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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 50.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.   Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Es lag etwas Furchtbares in der Klanglosigleit der Stimme, in der Starrheit der Züge der Fürstin; es war ergreifender als der Ausbruch des wildesten Schmerzes. Auch Waldemar vermochte nicht sich diesem Eindruck zu entziehen, er beugte sich zu ihr nieder.

„Mutter,“ sagte er bedeutsam, „noch ist der Graf in seinem Vaterlande, und noch ist Wanda hier. Sie hat mir heute unbewußt selbst den Weg gezeigt, auf dem sie allein noch zu gewinnen ist. Ich werde ihn gehen.“

Die Fürstin schreckte empor. Ihr Blick suchte mit banger, angstvoller Frage den seinigen – sie las die Antwort darin.

„Du wolltest versuchen –?“

„Was Ihr versucht habt. Ihr seid daran gescheitert – ich weiß es – vielleicht gelingt es mir.“

In dem Antlitz der Fürstin schien es wie ein Hoffnungsstrahl aufzuflammen aber er erlosch sofort wieder – sie schüttelte den Kopf.

„Nein, nein, das unternimm nicht! Es ist vergebens. Und wenn ich Dir das sage, wirst Du wohl überzeugt sein, daß versucht worden ist, was nur im Bereiche der Möglichkeit lag. Wir haben Alles aufgeboten und Alles umsonst. Pawlick hat seine Treue mit dem Leben bezahlt.“

„Pawlick war ein Greis,“ versetzte Waldemar, „und überdies eine vorsichtige, ängstliche Natur. Er besaß wohl Aufopferung genug, aber nicht die nöthige Umsicht, nicht im entscheidenden Augenblick die nöthige Tollkühnheit. So etwas erfordert Jugend, Verwegenheit und vor allen Dingen ein volles persönliches Eintreten.“

„Und die vollste persönliche Gefahr! Wir haben es erfahren, wie sie dort drüben Grenzen und Gefangene bewachen. Waldemar, soll ich auch Dich noch verlieren?“

Waldemar sah sie erstaunt und befremdet bei den letzten Worten an, die wie ein Aufschrei des Schmerzes klangen, aber trotzdem flammte eine helle Röthe in seinem Gesichte auf.

„Es gilt die Freiheit Deines Bruders,“ erinnerte er.

„Bronislaw ist nicht mehr zu retten,“ sagte die Fürstin hoffnungslos. „Setze Dein Leben nicht auch noch an unsere verlorene Sache! Sie hat genug Opfer gekostet. Denke an Pawlick’s Schicksal, an den Fall Deines Bruders!“ Sie ergriff seine Hand und schloß sie fest in die ihrige. „Ich lasse Dich nicht fort. Es war Vermessenheit, wenn ich vorhin sagte, ich hätte nichts mehr zu verlieren; in diesem Augenblicke fühle ich, daß mir doch noch Eins geblieben ist. Ich will mein letztes, mein einziges Kind nicht auch noch hingeben – geh’ nicht, mein Sohn! Deine Mutter bittet Dich darum.“

Das war endlich der Ton, die Sprache des Mutterherzens, die Waldemar noch nie von diesen Lippen gehört hatte. Auch für die stolze, willensstarke Frau war die Stunde gekommen, wo sie Alles um sich zusammenbrechen sah und sich verzweiflungsvoll an das Einzige klammerte, welches das Schicksal ihr noch gelassen hatte. Der verstoßene, zurückgesetzte Sohn trat endlich in seine Rechte; freilich hatte sich erst das Grab für seinen Bruder öffnen müssen, um ihn in diese Rechte einzusetzen.

Eine andere Mutter und ein anderer Sohn wären sich jetzt wohl in die Arme gesunken, um in aufwallender Zärtlichkeit die lange, tiefe Entfremdung zu vergessen. Diese beiden Naturen waren zu hart und in ihrer Härte einander zu ähnlich, als daß sie sich so schnell hätten wiederfinden sollen. Waldemar sprach kein Wort, aber er zog – zum ersten Male in seinem Leben – die Hand der Mutter an seine Lippen, die lange und fest darauf ruhten.

„Du bleibst?“ bat die Fürstin.

Er richtete sich empor. Die helle Röthe lag noch auf seinem Gesichte, aber die wenigen Minuten hatten es völlig umgewandelt. Groll und Bitterkeit waren verschwunden; es leuchtete wohl noch Trotz daraus hervor, aber ein freudiger, siegesgewisser Trotz, der bereit ist, das Schicksal in die Schranken zu fordern.

„Nein,“ entgegnete er, „ich gehe. Aber ich danke Dir für diese Worte – sie machen mir das Wagniß leicht. Ihr habt mich von jeher als Euren Feind betrachtet, weil ich zu Euren Plänen nicht die Hand bot, ich konnte und kann das auch jetzt nicht, aber den Grafen einem unmenschlichen Urtheilsspruche zu entreißen, verbietet mir nichts. Ich will es wenigstens versuchen, und wenn irgend einer, so vollbringe ich es. Du kennst den Sporn, der mich treibt.“

Die Fürstin gab ihren Widerstand auf – sie konnte dieser Zuversicht gegenüber nicht ganz hoffnungslos bleiben.

„Und Wanda?“ fragte sie.

„Sie hat mir heute gesagt: ‚Wenn mein Vater frei wäre, ich würde den Muth finden, Allem zu trotzen, um Deinetwillen.‘ Sage ihr, ich würde sie vielleicht einst an diese Worte erinnern! Und nun frage mich nicht weiter, Mutter! Du weißt es ja, ich muß allein handeln, denn nur ich stehe außer Verdacht; Ihr seid beargwohnt und beobachtet. Jeder Schritt, den Ihr thut,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 833. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_833.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)