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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


das gestern Vorgefallene besprachen, mußten sie auch bereits erfahren, wie dasselbe berichtigt und gut gemacht worden sei. Sie legte dunkle Kleider an, wie man sie bei Leichenbegängnissen und Trauergottesdiensten zu tragen pflegt; auch das Mieder mit dem Silbergeschnür und dem viereckigen Thaler wollte sie weglegen, war es ja doch ein wirklicher Trauergang, zu welchem sie sich rüstete und bei welchem sie jeden Schmuckes entbehren wollte; dennoch besann sie sich eines andern, an den viereckigen Thaler sollte ja das Glück gebunden sein und auf dem Gange, zu welchem sie sich zuletzt als der besten und einzigen Auskunft entschloß, bedurfte sie vor Allem das Glück.

Sie schlug den Weg zum Himmelmooserhofe ein, um aber den Kirchgängern zur Frühmesse nicht zu begegnen, trat sie in eine außerhalb des Dorfes an der Straße gelegene Feldcapelle. Hinter der zurückgelehnten Thür wartete sie hochklopfenden Herzens, aber nun gefaßt, den Augenblick der Entscheidung ab.

Sie war bleich, als sie das Ziel ihrer Wanderung erreicht hatte, die rothen Ränder der Augenlider verriethen, wie viel Thränen unter ihnen hervorgequollen waren; dennoch war von ihrer Erscheinung die gewohnte Anmuth nicht abgestreift, das erhöhte Feuer ihrer Augen, die Entschlossenheit der fest auf einander gepreßten Lippen verliehen der sonst sanften Miene einen Ausdruck von Festigkeit, der sie vortrefflich kleidete.

Man sah es ihr an, daß sie ihren ganzen Muth zusammengerafft hatte und entschlossen war, nicht unverrichteter Dinge den Ort zu verlassen.

„Gelobt sei Jesus Christus!“ sagte sie, auf die vom Dachvorsprunge bedeckte Gräd tretend, und schloß den rothleinenen Regenschirm, die Tropfen von ihm schüttelnd.

Judika erwiderte den Gruß in üblicher Weise und nahm ihr unaufgefordert den Schirm aus der Hand, um ihn seitwärts zum Trocknen auszuspannen. „Du bist früh unterwegs, Dirnel,“ sagte sie dann. „Eilt’s Dir so, daß Du den ärgsten Regen nit hast abwarten können? Mir kommt’s vor, als wenn’s lichter werden wollte, dort über den Bühel hin. Willst blos einkehren im Himmelmoos oder hast ein Geschäft bei uns?“

„Wohl hab’ ich ein Geschäft,“ entgegnete das Mädchen, „und ein wichtiges obendrein. Ich muß mit dem Bauern reden. Laß mir ihn herauskommen!“

„Du hättest wohl gerad’ so weit zu ihm hinein, als er heraus,“ sagte Judika, das Mädchen voll Verwunderung über seine kurz angebundene Weise näher betrachtend, „aber ich kann leider Gottes nit aufwarten. Der Bauer ist nicht zu Haus; er ist in die Frühmeß gegangen. Kannst ihn aber wohl abwarten; er soll die Kirchenwacht halten während des Hochamts und muß jeden Augenblick kommen. Was hast Du denn so Wichtiges abzumachen mit dem Bauern? Jetzt seh’ ich’s erst, daß Du ganz schwarz angezogen bist, als wenn Du mit der Klag’ gingst. Es wird doch nichts Trauriges sein?“

„O nein,“ rief Engel mit schmerzlichem Lachen. „Traurig ist es höchstens für mich, und das schwarze Gewand bedeutet nur, daß ich mir am liebsten selber mit der Leich’ geh’n möcht’.“

„Was sind denn das für Reden!“ erwiderte Judika in gänzlich verändertem Tone, denn jetzt erst gewahrte sie die rothgeweinten Augen des Mädchens und sah die Thränen blinken, die sich eben wieder davon lösen wollten. „Du mußt ja etwas recht Schweres auf dem Herzen haben. Darf ich’s nicht wissen?“

„O mein, Mutter Judika,“ sagte Engel und ließ ihren Thränen freien Lauf. „Warum solltet Ihr’s nit wissen dürfen.“

„So kennst Du mich, Madel?“ fragte die Alte entgegen, während das Mädchen nach ihren beiden Händen haschte und sich darüber niederbeugte. „Wie geschieht Dir denn? Ich kann mich doch nicht auf Dich besinnen.“

„Aber ich kenn’ Euch wohl, Mutter Judika,“ lächelte Engel, „freilich nur vom Sehen und vom Hören – es hat mir Jemand gar viel von Euch erzählt …“

Die Verwunderung der Alten stieg mit jedem Worte. „Von mir erzählt?“ rief sie lachend. „Wer müßte das sein, und was könnte man erzählen von einem alten Bauernweibe, wie ich bin? So hilf mir doch aus dem Traume – sag’ mir, wie Du heißest und wer Du bist!“

„Wer ich bin?“ sagte Engel und brach wieder in Thränen aus. „Das weiß ich selber nit recht – bis gestern Abend bin ich ein armes Dirnl, ein rechtschaffener Dienstbot’ gewesen, dem Niemand was Unrechtes nachsagen kann, nit soviel als man in einem Aug’ erleiden kann – heut’ bin ich nichts; heut’ bin ich schlechter als ein Bettelmensch, das hinterm Zaun liegt.“

