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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


zu den Hottentotten gehört hätte! Aber nun grämt er sich Tag für Tag über das vermeintliche Unglück seines lieben Waldemar und bildet sich im vollen Ernste ein, dieser habe ein Herz wie andere Menschen, was ich entschieden nicht glaube.“

„Gretchen!“ sagte der Professor zum zweiten Male, diesmal mit einem Versuche streng auszusehen, der ihm aber vollständig mißglückte.

„Entschieden nicht!“ wiederholte die junge Frau. „Wenn Jemand Herzenskummer hat, so zeigt er das doch auf irgend eine Weise. Herr Nordeck wirthschaftet ja in Wilicza herum, daß ganz L. die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, und als er bei unserer Hochzeit meinen Brautführer machte, war ihm auch nicht das Geringste anzusehen.“

„Ich habe es Dir schon einmal gesagt, daß die Verschlossenheit ein Hauptzug in Waldemar’s Charakter ist,“ erklärte Fabian. „Er könnte zu Grunde gehen an dieser Leidenschaft; fremden Augen würde er sie nie zeigen.“

„Ein Mensch, dem man die unglückliche Liebe nicht einmal ansieht, hat kein tiefes Gefühl,“ beharrte Gretchen. „Dir sah man sie auf zehn Schritte an. Du gingst in den letzten Wochen vor unserer Verlobung, als Du noch glaubtest, daß ich den Assessor heirathen würde, mit einem Jammergesichte umher. Ich hatte tiefes Mitleid mit Dir, aber Du warst in Deiner Schüchternheit ja zu keiner Erklärung zu bringen.“

Der Administrator hatte sich an dem letzten Gespräche gar nicht betheiligt, sondern angelegentlich auf die Bäume am Wege geblickt. Der Weg, der eine kurze Strecke am Rande des Flusses hinführte, begann hier sehr schlecht zu werden. Die Beschädigungen, welche das jüngste Hochwasser angerichtet, waren noch nicht wieder ausgebessert, und die Fahrt über den halb zerrissenen und unterwühlten Uferdamm konnte immerhin für bedenklich gelten. Frank behauptete zwar, die Sache habe keine Gefahr, er habe die Stelle erst auf der Hinfahrt passirt, aber Gretchen traute der Versicherung nicht recht. Sie zog es vor, auszusteigen und die kurze Strecke bis zur nahegelegenen Brücke zu Fuß zu gehen. Die beiden Herren folgten ihrem Beispiele; alle Drei schlugen den höher gelegenen Fußpfad ein, während der Wagen unten auf dem Uferdamme langsam nachfuhr.

Sie waren nicht die einzigen Bedenklichen; von der Brücke her kam ein anderer Wagen, dessen Insasse die gleichen Befürchtungen zu hegen schien. Er ließ halten und stieg ebenfalls aus, gerade in dem Augenblicke, wo Frank mit den Seinigen anlangte, und diese fanden sich urplötzlich dem Herrn Assessor Hubert gegenüber.

Die unerwartete Begegnung rief auf beiden Seiten eine peinliche Verlegenheit hervor. Man hatte sich nicht wieder gesprochen seit jenem Tage, wo der Assessor, wüthend über die eben geschlossene Verlobung, aus dem Hause stürzte, und der Administrator ihm, in der Meinung, er habe den Verstand verloren, seinen Inspector nachschickte. Man war aber doch zu lange befreundet gewesen, um jetzt so völlig fremd an einander vorüber zu gehen – das fühlten beide Theile. Frank war der Erste, der sich faßte und das beste Auskunftsmittel ergriff; er trat, als sei nichts geschehen, auf den Assessor zu, bot ihm in der alten freundschaftlichen Weise die Hand und sprach sein Vergnügen aus, ihn endlich einmal wieder zu sehen.

Der Assessor stand in steifer Haltung da, schwarz gekleidet vom Kopfe bis zu den Füßen. Er trug einen schwarzen Kreppflor um den Hut, einen zweiten um den Arm. Die Berühmtheit der Familie wurde gebührend betrauert, aber die Erbschaft schien doch einigen Balsam in das Herz des trauernden Neffen geträufelt zu haben, denn er sah nichts weniger als verzweifelt aus. Es lag heute überhaupt ein eigener Ausdruck in seinem Gesichte, eine erhabene Selbstzufriedenheit, eine stille Größe; er schien in der Stimmung, aller Welt zu verzeihen, mit aller Welt Frieden zu machen, und so ergriff er denn auch nach kurzem Zögern die dargebotene Hand und erwiderte einige höfliche Worte.

Der Professor und Gretchen traten jetzt auch heran. Hubert warf einen Blick düsteren Vorwurfs auf die junge Frau, die in ihrem Reisehütchen mit dem wehenden Schleier allerdings reizend genug aussah, um in dem Herzen ihres früheren Anbeters ein schmerzliches Gefühl zu wecken, und verneigte sich vor ihr, dann aber wandte er sich zu Fabian.

