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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


den Nebenraum. Hier bemerkte er Zehren, welcher sich erhoben hatte. Er nickte ihm freundlich zu und ging um die Tafel zu dessen Stuhl hin.

„Hast Du den Doctor Urban nicht mitgebracht, Karl? fragte Zehren, der noch immer etwas verstört aussah. „Seid Ihr nicht die Zeit her zusammen gewesen?

„Er hatte dem Commerzienrath Seyboldt versprochen, heute Abend mit ihm der Union einen Besuch abzustatten; vielleicht daß er später nachkommt,“ bedeutete ihn jener in der gewohnten Lippensprache.

„Ich habe Unglück gehabt, wenn ich es so nennen soll. Du mußt es wissen; vielleicht erfahre ich durch Dich, was die ganze Sache zu bedeuten hat. Urban hat mir diesen Nachmittag eine Warnung vor dem Commissar Donner auf meine Tafel geschrieben und nun sage, wer ist dieser Polizeibeamte da?“ und damit winkte Zehren mit den Augen zu dem Commissar hinüber.

Karl Hornemann nickte fast unmerklich und flüsterte dessen Namen, indem er sein Gegenüber mit Spannung betrachtete.

„Nun,“ fuhr Zehren heftig fort, „vorhin redet mich derselbe Mensch plötzlich an; ich reiche ihm, wie ich bei Fremden gewöhnt bin, meine Tafel, und – er liest die Worte.“

Die Augen des Pascha schweiften unsicher durch den Raum vor ihm, und nur der heftige Druck, mit dem er Zehren's Arm ergriffen hatte, verrieth, daß ihn dessen Mittheilung beschäftigte. Endlich gab er demselben einen Wink, der verstanden wurde. Franz Zehren nahm wieder die Tafel unterm Rocke hervor, und Karl Hornemann schrieb mit wunderlich krausen, aber sehr deutlichen Schriftzügen darauf: „Wenn Dir etwas passirt, schicke sofort einen Boten an mich! Uebrigens mache Dir keine Sorge!" Er wartete, bis der Andere die Worte gelesen hatte, dann fuhr er mit dem Finger darüber, bis er die Ueberzeugung gewonnen, daß kein Buchstabe mehr lesbar sei. Eben verschwanden die beiden Fremden in der Thür, die der Wirth geräuschlos hinter ihnen schloß, während zugleich sein Auge Karl Hornemann suchte. Dieser lehnte zerstreut die Einladung Zehren's, sich zu setzen, ab.

„Warum hast Du mich eigentlich wieder in dieses merkwürdige Gemisch von Leuten geführt, unter denen ich Verschiedenen durchaus nicht zu begegnen Lust habe? Da hinten sehe ich z. B. einen von den Leuten des Commerzienrathes, der mir in innerster Seele fatal ist. Er macht auf mich durchaus den Eindruck der Rohheit und Heimtücke. Ich verkehre, offen gestanden, viel lieber in der Union, und ich kann mir Deine Anwesenheit hier nur aus nachbarlichen Gründen erklären.

Karl Hornemann sah ihn mit seinen ruhigen, stillen Augen an und schob sein Käppchen etwas weiter die hohe Stirn hinauf. „Es thut mir leid,“ schrieb er auf die Tafel des Tauben, „daß ich mich Dir im Augenblicke nicht so widmen kann, wie ich wollte. Es sind hier Fremde, mit denen ich dringend zu reden habe. Ich werde Dir aber Gesellschaft holen; einen Augenblick Entschuldigung!“ – und er ging an einen Tisch, an dem Whist gespielt wurde, und sprach zu einem kleinen, grauköpfigen Herrn mit echtem Geheimrathsgesichte wenige Worte, welche diesen veranlaßten, die Karten bei Seite zu legen und ihm zu folgen. Karl Hornemann nahm abermals Stift und Tafel und schrieb auf die letztere: „Abraham Swering, unser neuer amerikanischer Consul –“

Zehren verneigte sich tief, und der Pascha schritt, die beiden Männer sich selbst überlassend, an dem Wirthe vorbei. „Im Jenny-Lind-Zimmer,“ flüsterte der, worauf jener hinaus ging und treppaufwärts stieg.

Das Jenny-Lind-Zimmer hatte seinen Namen zum Andenken daran erhalten, daß die schwedische Nachtigall es bei einem Besuche der Stadt bewohnt hatte; es war selbstverständlich das Prunkzimmer des Wiedenhofs. Es hatte eine Fülle von soliden alten Möbeln aufzuweisen, worunter sich die Sitzmöbel durch auffallend hohe Polsterung und helle, großblumige Kattunüberzüge auszeichneten; in einem ähnlichen Muster waren auch die Tapeten gehalten; die Dielen waren mit dicken Teppichen belegt. Weiße, breite, auf dem Boden schleppende Gardinen vervollständigten den altväterisch-pompösen Eindruck dieser Räumlichkeit.