„Wie wär’ das?“ rief Judika. „So bist Du am Ende gar Dieselbige, die gestern …“

„Ja, ich bin’s schon,“ war die Antwort, „ich bin dieselbige arme Tröpfin, der gestern ein übermüthiger reicher Mann ihre Ehr’ genommen hat und ihren guten Namen – und deswegen bin ich heut’ da und will den reichen Mann fragen, was er Unrechtes von mir weiß, und will meine Ehr’ wieder haben.“

„Ist’s möglich? Du bist es, Dirnl?“ unterbrach sie Judika, deren Augen mit warmer, bei jedem Worte steigender Theilnahme an ihr gehangen hatten. „Du bist es, die dem Buben das silberne Reifel gegeben hat? die er so liebhat, daß er ihretwegen Vater und Heimath mit’m Rücken anschauen will? Du bist meinem lieben Buben, Du bist dem Wildel sein Schatz? Komm her, Dirnel, und laß Dich halsen!“ setzte sie hinzu, außer Stande, ihre Rührung länger zu bewältigen, und zog die Ueberraschte, die nicht zu Worte kam, an ihre Brust. „Hast Du ihn denn auch wirklich gern?“ plauderte sie fort. „So was man gern haben nennt, so recht aus dem Herzensgrunde? Laß mich Dich nur recht anschau’n, laß mich Dein Gesicht betrachten und in Deine lieben verweinten Augen schan’n: da schaut ein gutes Herz heraus und ein freundliches Gemüth, und eine revierische Person bist Du auch, sonst hättest Du nit die Sennerin von der Alm heruntergetragen, sonst wärst Du nit jetzt da und wolltest Deine Ehr’ wieder holen vom Himmelmoos. Aber weinen mußt Du nicht wieder. Richt’ Dein Köpfel frech in die Höh’ – es wird noth thun, wenn Du mit dem Bauern sprichst; nicht weinen! Es kann Alles noch gut werden …“

„O mein, Mutter Judika,“ entgegnete das Mädchen und trocknete sich die Augen. „Damit ist es doch vorbei für alle Zeit.“

„Wer kann das sagen!“ rief Judika. „Es ist schon gar oft etwas wunderbar hinausgegangen, wo man schon geglaubt hat, die ganze Welt sei mit Brettern verschlagen. Das hat Dir ein guter Geist eingegeben, daß Du selber zu ihm kommst und mannhaft mit ihm reden willst. Er ist es nicht gewohnt, daß ihm das geschieht; vielleicht greift es ihn an; er ist ja doch nit seiner Lebtag ein solcher Trutzkopf gewesen. Die Bäuerin, die Mutter vom Wildl – tröst’ sie Gott! – hat ganz gut gelebt mit ihm. Die hat’s verstanden und hat ihn können um den Finger wickeln; erst seit sie gestorben ist, hat er sich nach und nach so versteint und verbeint und verstockt, wie ein Baum, der alle Jahr’ einen neuen Ring ansetzt. Vielleicht ist doch noch ein Fleckl übrig geblieben, wo was hineindringen kann. – Die Leut’ haben mir ja erzählt, daß er vor dem Spectakel ganz freundlich mit Dir geredt hat.“

„Das ist wohl wahr,“ erwiderte Engel, „er hat mich sogar gefragt, ob es mir nicht gefallen thät im Himmelmoos …“

„Das hat er gefragt?“ rief Judika und schlug die Hände zusammen, „und was hast Du darauf geantwortet, und wie ist die Red’ weiter gegangen?“

„Daß ich keine Ursach’ hätt’, bei meinem Bauer aus dem Dienst zu gehen,“ sagte Engerl, sich besinnend, „und nachher – ich weiß es schier nicht mehr, über dem Schrecken darnach hab’ ich fast Alles vergessen – nachher hat er mich gefragt, woher ich den viereckigen Thaler an meinem Geschnür hab’ …“

„Was für einen Thaler?“ rief Judika auf und faßte nach der Münze, die sie bisher nicht beobachtet hatte. „Dirnel, wo hast Du den Thaler her?“

„Meine Mutter hat ihn mir gegeben und hat gesagt, wenn ich einmal größer bin, wird sie mir Alles erzählen, sie ist aber nicht dazu gekommen, denn sie hat unvermuthet fort gemußt in die Ewigkeit, und so weiß ich nichts, als daß es ein Glücksthaler ist.“

„Ich aber weiß jetzt genug,“ entgegnete Judika bedächtig, „mir ist ein Licht aufgegangen, daß mich die Augen beißen. – Also Du bist –“ wollte sie fortfahren, unterbrach sich aber und begann auf’s Neue, „also darum ist er mir heut und gestern so verändert vorgekommen. Deswegen hat er mich so sonderbar angeschaut und so spöttisch mit den Augen gemessen. Einen Glücksthaler nennst Du die Münz? Es kann sein, daß sie den Namen verdient, kann sein, auch nicht – es giebt halt allerhand, was wie Glück ausschaut.“

„Ja, was ist Euch denn, Mutter Judika?“ begann das Mädchen, das ängstlich geworden war, zu drängen. „Was ist es

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