gelegen, die den Kurfürsten durch Schreckbilder zu mystificiren gedachten. Die eine wollte ihn zu einem freiwilligen Rücktritte veranlassen, während die andere auf das Ziel hinsteuerte, ihn noch mehr zu isoliren und dadurch einen nicht mehr zu durchbrechenden Einfluß auf ihn zu gewinnen. Die Letztere hatte sich leider am wenigsten verrechnet, wie sich von Tag zu Tag immer mehr herausstellte.


Blätter und Blüthen.

Sardinische Feuerreiter. (Mit Abbildung S. 793.) „Wir hatten,“ schreibt uns Albert Richter, der Maler unseres heutigen Bildes, „schon Tage lang die herrliche Insel an der Westseite Italiens durchstreift, welche man mit Recht einen Garten im Meer genannt hat, und befanden uns nun, nachdem wir die malerischen Küstenlandschaften derselben gründlich genossen, im Herzen Sardiniens, in der Provinz Sassari. Den Horizont goldig röthend, war die Sonne zur Ruhe gegangen, und nicht lange nachher leuchtete uns das stille, milde Licht des Mondes. Wir näherten uns unserem Ziele Fonni. Eine unheimliche Röthe lag über einem Theile des Ortes gebreitet. Dicker, schwerer Rauch zog über denselben dahin. Wir glaubten, daß dort ein gewaltiges Schadenfeuer zum Ausbruche gekommen sei, wurden jedoch von unserem Führer eines Besseren belehrt, indem er uns erzählte, daß man den Vorabend des heiligen Antonius, des Schutzpatrons der Sarden, feiere. Wir waren nicht wenig erfreut, daß uns hier Gelegenheit geboten werden sollte, ein Stück Volksleben im tiefen Innern Sardiniens kennen zu lernen. Unseren müden Thieren noch einmal die Sporen gebend, sprengten wir, vorüber an der immer von Frauen belagerten unvermeidlichen Fontana, die am Ein- und Ausgange jedes Ortes in Sardinien liegt, hinein in die Straßen von Fonni. Um eine Ecke biegend, erblickten wir ein herrliches Bild.

Auf einem Platze inmitten der Häuser war ein mächtiges Feuer angebrannt, welches fort und fort mit großen Stücken Holz genährt wurde. Blutroth beschien es die malerischen Gestalten, welche um dasselbe ihre Pferde tummelten. Wie es in vielen Gegenden des deutschen Vaterlandes Sitte ist, zu gewissen Zeiten über lodernde Feuer zu springen und je nach dem glücklichen oder unglücklichen Sprunge prophetische Schlüsse zu ziehen, so zeigte sich das Bild in seinem Aeußeren auch hier, nur mit dem Unterschiede, daß hier das Ueberspringen der Feuer zu Pferde geschah.

Wild lodert die Flamme auf, wenn neue Nahrung in die prasselnde Gluth geschleudert wird; knisternd springen ganze Feuergarben in die Höhe, deren Funken auf dem schwarzen Grunde des dicken Rauches wie feurige Augen umherzucken. Da – donnernde Hufschläge! Die eisernen Sporen fest an die Flanken des Pferdes gepreßt, saust ein Reiter heran. Die Nüstern aus Entsetzen vor dem feindlichen Elemente weit aufgerissen, mit funkelndem Auge, mit den Zähnen auf dem scharfen eisernen Gebisse knirschend, jagt das Thier daher, indem es mit dem Bauche fast den Boden berührt. Ein Riß am Zügel; die scharfen Sporen graben sich fester ein, und in gewaltigem Bogen übersetzt das Roß die Flammen, die nach ihm emporzüngeln. Fast bricht es zusammen, als es auf dem Boden ankommt, so gewaltig war der Sprung. Schon folgt ein zweiter Reiter, dem ein dritter und vierter nachstürmt. Manches der Pferde, entsetzt vor der Gluth, wendet sich rückwärts, aber mit Riesenkraft reißt es sein Bändiger herum und zwingt es zum Sprunge. Zu all’ dem das Beifallsgeschrei der Menge, die Rufe der Reiter, die ihre Thiere zu immer wiederholtem Sprunge antreiben, das Donnern der Hufe der fast bis zur Tollheit erregten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_795.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)