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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Zustande erhalten, und zwar bedürfen sie dazu einer doppelt so großen Menge Kohlensäure, wie deren Volumen beträgt, daher man sie doppeltkohlensaure Salze nennt. Daher auch setzt das Sprudelwasser so reichlich den sogenannten Sprudelstein oder Sinter ab, was die kühleren Quellen nicht thun, deswegen nicht, weil diese die mineralischen Bestandtheile eben als doppelt-kohlensaure Salze und dazu noch einen Ueberschuß dieses Gases, das ist die sogenannte „freie“ Kohlensäure“ enthalten. Weil nun der Sprudel absetzt, die kühleren Quellen aber nicht, glauben viele Curgäste, die kühleren Quellen hätten weniger mineralische Bestandtheile. Im Vorangehenden ist das Irrige dieser Meinung hoffentlich klar auseinandergesetzt.

Ferner ergiebt sich aus dem oben angeführten Umstande, daß sich zur Versendung des Karlsbader Mineralwassers besser die kühleren Quellen und am besten der Schloßbrunn eignet, weil dieser am meisten „freie“ Kohlensäure besitzt. Wenn also Jemand als versendetes Karlsbader Wasser den „Sprudel“ trinken will oder auf Anordnung seines Arztes trinken soll, so muß er sich das natürliche Wasser vom Schloßbrunn aus der nächsten Mineralwasser-Niederlage, oder direct von der hiesigen „Karlsbader Mineralwasserversendung“ verschaffen und dieses bis zur Temperatur des Sprudels künstlich erwärmen.

Ferner sieht man es in Karlsbad häufig genug, daß Curgäste sich ihren Becher mit Sprudelwasser füllen lassen, diesen aber, bevor sie ihn trinken, zehn bis fünfzehn Minuten hinsetzen, in der Absicht, das Wasser abkühlen zu lassen, und sie glauben dennoch, dann Sprudelwasser zu trinken. Wie thöricht das ist, geht ebenfalls aus Obigem hervor; dies so getrunkene Wasser ist zwar immer noch ein Mineralwasser, aber ein zum Theil schon zersetztes. Wer Sprudel trinken will, muß ihn so heiß trinken, wie ihn die Quelle giebt, und dies geschieht am besten mittelst eines kleinen Glaslöffels, weil man eine so kleine Menge, wie ein solcher Löffel faßt, ganz gut hinunterschlucken kann.

Doch lassen wir als sichersten Beweis, daß Karlsbad kein gefährliches Heilmittel ist, die Zahlen sprechen. Karlsbad wurde in den letzten drei Jahren von 61,256 Personen besucht, welche mehr oder weniger krank waren. Viele unter ihnen waren sehr krank. Die Zahl der Todesfälle betrug in diesen drei Jahren hundertfünfzehn (nämlich zweiundvierzig im Jahre 1873, dreißig im Jahre 1874 und dreiundvierzig im Jahre 1875). Davon starben an Schlagfluß vierzehn Personen, also eine Person von 4375, an (meistens krebsartiger) Entartung der Unterleibsorgane (der Leber, Milz, des Magens, der Nieren etc.) neunundvierzig Personen, an Zuckerharnruhr sechs Personen, an Lungenlähmung und Lungeschwindsucht dreizehn, an Blutvergiftung vier, Urämie fünf, Herzbeutelentzündung vier, Gallensteinkolik und Leberentzündung je zwei, Wassersucht vier, die Uebrigen an Scharlach, Typhus, Blutsturz, Magen- und Darmkatarrh, Brightischer Nierenkrankheit. – Nun entsteht die Frage, ob irgendwo bei einer Bevölkerung von 61,256 Personen weniger Todesfälle, als die angegebenen vorkommen? Daß aber nur einer der angegebenen Todesfälle nach dem Satze: post hoc, ergo propter hoc stattgefunden hätte, könnte nur die Mißgunst oder Unwissenheit behaupten.

Karlsbad ist also in Wahrheit bei wahrhaft großer Heilkraft doch eines der mildesten, ja unschuldigsten Heilmittel, und kann in jedem Lebensalter, im zartesten, wie im höchsten, mit Erfolg und ohne die geringste Gefahr gebraucht werden. Ja, es muß hier entschieden betont werden, daß der günstige Erfolg von Karlsbad bei Kindern selbst im Alter von drei und zwei Jahren viel zu wenig bekannt ist.

