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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


uns. Rechne es mir nicht an, wenn ich Dich in den bittersten Stunden Deines Lebens allein ließ!“

Die Fürstin hatte schweigend zugehört, ohne ihn zu unterbrechen, aber ihre Lippen zuckten wie im inneren Krampfe, als sie antwortete:

„Wenn ich Deinen Bruder mehr geliebt habe als Dich, so habe ich ihn auch verlieren müssen, und wie verlieren! Daß er fiel, hätte ich ertragen, ich sandte ihn ja selbst hinaus in den Kampf für sein Vaterland, daß er so fallen mußte –“ die Stimme versagte ihr; sie rang nach Athem, und es dauerte einige Secunden, ehe sie fortfahren konnte. „Ich habe meinen Leo gehen lassen, ohne ein Wort der Verzeihung, ohne das letzte Lebewohl, um das er auf den Knieen flehte, und an demselben Tage legten sie ihn mit durchschossener Brust zu meinen Füßen. Das Einzige, was ich noch von ihm habe, sein Andenken, ist mir auf ewig verknüpft mit jener unglückseligen That, welche die Unserigen in’s Verderben riß. Die Sache meines Volkes ist verloren; mein Bruder geht einem Schicksale entgegen, das schlimmer ist als der Tod; Wanda folgt ihm – ich stehe ganz allein. Ich dächte, Waldemar, Du könntest zufrieden sein mit der Art, wie das Schicksal Dich gerächt hat.“

(Fortsetzung folgt.)




Die Chemie des Himmels.
Ein Vortrag von Dr. M. Wilhelm Meyer.
I.


Blicken wir nächtlich zum sternbesäeten Himmel auf, sehen wir die funkelnden Weltlichter in stillem feierlichem Zuge über uns hinschweben und übersinnen wir dabei, daß jedes dieser Tausende und aber Tausende von leuchtenden Pünktchen eine Welt darstellt, so groß, daß unsere Erde dagegen gänzlich verschwindet, so überkommt wohl Manchen unter uns ein Zweifel über die Aussagen der Astronomen und gießt Unmuth in die erhabene Stimmung, in welche uns dieser Gedanke versetzt hatte. Dem Fassungsvermögen des Menschen sind Schranken gesetzt, und was außerhalb derselben liegt, muß nothwendig seinen Zweifel erregen, so lange er an die Erscheinungen nur mit dem Urtheile seiner Sinne geht. Dagegen kann der menschliche Verstand durch Combination auf Combination sich in Regionen emporschwingen, Dinge als vorhanden nachweisen und über sie reflectiren, welche sich unseren Sinnen gar nicht darbieten, ja er kann selbst das Urtheil der Sinne widerlegen und corrigiren. So hat die wissenschaftliche Forschung uns bewiesen, daß diese Himmelslichter, welche allnächtlich in ebenmäßigen Bahnen denselben Weg am Himmel gehen und deshalb scheinbar alle gleich weit von uns entfernt zu sein scheinen, in der That sehr verschiedene und so enorm große Abstände besitzen, daß unsere Sinne weit entfernt sind, uns eine Vorstellung davon geben zu können. Und mehr noch als das: wir sind im Stande, für einige unter diesen Sternen die Entfernung von uns mit relativ großer Genauigkeit anzugeben, selbst die Masse von wenigen zu beziffern und ihre anziehende Kraft auf in ihrer Nähe befindliche Sternchen rechnend derart zu beherrschen, daß wir die von ihr bewirkten Bewegungen für viele Jahrzehnte genau voraussagen. Wir wissen z. B., daß der Sirius, jener helle Stern in der Nähe der prachtvollen Constellation des Orion, so weit von uns entfernt steht, daß sein Licht, obgleich es in einer Secunde mehr als vierzigtausend geographische Meilen zurücklegt, circa siebenzehn Jahre gebraucht, um den zwischen ihm und uns liegenden Raum zu durchfliegen; wir sehen deshalb den Sirius augenblicklich so, wie er im Jahre 1859 ausgesehen hat, weil der Lichtstrahl, welcher uns jetzt den Eindruck von ihm im Auge hervorbringt, diesen Stern schon in jenem Jahre verlassen hat. Wir wissen ferner, daß seine Masse die der Sonne vierzehn Mal übertrifft. Bedenken wir dabei, daß all diese Aufschlüsse aus Bewegungen eines absoluten Lichtpünktchens folgen, die nur dem schärfsten Instrumente bemerkbar sind, daß eben nur allein dieser flimmernde Lichtstrahl, der für uns die einzige Verbindung mit ihm ist, so ausführliche Kunde von fernsten Welten zu geben vermag, so müssen wir billig staunen, sei es über die bedeutenden Errungenschaften der Astronomie, sei es über die wunderbaren Einrichtungen des Weltalls, welche es uns zulassen, so scharfe Einblicke in seine größten Tiefen zu thun.