Als Karl Hornemann eintrat, waren sämmtliche Gardinen zurückgeschlagen und die Fenster geöffnet. Auf dem Tische brannten ein Paar gewaltiger silberner Armleuchter. Der Hüne lag der Länge nach auf dem Sopha, und seine hohen, nicht sehr saubern Ungarstiefeln verriethen wenig Pietät vor der großen Erinnerung, der dieses Zimmer geweiht war, denn sie bohrten sich rücksichtslos in die eine Sophalehne. Der kleinere, dunkelfarbige Begleiter schien auf einem Spaziergange durch die Stube begriffen zu sein, wobei er die Hände auf dem Rücken zusammengelegt hielt.

„Hurrah!“ schrie der auf dem Sopha, indem er aus seiner Lage aufsprang und Karl Hornemann um den Hals fiel, denselben herzhaft abküssend. „Alter Junge, was machst Du für eine verdammte Geheimthuerei, wenn unsereiner einmal hier in Euer Krämernest einfällt! Ich denke, Ihr habt hier das gelobte Land, weil Euch die Tyrannenknechte selber die Stange halten? He? oder sind unsere Nachrichten falsch?“

„Mensch, schrei' uns doch nicht die Brandspritzen vor die Thür!“ sagte der also Bewillkommnete lächelnd und warf dabei einen fragenden Blick auf den Dunkelfarbigen, den der mit Harro Angeredete indeß nicht sofort zu bemerken schien. „Wo hausest Du denn jetzt auf der Gotteswelt? Ich suchte Dich noch in Amerika.“

Der Hütte hob beide Arme auf und declamirte mit Begeisterung:

„Wenn Tyrannen fragen:
Wo ist Absalon?
Magst Du ihnen sagen,
Daß er hänge schon.
Aber nicht am Baume,
Noch an einem Strick,
Sondern an dem Traume
Einer Republik.“

Karl Hornemann lächelte wieder und sagte mit einer Handbewegung auf den Fremden zu: „Ich denke, die Herren werden gewöhnlich doch noch ein weniger luftiges Plätzchen bewohnen.“

„Ja so, ich habe Dir hier Herrn Pseudonymus Schneider mitgebracht, Geheimsecretär des großen Unbekannten in London; spricht Deutsch und ist für die Tyrannen aus Hinterpommern gebürtig, für uns hingegen aus Mailand. Karl Hornemann, Pascha und Volkstribun zugleich, ein Meerwunder.“

Der Italiener machte seine ceremoniöse Verbeugung, und seine scharfen schwarzen Augen glitten dabei prüfend über die neue Bekanntschaft hin, als wollten sie das Bild Karl Hornemann's fest in's Gedächtniß prägen. „Ich hatte bereits zweimal die Ehre, Ihnen zu schreiben,“ sagte er mit nur wenig fremdklingendem Accent.

„Kommen Sie direct von Mazzini, mein Herr – Schneider?“ fragte Karl Hornemann.

„Auf Umwegen,“ lautete die mit verbindlichem Tone gegebene Antwort, welche der Hüne in seiner derben, polternden Weise ergänzte:

„Wir haben die Pariser Clubs unsicher gemacht. Die Kerle sind feige. Mit der Zunge schlagen sie dem Satan ein Bein ab, aber wenn man sie fragt, wann die Bombe eigentlich in's Platzen kommen soll, dann ist es immer noch nicht Zeit. Die Rothen sind die Einzigen, auf die ich noch etwas gebe; wenn sie nur bessere Führer hätten. Der Louis Blanc ist ein Mordkerl, aber er fischt auch am liebsten erst, wenn Andere den Teich abgelassen haben. Diese Andern aber wollen bessern, flicken und noch einmal flicken. Sie glauben ein gutes Werk zu thun, wenn sie alle Schandthaten an's Licht ziehen, welche unter den Fittichen der Tyrannei ausgebrütet wurden, aber die große Schlafmütze des Orleanismus deckt sie wieder zu, und es bleibt doch alles beim Alten. Und diese furchtbaren Reformbankets, hahaha! – der Riese lachte, daß das Zimmer scholl – „als ob man Revolution machte, wenn man gut ißt und trinkt!“

„Und Lamartine? fragte aufmerksam Karl Hornemann.

„Geh mir mit Lamartine!“ war die wegwerfende Entgegnung. „Er hat kein Rückenmark, nicht für drei Schillinge. Ich sage Dir, Karl, er und seine Art, die rühren alles, was gesammelt einen Schlag wirken müßte, zu einem großen Brei auseinander, und der Spiritus fliegt heraus. Der Bourgeois sitzt ihnen allen in den Gliedern, und eine Philisterrepublik, wie jene sie zu Stande bringen würden, ist nicht werth, daß man sie an den Galgen hängt.“

„Du weißt, denke ich, daß ich nicht auf alle Fälle Republikaner bin, Harro. Wenn ich einen constitutionellen König haben kann, so ist er mir lieber, als der Tummelplatz für die Machtgelüste von Tausenden, den man Republik nennt.“

Der Italiener hatte bisher zugehört, ohne eine Miene zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_074.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)