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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Michael Nikolajewitsch, Großfürst von Rußland.
Statthalter und Befehlshaber der russischen Armee in Kaukasien.
Nach einem Oelbilde in Tiflis.



Die pneumatische Brief-Beförderung in Berlin.

Man thut gewiß Unrecht, wenn man unsere Zeit für so nüchtern und prosaisch hält, wie dies allgemein geschieht. Allerdings glauben wir nicht mehr an die Märchen und Fabeln der Vergangenheit, zweifeln wir an den Wundern und Erscheinungen der alten Götterlehre. Dafür thut die Gegenwart selbst die größten Wunder und verwirklicht in ihren Schöpfungen die Mythen und Sagen der Völkerpoesie. Der mächtige Zauberer Dampf kann sich an Kraft und Stärke mit den Riesen und Titanen messen. Wie Hercules verrichtet er die schwersten Arbeiten, indem er ungeheure Lasten hebt und die unglaublichsten Thaten vollbringt. Das Märchen von den Siebenmeilen-Stiefeln ist längst kein Märchen mehr, wie jede Lokomotive zeigt. Der Vogel Greif und Dr. Faust’s Mantel, mit dem er durch die Lüfte flog, sind durch den Luftballon zur Wahrheit geworden. Mit dem Teleskop sehen wir viele Meilen weit, mit der Armstrong-Kanone schießen wir nach dem fernsten Ziele. Nicht der Glaube, sondern die Wissenschaft versetzt Berge und trocknet Meere aus. Die Chemie verwandelt schmutzige Kohlen in helles Licht und glänzende Farben; die Physik benutzt den elektrischen Funken zum Boten des Gedankens und trägt mit der Schnelligkeit des Blitzes eine Nachricht von einem Ende der Welt zum andern.

Ein solches neues Wunder ist auch die pneumatische Briefbeförderung, welche in jüngster Zeit zunächst für Berlin in’s Leben getreten ist, nachdem diese Einrichtung sich bereits in London, Paris und Wien bewährt hat.[1] Es handelt sich dabei um die Beförderung von Briefen durch den Druck der Luft mit

  1. Schon im Jahrgange 1863, Nr. 8 der „Gartenlaube“ haben wir darauf hingewiesen, daß Joseph Ressel, der Erfinder des Schraubendampfers, in ebenso früher Zeit, vor mehr als fünfzig Jahren, auch „die atmosphärische Briefpost“ erfunden hat. In der „Festschrift zur Enthüllungsfeier des Ressel-Denkmals in Wien“ beschreibt Dr. Edmund Reitlinger dieselbe so: „Zwischen zwei Stationen sind eiserne Röhren gezogen, an deren beiden Enden zwei Luftpumpen angebracht sind, die abwechselnd arbeiten. Wird durch eine derselben die Luft im Rohre verdünnt, so treibt der äußere Luftdruck die Packete vom anderen Ende herbei. Diese wandern so von Station zu Station.“ – Man kann sich denken, mit welchem Kopfschütteln diese Erfindung von all den hochmögenden Personen aufgenommen wurde, welche schon vor dem Modell der Schiffsschraube hohnlachend gefragt hatten. „Will er denn das Meer anbohren?“ –
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 861. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_861.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)