Mit dem Vorurtheile der großen Gefährlichkeit zum Theile verbunden ist auch die Meinung, daß bei dem Gebrauche von Karlsbad, wie bereits oben erwähnt, der geringste Genuß sogenannter verbotener Speisen von größtem Nachtheile sei, und zwar deßwegen, weil sich gewisse Speisen mit diesem Wasser nicht vertragen. Nichts ist irriger als diese Meinung, und es muß daher hier mit allem Nachdrucke gesagt werden: daß nicht des Karlsbader Mineralwassers wegen gewisse Speisen verboten werden, sondern einzig und allein der Krankheitszustände wegen, gegen welche es als Heilmittel anempfohlen wird. Dennoch kann ein relativ Gesunder bei dem (vorausgesetzt nicht unmäßigen) Gebrauche oder Genusse dieses Mineralwassers selbst die vermeintlich verbotenen und gefährlichsten Dinge genießen, wie eben die bereits oben erwähnte Dreizahl: Butter, rohe Früchte und Salat – letzteren als schlimmste unter den so allgemein für verpönt gehaltenen Säuren – ohne dadurch krank zu werden. Experto crede Ruperto: der Schreiber dieser Zeilen hat es mehr als einmal gethan; er trinkt seit vielleicht zwanzig Jahren täglich, im Winter und Sommer einige Becher von einem der kühleren Brunnen, gewöhnlich Schloßbrunn, und er ißt dabei täglich Butterbrod, Erdbeeren, Aepfel, Birnen, wenn es solche giebt, und häufig genug Kartoffel-, Schnittbohnen- oder Kopfsalat, ohne davon bisher den geringsten Nachtheil gehabt zu haben, und erfreut sich, obwohl schon 1808 geboren, einer leidlichen Gesundheit. Ferner ließ er seine Kinder im zartesten Alter, wenn sie verstopft waren, zu jeder Tageszeit Schloßbrunn, jedoch gewöhnlich abgekühlt trinken, wobei außer Mäßigkeit keine Veränderung in dem Genusse der Nahrungsmittel stattfand.

Wenn mithin einem Fettleibigen, der vom eigenen Fett zehren kann, der Genuß von Butter und fetten Speisen verboten wird, so geschieht dies nicht des Mineralwassers wegen, sondern weil Fett wieder Fett erzeugt, der Genuß von Fett also wieder schlecht macht, was das Mineralwasser gut gemacht hat. Oder wenn Kranken mit schwacher Verdauung oder solchen, die zu Durchfall geneigt sind, der Genuß von Obst oder Salat verboten wird, so geschieht dies wieder nicht des Mineralwassers wegen, sondern weil ein solcher Kranker mit und ohne den Genuß des Mineralwassers dergleichen Speisen vermeiden soll etc. Es ist hier nicht der Ort, in ein weiteres Detail einzugehen. Der geneigte Leser findet dieses ausführlich auseinandergesetzt in meiner oben erwähnten Monographie über Karlsbad. Nur dessen sei hier noch erwähnt, daß auch die fast allgemein verbreitete Meinung: „Jeder Curgebrauchende müsse sich hier kasteien und bis zum Schwachwerden Hunger leiden“, eine durchaus irrige ist.

Der Verfasser prakticirt in Karlsbad bereits seit dem Jahre 1834, was hier blos deßwegen gesagt wird, um darzuthun, daß er wohl berechtigt ist, über diese Vorurtheile seine Stimme abzugeben.

Es muß ausdrücklich bemerkt werden, daß das Vorstehende durchaus nicht in der Absicht geschrieben wurde, um Reclame für Karlsbad zu machen – denn der Besuch von Karlsbad ist trotz der gerügten Vorurtheile, wie aus nachstehender Zahlenangabe hervorgeht, ein sehr starker und hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt: im Jahre 1865 betrug die Anzahl der Curparteien (Familien) 7,969, im Jahre 1875 dagegen 15,642 Parteien – sondern einzig und allein in der Absicht, das Gemüth der durch diese unbegreiflichen Vorurtheile ängstlich gemachten Kranken, welchen der Gebrauch der Karlsbader Mineralwässer anempfohlen wurde, zu beruhigen.




Ein blinder Schauspieler.


Es mag Sänger und Dichter, mag Lehrer und Gelehrte geben, welche, der edelsten Himmelsgabe, des Augenlichtes beraubt, gleichwohl in ihrem Berufe zu wirken fortfahren und in ihren Werken die Spuren ihres herben Geschickes nicht ahnen lassen. Lehrt doch die Erfahrung, daß der Verlust des äußeren leiblichen Auges meist sogar dazu beiträgt, das innere geistige Auge zu schärfen. Die Phantasie, ungehemmt durch die Eindrücke der sinnlichen Welt, gewinnt an Regsamkeit, das Gedächtniß an Kraft.

Eine Erscheinung dagegen einzig in ihrer Art dürfte sich in einem Schauspieler darbieten, der seinem künstlerischen Berufe, dessen Ausübung, wie man glauben sollte, durch den Besitz gerade der Sehkraft unerläßlich bedingt ist, nach seiner völligen Erblindung auch ferner erfolgreich gedient hat und gegenwärtig noch dient. Die deutsche Bühne besitzt eine solche Erscheinung in dem herzoglich meiningen’schen Hofschauspieler Joseph Weilenbeck.

Kurz vor Beginn des ersten Berliner Gastspiels der Gesellschaft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 804. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_804.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)