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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


über ihm; seine Wangen waren so blaß, seine Kräfte so leicht ermüdet. Doch sorgte ich mich ohne Not – er kehrte nach ein paar Wochen sichtlich erfrischt und angeregt zurück und sagte, im Falle ich das Opfer bringen wolle, für einige Zeit mit einer Art von Blockhaus als Wohnung vorlieb zu nehmen, sei gefunden, was er sehnlichst wünsche: ein Feld fruchtbarer Thätigkeit für ihn selbst, eine dauernde Heimath für uns.

Das Opfer! O Liebste – der Gedanke, mit ihm, für ihn allein zu leben, ihn wieder Antheil am Dasein nehmen zu sehen, war mir ein Himmel. Du hast Kettler in seiner Jugend gekannt und Dich oft seiner edlen Männlichkeit gefreut – was er in der That ist und bedeutet, habe ich selbst erst jetzt voll begriffen, seit die energische Kraft, welche den Grundzug seines Wesens ausmacht, lebendig wirken kann. Die Strecke, welche er ankaufte, bestand aus meilenweiter Waldung. Ehe er mich dorthin abholte, war bereits ein Theil derselben ausgerottet und auf dem frei gewordenen Platze in der That ein Blockhaus errichtet worden, das für alles Nothwendige, auch für manche Bequemlichkeit, freilich für keinerlei Luxus, Raum bot. Dort richteten wir uns trotz aller Einwendungen der Kinder häuslich ein, sobald das Frühjahr einigermaßen vorgeschritten war. Neues Leben ging mir in diesen Tagen auf; fast besann ich mich wieder auf die längst verklungene Jugend – so reich und inhaltsvoll ward Gegenwart und Zukunft.

Kettler leitete mit fester Hand die Arbeiten, über welche er mit Sachverständigen Rath gepflogen, und zu denen er sich die nöthigen Hülfskräfte herangezogen hatte. Jetzt, im zweiten Sommer unseres Hierseins, hat sich die Wildniß bereits in einen freundlichen und ergiebigen Besitz verwandelt. Von Feld und Wiese umgeben, steht ein geräumiges Wohnhaus, in dessen anstoßendem Garten Blumen und Beeren in Fülle gedeihen. Zum schattigen Walde ist der Weg nicht weit, denn noch umgiebt er uns in dichtgeschlossenem Halbrunde, noch bietet sich der thätigen, schöpferischen Hand Material auf Jahre hinaus. Sogar ein Torflager ist darin entdeckt worden, ein Fund, den sich unser Schwiegersohn mit Befriedigung zuschreibt. In zehn Jahren, sagen die Männer, wird das Gut zu den schönsten und werthvollsten der Provinz zählen. Die Kinder besuchen uns häufig; zuweilen betteln wir uns Ida mit ihrem Söhnchen für eine Woche heraus. Gute Nachbarn haben wir auch.

So glücklich bin ich, liebe Freundin, daß ich kaum Athem zu holen wage, um nur nichts zu stören. Mein geliebter Mann hat sich von dem harten Stoße, welchen seine Gesundheit erlitten, völlig erholt; im schönsten Gleichgewicht körperlicher und geistiger Kraft, ist er zum Mittelpunkte alles Lebens und Strebens ringsum geworden. Mit freudigem Stolze darf ich sagen, daß sich ihm von allen Seiten höchste Schätzung und jede Förderung zugewendet. So besteht denn unsere Geschichte jetzt nur in dem stillen Gebete um Dauer.

Möchtest Du, liebe Seele, mir gleich Gutes von Dir und Deinem Sohne zu berichten haben! Seit langer, allzu langer Zeit ist kein Echo von Haus zu Haus gedrungen. Wie geht es Hermann? Denkt er noch nicht daran, Dir eine Tochter zuzuführen? Einst gaben ihm meine Gedanken eine Gefährtin, aber sie irrten wohl. Dennoch wird es ihn interessiren, von Paula Hollbach zu hören, für die er jedenfalls ein wenig schwärmte.

Das liebe Mädchen ist von der Fessel frei geworden, welche ihr junges Leben band. Zu ihrer tiefen Trauer! Als Ida, mit welcher sie natürlich in Correspondenz geblieben – die Mädchen waren ja unzertrennlich – die Nachricht vom Tode Frau Hollbach's erhielt, lud sie Paula dringend zu sich ein. Diese will sich aber zunächst noch nicht entschließen, ihr stilles Trauerhaus zu verlassen, wo ihr eine alte Verwandte Gesellschaft leistet.