„Herr Professor,“ sagte er feierlich, „Sie haben den großen Verlust mitempfunden, den unsere Familie und mit ihr die gesammte Wissenschaft erlitten hat. Der Brief, den Sie meinem Onkel schrieben, überzeugte ihn freilich längst, daß Sie unschuldig waren an der gegen ihn in’s Werk gesetzten Intrigue, daß Sie wenigstens seine großen Verdienste neidlos anerkannten. Er hat mir selbst diese Ueberzeugung ausgesprochen und Ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Der schöne Nachruf, den Sie ihm widmeten, giebt Ihnen das ehrenvollste Zeugniß und ist den Hinterbliebenen ein Trost gewesen. Ich danke Ihnen im Namen der Familie.“

Fabian drückte herzlich die aus freien Stücken dargebotene Hand des Sprechenden. Die Feindschaft seines Vorgängers und der Groll des Assessors hatten schwer auf seiner Seele gelegen, so unschuldig er auch an der Beiden widerfahrenen Kränkung gewesen war. Er condolirte dem betrübten Neffen mit aufrichtiger Theilnahme.

„Ja, wir haben auf der Universität den Verlust des Professor Schwarz auch tief beklagt,“ sagte Gretchen, und war gewissenlos genug, eine ausführliche Beileidsbezeigung über den Tod des Mannes hinzuzufügen, denn sie gründlich verabscheut hatte, ohne ihn zu kennen, und dem sie seine Kritik der „Geschichte des Germanenthums“ noch im Grabe nicht vergeben konnte.

„Und Sie haben wirklich Ihre Entlassung genommen?“ fragte jetzt der Administrator, zu einem anderen Thema übergehend. „Sie verlassen den Staatsdienst, Herr Assessor?“

„In acht Tagen,“ bestätigte Hubert. „Aber hinsichtlich des Titels, den Sie mir geben, Herr Frank, möchte ich mir doch eine kleine Correctur erlauben. Ich –“ er machte wieder eine Kunstpause, weit länger, als sie damals seiner Liebeserklärung voranging, und sah die Anwesenden der Reihe nach an, als wolle er sie auf etwas Großes vorbereiten, dann athmete er tief auf und vollendete, während ein Lächeln unendlicher Wonne sein Antlitz verklärte – „ich bin seit gestern Regierungsrath.“

„Gott sei Dank, endlich!“ sagte Gretchen halblaut, während ihr Gatte sie erschrocken am Arme zupfte, um sie von weiteren Unvorsichtigkeiten abzuhalten. Zum Glücke hatte Hubert den Ausruf nicht gehört; er empfing mit einer Würde, welche der Größe des Momentes entsprach, die Gratulation Frank’s und gleich darauf die Glückwünsche des Ehepaares. Jetzt freilich war seine versöhnliche Stimmung erklärt. Der neue Regierungsrath stand hoch über allen Beleidigungen, die der ehemalige Assessor erfahren. Er verzieh Allen, sogar dem Staate, der ihn so lange verkannt hatte.

„Die Beförderung ändert freilich nichts an meinem Entschlusse,“ nahm er wieder das Wort, und es fiel ihm nicht entfernt ein, daß er sie einzig und allein diesem Entschlusse verdankte. „Der Staat erkennt es bisweilen zu spät, was er an seinen Dienern hat, aber der Würfel ist jetzt einmal gefallen. Ich versehe natürlich noch die Functionen meiner früheren Stellung, und man hat mir noch in der letzten Woche meiner Amtsthätigkeit einen wichtigen Auftrag anvertraut. Ich bin im Begriffe nach W. zu reisen.“

„Ueber die Grenze?“ fragte Fabian erstaunt.

„Allerdings! Ich habe Rücksprache mit den dortigen Behörden zu nehmen wegen Ergreifung und Auslieferung eines Hochverräthers.“

Gretchen warf ihrem Manne einen Blick zu, der deutlich sagte: da fängt er schon wieder an! Auch der Regierungrath hilft nicht dagegen. Frank aber war auf einmal aufmerksam geworden, verbarg das jedoch unter dem gleichgültigsten Tone, mit dem er die Worte hinwarf:

„Ich denke, der Aufstand ist zu Ende.“

„Aber die Verschwörungen dauern fort,“ rief Hubert eifrig. „Davon haben wir jetzt wieder ein eclatantes Beispiel. Sie wissen es wohl noch nicht, daß der Führer, die Seele der ganzen Revolution, Graf Morynski, entkommen ist?“

Fabian und seine Frau fuhren in lebhaftester Ueberraschung auf, während der Administrator ruhig sagte. „Es ist wohl nicht möglich.“

Der neue Regierungsrath zuckte die Achseln. „Es ist leider kein Geheimniß mehr; man spricht bereits in L. davon. Wilicza

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 835. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_835.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)