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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


nicht von Dir.“ Leise aber setzte er hinzu: "So sicher also fühlt er sich seiner Zukunft, daß er jene Worte unbedenklich auf sich bezog.“

Indessen hatte eine ältliche Dienerin sich ihnen mit einer Botschaft ihrer Herrin genaht. Die gnädige Frau ließe um Entschuldigung bitten, sagte sie, daß sie nicht mehr in den Garten käme. Sie ließe den Herren gute Nacht wünschen und hoffte, sie morgen zu sehen. Auf die Frage des Arztes nach den Befinden des Kleinen berichtete sie, daß er ruhig schlafe, die gnädige Frau aber wäre von plötzlichem Kopfschmerz befallen worden und hätte sich bereits zur Ruhe begeben.

Als die beiden Männer sich dem Ausgange zuwandten, war die Nachtlampe hinter den rothen Vorhängen das einzige noch brennende Licht im Hause; alle anderen Fenster zeigten sich dunkel. Drinnen aber im Saale saß Frau Helene und blickte den beiden Gestalten nach, welche an der Gartenthür stehen geblieben waren, um Schack's Reitknecht zu erwarten, der die unruhigen Pferde langsam die Villenstraße entlang ritt. Das Mondlicht war hell genug, um die zierliche Gestalt des Arztes und die hohe, straffe, stattliche des Edelmannes deutlich in allen Bewegungen erkennbar zu machen. Als sie ihnen nachschaute, dachte sie daran, wie wenig sie es in ihrer Jugend geahnt hatte, daß derjenige, der damals ihr bester Freund, ihr treuester Verehrer gewesen war, ihr einst so fern stehen würde. – Sie hatte damals mit der Erkenntniß seiner Liebe, und im beglückenden Gefühl der ihrigen ihr Schicksal für unumstößlich besiegelt gehalten und war dennoch nach kaum zwei Jahren die Gattin eines andern Mannes geworden. Sie war es geworden ohne Zwang, selbst ohne Ueberredung. Es hatte genügt, daß sie diese Verbindung als sehnlichen Wunsch ihrer Eltern erkannt hatte. Wenn hier eine Schuld vorlag – war es allein die des Mannes? Hätte sie nicht noch einige Jahre ruhig hoffen, ruhig warten müssen, bis er sich zu einer Stellung emporgearbeitet haben würde, die ihm in den Augen ihrer Eltern die Berechtigung gab, sich um die Hand ihres einzigen Kindes zu bewerben? – Aber warum schwieg er? Nur wenige Worte wären genügend gewesen.

Sie riß sich schnell aus ihren Gedanken empor. Sie schienen ihr ein Unrecht gegen den verstorbenen Gatten, den Vater ihres Kindes, zu sein. Aber schon im nächsten Augenblick kam sie wieder darauf zurück, als sie den Mann beobachtete, der sich jetzt von seinem Gefährten trennte, um sein Pferd zu besteigen. Wie hatte er sich verändert! Die fast überschlanke Gestalt des Jünglings hatte sich zu der stattlichen, in voller Lebenskraft blühenden des Mannes gefestigt. In jeder seiner Bewegungen lag die unbewußte Anmuth und Kraft eines vollkommenen Ebenmaßes. Helene blickte ihm nach, wie er das ungeduldige Pferd leicht und sicher zügelte, bis die Abendnebel hinter der Gestalt zusammenschlugen und sie ihrem Blicke entzogen.

Als sie sich vom Fenster abwandte, wurde sie durch das offen auf dem Tische liegende Buch an Rosa und an die Scene erinnert, die eben zwischen ihnen stattgefunden. Heute, wie schon mehrmals vorher, hatte sie Gelegenheit gehabt, wahrzunehmen, daß sie die Liebe ihrer Stieftochter, die sich in früheren Zeiten beinahe bis zu einer vergötternden Anbetung gesteigert hatte, verloren habe. Die Ursache hiervon aufzufinden, war ihr bis jetzt nicht gelungen. Sie hatte ihre Worte und ihr Betragen Rosa gegenüber einer ernsten Prüfung unterworfen; sie fragte sich auch jetzt wieder, ob sie vielleicht im Laufe des Abends eine Aeußerung gethan, welche das junge Mädchen verletzt habe. Allein trotz allen Nachsinnens konnte sie sich auch heute von einer bewußten Schuld freisprechen und mußte sich mit der Hoffnung trösten, daß die Zeit eine Klärung des ungleichen, launenhaften Wesens herbeiführen werde. Sie gestand sich auch heute wieder, wie schon oft vorher, daß es eine schwere Aufgabe sei, eine mütterliche Autorität auszuüben und mütterliche Liebe einem Wesen entgegenzubringen, welches ein eigenes Kind weder war, noch den Jahren nach sein konnte.




Als Rosa am nächsten Morgen aus ihrem Schlafzimmer trat, fand sie, daß ihre Stiefmutter und Felix noch nicht aufgestanden waren. Die Thüren des Gartensaales standen geöffnet; der Frühstückstisch war bereit, und Diener und Stubenmädchen gingen leise ab und zu in Erfüllung ihrer täglichen Pflichten.