Das Licht aber weiß uns nicht allein davon Kunde zu geben, daß in jenen entlegensten Regionen dieselben Gesetze der Masse, welche ihre Bewegung bewirken, herrschen; es hat auch die Eigenschaft uns mitzutheilen, welche chemische Zusammensetzung die Masse besitzt, von deren Fernwirkung es uns erzählt hat. Jedes dieser kleinsten, für das bloße Auge fast verschwindenden Lichter sagt uns nicht nur, von welchen chemischen Stoffen es herrührt, sondern selbst, ob diese in glühend festem oder flüssigem, oder ob sie in gasförmigem Zustande sind, ja sogar ob die Lichtquelle von einer Dunstsphäre umgeben ist, die im vorzüglichsten Teleskope unsichtbar bleiben mag. Solch ein Wunder sehen Sie in jedem flimmernden Sternchen.

Aber diesen strahlenden Boten hat man erst in ganz jüngster Zeit verstehen lernen und ist seitdem unaufhörlich beschäftigt, seine Nachrichten zu entziffern. Ihr Studium nennt man die Spectral-Analyse des Himmels, welche in weniger denn fünfzehn Jahren weittragende Erfolge für die Kenntniß des Fixsterngewölbes errungen hat. Und ist es nicht in der That unbegreiflich, wie in einem einzigen, dem bloßen Auge selbst verschwindenden Lichtstrahle so viele sich nach jedem chemischen Stoffe modificirende Eigenschaften enthalten sind, daß man durch ihn allein über die physische Beschaffenheit von Körpern aufgeklärt wird, deren Entfernung von unserm Standorte wir nicht mehr zu messen im Stande sind? Es steht fest, daß es noch im Anfang unseres Jahrhunderts keinen Forscher gegeben hätte, der diesen Ausspruch nicht als das Märchen eines überschwänglichen Hypothesenschmiedes verlacht haben würde. Ich will Ihnen im Folgenden die wichtigsten Eigenschaften des Spectroskops, durch welches man jene Lichtkunden entziffert, erklären, um Ihnen dann von den überraschenden Aufschlüssen zu erzählen, die es uns über die Beschaffenheit unseres Sonnensystems bereits geben konnte. Für ein nachfolgendes Capitel behalte ich mir vor, Ihnen die Resultate faßlich vorzulegen, welche die Analyse der Fixsterne, dieser fern her strahlenden Schwestern unserer Weltmutter, darbot.

Der alles erquickende weiße Lichtstrahl, welcher uns von der Sonne zugesendet wird und dessen Wirkung uns die Erde so schön erscheinen läßt, ist keineswegs so einfach, wie er uns vorkommt. Es müssen in ihm offenbar alle Farben vorhanden sein welche wir überhaupt wahrnehmen, denn diese grünen Bäume, die braunrothen Klippen, all diese vielfarbigen Edelsteine sind doch nicht selbstleuchtend und tragen ihre Farben ohne Zweifel nicht in sich selbst, weil sie ja dieselben sonst auch im Dunkeln beibehalten müßten. Erst dadurch, daß weißes Licht auf sie fällt, nehmen sie ihre eigenthümliche Farbe an. Daß dieses wirklich so ist, daß nämlich jeder weiße Strahl alle möglichen Farben in sich vereinigt, wies schon Newton durch ein sehr einfaches Experiment nach, das vor ihm schon alle Kinder im Spiel ausgeführt hatten, welche durch einen dreikantig zugeschliffenen Glasstreifen alles mit den schönsten farbigen Rändern umgeben sahen. Der englische Mathematiker ließ einen Sonnenstrahl durch ein solches Prisma fallen und nahm wahr, daß das Licht, welches weiß in das Glas eingedrungen war, sich hinter demselben ausbreitete und in alle denkbaren Farben auflöste. Er erkannte daraus also, daß ein einziger weißer Strahl aus unzähligen farbigen zusammengesetzt ist, die aber, zugleich auf unser Auge eindringend, ihre Farbenwirkung gegenseitig paralysiren. Ein Prisma nun besitzt wie jeder durchsichtige Körper die Eigenschaft, die Lichtstrahlen von ihrem geraden Wege abzulenken, das heißt sie zu brechen. Die Brechbarkeit jeder einzelnen Farbe des weißen Lichtstrahls ist aber verschieden von jeder andern, so daß jede derselben das Prisma unter einem anderen Winkel verläßt. Sie sehen, daß es uns alle Farben des weißen Lichts einzeln vor Augen stellt, indem es eine Scheibe aus weißem Lichte zu einem allfarbigen Streifen fächerartig ausbreitet. Diese

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_822.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)