Mein Brief ist lang geworden – dennoch bleibt er nur ein Bruchstück; denn wie viel hätte ich Dir noch zu sagen! Lasse bald und in gleich eingehender Weise von Dir hören! Mit tausend Grüßen von Haus zu Haus

Deine Clara Kettler.“

Hermann faltete die Blätter zusammen und hielt sie noch eine Weile schweigend in der Hand. Dann stand er auf, legte den Arm sanft um die Schulter der stille harrenden Mutter und sagte nach einem tiefen Athemzuge: „Morgen werde ich reisen.“




Paula Hollbach war eben von einem Morgengange nach dem Friedhofe zurückgekommen und setzte sich still an ihren Nähtisch, um zu arbeiten. Eine friedliche, weihevolle Stimmung füllte ihr Gemüth, während ihre Gedanken noch bei Der weilten, auf deren kaum begrüntes Grab sie frische Blumen getragen. Wohl ist es wahr. daß keinerlei Vorbereitung auf den Moment eines schweren Verlustes Einfluß hat – geliebte Augen für immer geschlossen zu sehen, das überwältigt das Herz allezeit mit tödtlichem Schreck. Die Seele fügt sich aber sanfterer Trauer, wenn sie schon Jahre um Jahre auf den Verlust gefaßt sein mußte, wenn ein theures Leben sich nur unter Qual und Entbehrung fortgesponnen. Ist es erloschen, dann freilich erscheinen dem Verlassenen Stunden und Tage trostlos öde; die Pfleger langen Leidens kämpfen schwer mit dem schaurigen Gefühl, daß es fortan auf Erden für sie nichts mehr zu thun gäbe. Dennoch zerreißt die Saite weniger schrill, bleibt der innerliche Zusammenhang ungestörter, als wo ein kräftiges Dasein unerwartet abgeschnitten wird.

Paula hatte ihre Mutter so gut verstanden. Die stumme Lehre ihrer Geduld, welche, in völligem Verzicht auf alle Lust des Lebens, nach höheren Freuden suchte, war auch ihrem jungen Dasein schon begreiflich geworden. Nun war sie ganz von Trauer erfüllt, aber nicht trostlos. Der frühe Morgengang hatte sie erquickt; der liebende Verkehr mit dem Geiste, dessen Nähe sie immer, auf dem stillen Friedhofe aber am ungestörtesten zu fühlen meinte, verklärte ihr Gemüth. Wer Gott sein Liebstes hingegeben, fühlt sich dem Himmel nahe und vertraut.

Auch daheim fand sie wundersame, wohlthuende Stille. Die Tante war ausgegangen, kein Laut zu vernehmen. Im Gärtchen, dessen Glasthüren weit geöffnet waren, lockte die Gluth der höher steigenden Sonne strömenden Duft aus jedem Busch und Beet. Um die Blüthen her wiegten sich Schmetterlinge wie bunte Blumenblätter, die sich vom Stengel gelöst, um über ihm zu schweben. Für Paula's bewegtes Gemüth ward auch das zum Symbol.

Da kam das Dienstmädchen herein und überbrachte ihr eine Visitenkarte mit dem Bemerken: Der Herr warte draußen.

Paula's Wange färbte sich in Ueberraschung. „Ich lasse bitten, einzutreten,“ sagte sie etwas bewegt und ging im nächsten Augenblicke dem Gaste entgegen, welchem sie voll Herzlichkeit die Hand entgegenbot.

„Welcher glückliche Zufall führt Sie hierher, Herr Barner?“ sagte sie freundlich, indem sie ihm einen Sessel neben ihr Tischchen rückte. „Solch liebe Ueberraschung hätte ich mir nicht träumen lassen in so trüben Tagen.“

Er antwortete nicht gleich. Sein Auge mußte sich nach langer Entbehrung erst wieder füllen mit der unvergeßlichen Erscheinung. Das schlichte Trauerkleid zeichnete die jungfräuliche Gestalt in ernster, keuscher Anmuth; blaß und frisch wie eine weiße Rose hob sich das zarte Gesicht mit den sinnenden Augen über der schwarzen Spitzenkrause. Die Ruhe, mit der sie ihn begrüßt, ihr zutrauliches Wort selbst zeigte ihm mit der Helle eines Blitzes, wie wenig er zu hoffen hatte; dennoch hielt er an dem Entschlusse fest, endlich sein innerstes Geschick zum Abschluß zu bringen, und so sprach er bewegt:

„Kein Zufall, Fräulein Paula! Der herbe Verlust, welcher Sie betroffen, gab mir Wunsch und Muth, Sie heute aufzusuchen –“

Eine unwillkürliche, abwehrende Bewegung des jungen Mädchens war ausdrucksvoll genug, doch ließ er sich nicht beirren. „Gönnen Sie mir, wenn nichts weiter, doch ein erlösendes Wort!“ sagte er ernst und innig. „Ich habe Jahre hindurch gewartet – einmal will es zu Tage. Sie müssen es wissen, müssen längst erkannt haben, wie tief ich Ihnen ergeben bin. Der Inhalt Ihres Lebens ist Ihnen verloren gegangen; Sie stehen allein – kann treueste Liebe, kann ein Mutterherz, das sich Ihnen zuneigt, ohne Sie noch zu kennen, kann eine freundliche Heimath Sie beglücken, auch nur Ihr Vertrauen wecken, so nehme Sie uns hin, Paula, liebste Paula!“

„Ich danke Ihnen, tausendmal danke ich Ihnen für die guten Worte,“ sagte sie leise und sah ihn mit warmem Blicke an. „Aber – ich werde mich niemals verheirathen.“

Hermann wechselte die Farbe. „Ist das unwiderruflich?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_327.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)