Langsam trat das junge Mädchen in den Garten hinaus und schritt den Mittelgang hinab, der zu der Balustrade auf dem Strandberge führte. Hier blieb sie lange stehen und blickte auf die noch immer hochgehende See hinab. Aus unabsehbarer Weite wälzten sich die Wellen heran, eine nach der andern daherkommend und eine nach der andern mit lautem Rauschen auf den Strand niederfallend. Im Scheine der hellen Morgensonne glänzten sie wie dunkelgrünes Glas, auf welchem die weißen Schäfchen – die schaumgekrönten, sich überstürzenden Häupter der Wellen – schon weithin sichtbar waren. Rosa liebte die See, vielleicht deshalb, weil eine unleugbare Aehnlichkeit zwischen derselben und ihrem eigenen leicht erregbaren Temperamente herrschte. Sie hatte einen projectirten Aufenthalt in der Strandvilla stets mit Lebhaftigkeit befürwortet; die an der See verlebten Sommerferien waren ihr stets die genußreichsten gewesen, und Helene hatte es ihr zu Liebe sowohl jetzt, seitdem sie Wittwe war, wie auch früher, während der Dauer ihrer kurzen Ehe, so einzurichten gewußt, daß fast in jedem Sommer einige Wochen für das erfrischende Seebad erübrigt worden waren. So war Rosa zu einer Vertrautheit mit dem Elemente erlangt, welche ihr beim Baden eine Kühnheit und Gewandtheit gab, die ihr eine gewisse Berühmtheit bei den Badegästen eingetragen hatten. Man ließ es sich nicht leicht entgehen, ihrem muthwilligen Spiele mit den Wellen zuzuschauen und die zugleich anmuthigen und doch kräftigen Bewegungen zu bewundern, mit denen sie sich aus den Fluthen wieder emporarbeitete, wenn sie über ihrem Haupte zusammengeschlagen waren. Ihr rosiges Gesicht tauchte dann wie das einer Nixe aus der grünen Welle empor, um sogleich wieder unter dem weißen Schaume der nächsten zu verschwinden, und daß die schöne Rosa von Malwitz selbst im kleidsamsten Ballcostüm und in der anmuthigen Bewegung des Tanzes niemals so schön und reizend sei, wie als Wassernixe im Ostseebade, war eine Ueberlieferung, die von den Ohren gläubiger Brüder und Söhne willig aus dem Munde ihrer Mütter und Schwestern empfangen wurde. –

Wie es immer zu geschehen pflegte, so wurde Rosa auch heute von dem Spiele der sich überstürzenden Wogen mehr und mehr angezogen. Ihr Temperament, das stets zum Widerstande bereit war, wurde durch diesen Anblick kampfesfreudig erregt, und mit Entzücken nahm sie wahr, wie die rothe Fahne, das Zeichen der Gefahr, vom Damenbade entfernt wurde, um der weißen Platz zu machen, die mit der Erlaubniß zum Baden ihrem Kampfesmuthe die erwünschte Befriedigung versprach. Heiter ein Liedchen vor sich hin trällernd, wandte sie sich dem Hause zu, allein je mehr sie sich demselben näherte, desto zögernder und langsamer wurden ihre Schritte. Sie fühlte sich wieder von der ganzen Last des Schmerzes bedrückt, an der sie schon seit Monaten schwer getragen und unter welcher sie nicht allein selbst gelitten, sondern auch Andere leiden gemacht hatte. Sie dachte an den Zornesausbruch, der sich gestern über ihre sanfte, milde Stiefmutter ergossen, und trotz des eifersüchtigen Grolles, den sie zu ihrer eigenen Pein schon seit Monaten in sich genährt hatte, fühlte sie ihr Unrecht dennoch tief. Ihr Zorn pflegte nach solchen Ausbrüchen stets schnell zu verfliegen, um der Reue Platz zu machen. Sie trat dann bußfertig und demüthig vor die Gekränkte hin und sprach ihr Bedauern und ihre Bitte um Vergebung mit herzlicher, rückhaltsloser Offenheit unter Thränen und Liebkosungen aus. Diese Bitte wurde zwar stets gewährt, allein Helene verhehlte es sich nicht, daß ihr diese stürmischer Versöhnungsscenen fast nicht weniger unangenehm waren, als Rosa's leidenschaftlicher Zorn, und oft hatte sie die Mahnung ausgesprochen, das junge Mädchen möge gegen die Ausbrüche ihres ungestümen Temperaments mehr auf der Hut sein. Daß ein milder Tadel ihr auch heute bevorstünde, fühlte Rosa wohl, und sie erkannte willig die Gerechtigkeit desselben an. Es war auch nicht die Unbehaglichkeit dieser Erwartung, was ihre Schritte so zögern machte; es war das plötzlich sich ihr wieder aufdrängende Bewußtsein des gestörten innigen Verhältnisses, das Bewußtsein, daß sie nicht nur eine Ueberflüssige im Hause ihrer Stiefmutter sei, sondern daß man sie selbst als ein Hinderniß betrachte, das sich zwischen Helene und einen neuen Ehebund schiebe. Sie hatte ähnliche Andeutungen von Helenens Mutter, einer stolzen, kalten Dame, hören müssen, und seit jener Zeit war es geschehen, daß sie ihre harmlose Heiterkeit verloren und mit scharfem, spähendem Blicke um sich geschaut hatte. Welch eine Heirath es sei, die man für Helene

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_080.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)