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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Strengste bewacht und Jeder niedergeschossen, der sich derselben zu nähern wagte. Am dritten Tage sandten die Belagerten zwei hübsch mit weißen Kleidern angezogene kleine Mädchen mit Trinkgefäßen nach der Quelle, in dem Wahne, daß der Feind die unschuldigen Kinder nicht belästigen werde. Trügerische Hoffnung! Die Wilden kannten kein Erbarmen und schossen hohnlachend die Kleinen an der Quelle zusammen. Als Lee unter der Parlamentärflagge mit den Emigranten unterhandelte, heuchelte er die tiefste Freundschaft für dieselben und versprach ihnen hoch und heilig, daß er sie gegen die Indianer schützen werde, wenn sie den Vertrag annehmen wollten. Er würde sie unter dem Schutze der Miliz nach der nächsten Mormonenniederlassung geleiten und dort mit dem Nöthigen versorgen, sodaß sie ihre Reise nach Californien fortzusetzen vermöchten.

Auf sein Wort bauend, legten die Emigranten die Waffen nieder und ein weiß gekleidetes junges Mädchen wurde aus der Wagenburg in’s Freie gesandt, um als Zeichen zu dienen, daß die Friedensbedingungen angenommen seien. Als die Emigranten, von der Mormonenmiliz escortirt, etwa eine halbe englische Meile vom Lager entfernt waren, wurde der Befehl gegeben, anzuhalten. Dies war das mit den Indianern verabredete Zeichen zur Metzelei, welche nun in ihrer ganzen Scheußlichkeit begann. Die Männer wurden niedergeschossen und scalpirt und aller Kleider beraubt, welche sich die Wilden zueigneten; den Frauen riß man die Gewänder in Fetzen vom Leibe, ehe sie ermordet wurden. Die von den Mormonen und Indianern an jener Schauerstätte verübten Schandthaten entziehen sich durch ihre Gräßlichkeit einer genaueren Besprechung. Man denke sich das grauenhafte Bild der ihre blutigen Scalpirmesser schwingenden Wilden, das Hohnlachen der entmenschten Miliz, den Hülferuf, das Jammern der verrathenen Emigranten! Nackt, mit durchgeschnittenen Kehlen und scheußlich verstümmelt blieben die Leichen unbeerdigt auf dem Blutfelde liegen, eine Beute den wilden Thieren. Ein Jäger, der zwei Wochen nach dem Blutbade zufällig die Stätte des Schreckens betrat, sagte in dem Processe aus, er habe dort so viele menschliche Skelete und von Wölfen und Geiern zerstreute Knochen gesehen, daß er entsetzt davon geeilt sei. Nur siebzehn Kinder wurden, wie gesagt, verschont, weil sie zu klein waren, um als verrätherische Zeugen der Metzelei den Mormonen gefährlich werden zu können. Lee tödtete zuletzt noch zwei Kinder, die ihm zu groß und klug vorkamen.

Die entsetzlichen Einzelheiten jener Schandthat, bei welcher Verrath und tückische List die wehrlosen Schlachtopfer einem erbarmungslosen Feinde preisgaben, die teuflische Kaltblütigkeit, womit die sich civilisirt nennenden Mormonen die Kranken und Verwundeten hinmordeten, – jene haarsträubenden Scenen, welche sich dort auf der grünen Oase in der Bergwüste des südlichen Utah vor zwanzig Jahren abgespielt haben, bilden zusammen eine Episode in der Geschichte, bei deren Lesen man den Glauben an die Menschheit verlieren möchte. Welche Ursache zur Rache die Emigranten aus früherer Zeit den Führern der Mormonen auch gegeben haben mögen – daß jene sich bei der Verfolgung der „Heiligen“ in Missouri betheiligt haben, wurde nie erwiesen –: ein so teuflisches Bubenstück wie die Metzelei von Mountain Meadows kann auf keinerlei Weise beschönigt werden, und einen schändlicheren Verrath als jenen kennt die Geschichte kaum.

Den von allen Seiten des Landes nach Washington gesandten Aufforderungen gegenüber, die Mormonenhäupter für jenes Blutbad verantwortlich zu halten, stellen deren Vertheidiger jetzt die Entschuldigung auf, daß die Mormonen durch die vorhergehenden Verfolgungen auf’s Aeußerste gereizt worden, daß die Metzelei bei Mountain Meadows weiter nichts als ein Ausbruch der Volkswuth der im südlichen Utah ansässigen Mormonen gewesen sei, welche in den durch ihr Land ziehenden Emigranten ihre alten Todfeinde erblickten, und daß Brigham Young und andere Kirchenhäupter nicht für das Blutbad, welches sie nicht hätten verhindern können, verantwortlich gemacht werden dürften. Die compromittirenden Angaben eines solchen Scheusals wie Lee könnte man unmöglich als Beweisgründe gegen die Kirchenhäupter geltend machen. Brigham Young, der die ganze Tragweite des Lee’schen Bekenntnisses sofort erkannte, hat denn auch gleich nachher auf telegraphischem Wege eine kurze Entgegnung veröffentlicht, worin er alle Schuld an dem Verbrechen von sich abwälzt. Ein von ihm am 22. März an den Herausgeber des „New-York Herald“ gesandtes Telegramm lautet folgendermaßen:

„An den Herrn James Gordon Bennett, New-York. Ihre Mittheilung habe ich soeben erhalten. Wenn Lee in seinem Bekenntnisse eine mich compromittirende Angabe gemacht hat, wie Ihr Telegramm vom 21. März andeutet, so erkläre ich hiermit, daß dieselbe eine bodenlose Lüge ist. Mein Lebenslauf ist Tausenden von ehrenhaften Leuten so wohl bekannt, daß Keiner von diesen auch nur auf einen Augenblick einer solchen Anklage Glauben schenken wird. Brigham Young.“

Das klingt nun allerdings sehr schön, und wir wollen hoffen, daß der Prophet seine Unschuld der ganzen Welt wird darlegen können. Aber selbst im günstigsten Falle kann er die Verantwortung, die „Daniten“ und die „zerstörenden Engel“ organisirt zu haben, nicht von sich abwälzen. Die sich über einen Zeitraum von beinahe achtzehn Jahren hinausziehende Criminaluntersuchung, durch welche Lee schließlich überführt und zum Tode verurtheilt wurde, zeigte die für Brigham sehr angenehme Thatsache, daß ein gewisser George A. Smith, zur Zeit der Metzelei bei Mountain Meadows Befehlshaber der Mormonenmiliz im südlichen Utah, welcher den Auftrag zur Ermordung der Emigranten von Salt Lake City nach Cedar City gebracht haben soll, vor dem Beginne des letzten Jury-Processes gestorben ist und daß folglich das wichtigste Glied im Zeugenbeweise gegen die Kirchenhäupter fehlt.

Der Proceß oder vielmehr die Processe gegen Lee und Dame, deren man allein von den Anführern habhaft werden konnte, begannen bereits achtzehn Monate nach der Metzelei bei Mountain Meadows. Es gelang den Mormonen jedoch mit Leichtigkeit, zu jener Zeit, als Brigham Young’s Macht in Utah eine fast souveraine war, die erste Anklage zu annulliren und die Anschuldigungen gegen Lee und andere „Heilige“ für nichtig erklären zu lassen. Als aber die Macht der Vereinigten Staaten in Utah von Jahr zu Jahr wuchs, zogen die Kirchenhäupter der Mormonen allmählich gelindere Saiten auf und erboten sich zuletzt sogar, zur Ueberführung der Schuldigen eine helfende Hand zu leihen. Brigham Young, der zu Lee gesagt hatte: „Kein Haar auf Deinem Haupte soll geschädigt werden, Bruder Lee,“ zog seine schützende Hand von ihm zurück, und im Juli 1875 gelang es endlich dem Vereinigten Staaten-Gerichte in Utah einen Criminalproceß gegen Lee allen Ernstes anzustrengen.

Dieser Proceß führte jedoch zu keinem Resultat. Die Vertheidigung bemühte sich, die Metzelei bei Mountain Meadows lediglich als einen Indianerüberfall hinzustellen. Lee wäre zufällig dabei zugegen gewesen, hätte aber selbst Niemanden ermordet. Das Resultat dieses Processes war, daß die Jury nicht zur Entscheidung kommen konnte. (Nach amerikanischem Gesetze muß die Entscheidung durch eine Jury einstimmig sein.) Die Jury bestand in diesem Falle aus neun Mormonen und vier „Gentiles“, von denen acht Mormonen und ein „Gentile“ für Lee’s Freisprechung gestimmt hatten. Das Vereinigte Staaten-Gericht ließ es jedoch nicht hierbei bewenden, sondern ordnete einen neuen Criminalproceß an, der im September 1876 begann. Diesmal war ein auffälliger neuer Geist über die wiederum aus Mormonen und „Gentiles“ zusammengesetzte Jury gekommen. Die Mormonen zeigten sich als die erbittertsten Zeugen gegen Lee, und das Resultat war eine einstimmige Verurtheilung Lee’s durch die Jury. Lee appellirte gegen das Urtheil an’s höhere Gericht, welches jedoch im Januar 1877 die Entscheidung der Jury bestätigte und zwar auf diese Weise, daß bestimmt wurde, Lee solle an Ort und Stelle seines Verbrechens erschossen werden.

Die Hinrichtung Lee’s fand am 23. März statt. Nur wenige Zuschauer, worunter Vertreter des „Herald“ und der „Tribüne“ in New-York und einiger in San Francisco erscheinenden englischen Tagesblätter, hatten sich in dem durch das Blutbad der Emigranten historisch gewordenen Thalgrunde von Mountain Meadows im südlichen Utah eingefunden. Hundertfünfzig Ellen von der Stelle, wo Lee auf seinem Sarge saß, um das Feuer der Soldaten zu empfangen, lag das bereits in Trümmern gefallene „Monument“, jetzt nur noch ein Haufen von losen Steinen, welches vor zwanzig Jahren als ein Wahrzeichen der grauenhaften Metzelei hier errichtet worden war. Die ehemalige grüne Oase in der öden Gebirgswildniß war seit jener Zeit zur Wüstenei geworden, indem eine Wasserhose das Thal

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_304.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)